#anstand­di­gi­tal

11 Gebote zu Hal­tung und Respekt im Netz

Empö­run­gen unter­schei­den, nicht rich­ten, Abstand hal­ten und sich nicht gemein machen … so begin­nen unsere 11 Gebote zu Hal­tung und Respekt im Netz. Sie ver­mei­den das Aus­ru­fe­zei­chen, sind keine prä­po­ten­ten Impe­ra­tive, son­dern Infi­ni­tive, die das Selbst­ver­ständ­li­che for­dern, das in der digi­ta­len Kom­mu­ni­ka­tion im Netz lei­der viel zu häu­fig ver­ges­sen wird. Wir kla­gen nicht, sehen aber Anlass, in den Fra­gen von Hal­tung und Respekt auf mehr Klar­heit, Unter­schei­dung und Ent­schie­den­heit zu drän­gen. Wir wün­schen uns eine Zivi­li­sie­rung des Net­zes, die durch das Recht allein nicht geleis­tet wer­den kann. Das letzte Gebot lau­tet denn auch: „Anstand und Recht unterscheiden“.

An unse­ren 11 Gebo­ten haben in einem gut ein­jäh­ri­gen Dis­kus­si­ons­pro­zess viele Men­schen mit Anre­gun­gen, Bei­trä­gen und Ideen mit­ge­wirkt. In Work­shops, durch Fra­ge­bö­gen, Video-State­ments und Ver­an­stal­tun­gen – mehr auf anstanddigital.de – wurde über die Frage nach­ge­dacht, wel­che Anstands­ge­bote und -regeln für eine demo­kra­ti­sche und digi­tale Kul­tur grund­le­gend sind. Wel­che Maxi­men hel­fen uns im Netz zu mehr Anstand, der eigent­lich selbst­ver­ständ­lich sein sollte?

Dabei geht es nicht um „muf­fige Benimm­re­geln“ oder Eti­kette im Netz und auch nicht um jene Fra­gen, die das Recht lösen muss, son­dern um jenen mitt­le­ren Kor­ri­dor, in dem wir ohne Anstand, Respekt und Hal­tung im Netz nicht aus­kom­men. Die Gebote und ihre Begrün­dun­gen sind auf einen ebenso sanf­ten wie wider­stän­di­gen Ton gestimmt. Zivi­li­sie­rung im Netz braucht Zeit und Geduld, Wie­der­ho­lung, Übung, Pra­xis. Und das gemein­same Gespräch.

Die mit den 11 Gebo­ten ange­ziel­ten Ver­än­de­run­gen stel­len sich nicht von jetzt auf gleich ein, son­dern gehen auf Ver­wand­lun­gen des kul­tu­rel­len Habi­tus zu und haben weni­ger die mora­li­sche Inner­lich­keit als die äußer­li­chen Umgangs­for­men im Blick. Damit ste­hen sie – dar­auf wies Ijoma Man­gold bei der Prä­sen­ta­tion am 9. Februar hin – in der Linie jener „Ver­hal­tens­leh­ren der Kälte“ der 1920er Jahre, von denen Hel­mut Lethen in sei­nem gleich­na­mi­gen Buch sprach.

Gegen die Empö­rungs­über­hit­zun­gen des Inter­nets set­zen die 11 Gebote auf moralin­freie und beson­nene Abküh­lun­gen, auf die Kraft der Unter­schei­dung und die klei­nen Distan­zen. Sie räu­men in bestimm­ten Fäl­len das Recht auf Anony­mi­tät ein, wider­spre­chen aber deut­lich allen Ver­su­chun­gen zur fal­schen Pan­ze­rung oder bösen Ver­steck­spie­len. Dage­gen set­zen sie einen berühr­ba­ren Ernst, der in christ­li­cher Absicht das Vor­letzte des Urtei­lens – nicht rich­ten – ebenso betont wie die Freude an den spie­le­ri­schen Mög­lich­kei­ten des Net­zes. Sie ach­ten auf die eigene Scham und die der ande­ren. Von mora­li­schen Schuld­zu­wei­sun­gen hal­ten sie wenig.

Die 11 Gebote sind Nie­der­schlag eines gemein­sa­men Lern- und Gesprächs­pro­zes­ses und Aus­druck der nüch­ter­nen Ein­sicht, dass den vie­len Respekt­lo­sig­kei­ten und emo­tio­na­len Ent­glei­sun­gen im Netz etwas ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den muss. Dass die Kraft von Lis­ten unter­schätzt wird, davon sind wir ebenso über­zeugt, wie davon, dass wir ohne Gebote des Anstands nicht aus­kom­men, an denen wir unser Ver­hal­ten zu mes­sen und zu ori­en­tie­ren haben.

Diese Liste hat nichts Spek­ta­ku­lä­res, und wirk­lich Neues fin­det sich in die­ser Liste nicht. Und das ist gut so! Ori­gi­nell kann, soll und darf diese Liste nicht sein. Gebote sind nie ori­gi­nell, son­dern eröff­nen, wenn sie über­zeu­gend sind, aus dem Inne­ren des Bekann­ten her­aus Spiel­räume der Frei­heit. Aber: Lis­ten haben dabei eine eigene, oft über­se­hene Kraft. Ob Gebots- oder Inven­tur­lis­ten, wir schaf­fen durch sie eine Über­sicht, rhyth­mi­sie­ren und hier­ar­chi­sie­ren auch und vor allem unsere täg­li­chen Hand­lun­gen. Wer sich an ihnen ori­en­tiert, wird kräf­ti­ger und wider­stän­di­ger, wer Lis­ten auf­stellt, macht sich ehr­lich über seine wirk­li­chen Res­sour­cen und bän­digt seine Unend­lich­keits­fan­ta­sien, die allzu oft im Träu­men und Nichts­tun enden.

Von den Lese­rin­nen und Lesern der 11 Gebote wurde viel­fach bemerkt, dass das Selbst­ver­ständ­li­che ihrer Wei­sun­gen so noch nicht gesagt wurde. Ja, auf das „Wie“ kommt es an, und es wäre schön, sie hät­ten recht. Das unschein­bare „Wie“, seine sanfte wie strenge Genau­ig­keit hat viel­leicht die Kraft, die Kom­mu­ni­ka­tion im Netz men­schen­freund­li­cher und sach­li­cher wer­den zu las­sen, die Umgangs­for­men hin zu mehr Respekt und Hal­tung zu ver­än­dern. Wir wür­den uns sehr dar­über freuen, wenn diese Gebote Anstoß für viele Gesprä­che wer­den – im Netz oder von Ange­sicht zu Angesicht.

Die­ser Bei­trag ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 03/2021.

Von |2021-03-25T14:10:28+01:00März 4th, 2021|Medien, Meinungsfreiheit, Sprache|Kommentare deaktiviert für

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11 Gebote zu Hal­tung und Respekt im Netz

Johann Hinrich Claussen ist Kulturbeauftragter der EKD. Joachim Hake ist Direktor der Katholischen Akademie zu Berlin.