Ein fast schon ikonographisch zu nennendes Bild der letzten Frankfurter Buchmesse (FBM) zeigt einen kahlköpfigen und zornigen jungen Mann, der höchst erregt auf einen älteren Herren – Typ: freundlicher Sozialkundelehrer – in einer unüberschaubaren Menschenmenge einredet. Dieses Foto zierte fast jeden Zeitungsartikel, der sich mit den Ereignissen der FBM 2017 beschäftigt hat. Das Bild des Fotografen Frank Rumpenhorst verdeutlicht nicht nur die aufgebrachte Stimmung, die sich während einer Veranstaltung eines kleinen, rechten Verlages aus der sachsenanhaltinischen Provinz ereigneten. Interessant ist hier die Verkehrung der Rollenklischees: Auf die Frage, wer hier wer sei, antworteten die meisten von mir Befragten, dass dort ein rechtsradikaler Kahlköpfiger mit einem Gegendemonstranten disputiere. Dass es sich tatsächlich andersherum verhält, erkennen nur die Eingeweihten, die mit dem Logo des „Black Bembel Block“ etwas anfangen können oder in dem älteren Herren den rechtsradikalen Kleinstverleger erkennen.
Die Haltung der FBM gegenüber einer Beteiligung von Verlagen, die der sogenannten Neuen Rechten zuzuordnen sind, war von Anfang an klar. Hier die wichtigsten Punkte zusammengefasst:
- Die FBM ist keine Zensurbehörde; es findet keine Auswahl von Ausstellern oder Titeln statt – weder ästhetisch noch moralisch oder politisch.
- Die FBM fühlt sich der Freiheit des Verlegens, der freien Meinungsäußerung und der freien Rede verpflichtet.
- Es wird geduldet, was nicht gegen in Deutschland geltendes Recht verstößt; Dissonanz und Konflikt sind der Modus Operandi jeder gelebten Demokratie.
- Damit respektiert die FBM die Prinzipien der Gewaltenteilung als ein Kernelement westlicher Demokratien.
- Es ist klar, dass es bei einer derart offenen Plattform zu politischen Dissonanzen möglicherweise auch zu Konflikten kommt. Das Mittel der Auseinandersetzung auf der FBM ist der Dialog.
- Ihre politische Haltung demonstriert die FBM in zahlreichen Aktivitäten und Veranstaltungen auch während der Messe und unterjährig.
Damit ist klar: Verstöße gegen geltendes Recht werden auf der FBM nicht toleriert. Entsprechend werden Beteiligungen geduldet, solange keine Rechtsverstöße festzustellen sind. Dass diese Duldung nichts über die politische Positionierung der FBM aussagt, zeigt sich in dem vielfältigen Programm, das von uns kuratiert wird.
So war bereits vor der FBM 2017 die Entscheidung der Messeleitung klar, dass auch politisch rechts gestellte Verlage dort ausstellen dürfen, solange sie nicht gegen in Deutschland geltendes Recht verstoßen: Diese Entscheidung wurde heftig diskutiert und zum Teil vehement kritisiert. Ich finde es dabei bemerkenswert, dass die Verbotsforderungen ausgerechnet aus den (linksliberalen) Kreisen kommen, deren eigene Aktionen früher oft von Verboten und Einschränkungen betroffen waren.
Der Vorwurf an die FBM, sie handele damit „legalistisch“ und ziehe sich damit vornehm aus der Affäre, geht auch deshalb ins Leere, weil gerade die Befürworter von Aussteller-Verbotsforderungen ihrerseits keine allgemein gültige Grenze zwischen Zulässigem und Nicht-Zulässigem benennen können und/oder wollen.
Selbst wenn die FBM, nach welchen Kriterien auch immer, einen Verlag A ausschlösse, würden neben den Anhängern des Verlages auch deren Kritiker vorstellig und forderten: „Wenn ihr Verlag A verbietet, dann müsst ihr auch Verlag B oder C verbieten!“ Das müsste erneut geprüft werden, nach welchen Kriterien auch immer… Dass dies nicht die vorrangige Arbeit einer Buchmesse sein kann, wird noch deutlicher, wenn man die Internationalität der FBM in Betracht zieht. Es ist nachvollziehbar, dass die Zulassung von rechten Verlagen auf der Frankfurter Buchmesse bei Besuchergruppen, die eine andere politische Grundüberzeugung vertreten, im ersten Affekt Fragen aufwirft. In einer politisch differenziert geführten Auseinandersetzung geht es aber darum, sich auch von den eigenen unmittelbaren Affekten zu distanzieren. Wäre dies nicht so, fielen „Moral“ und „Politik“ in eins.
Moralische Positionen sind auch im politischen Diskurs notwendig, sie müssen aber in das jeweils Politische übersetzt werden. Im Falle der Zulassung von Verlagen der sogenannten Neuen Rechten, also von Abgrenzungsentscheidungen, funktioniert eine moralische Position aber nicht: Sie gibt eben keine Kriterien im Hinblick auf Inklusion oder Exklusion. Wohl aber legitimiert sie die Position des Sprechers als moralisch unhintergehbar.
Die FBM wird weiterhin durch die von ihr kuratierten Veranstaltungen und andere Aktivitäten deutlich machen, wo sie sich politisch positioniert: auf der Seite einer liberalen und vielstimmigen, dem politischen Pluralismus verpflichteten Aufklärung.
Auf der FBM treffen sich Jahr für Jahr Verleger aus über hundert Ländern. Maßgeblich geht es auf der Messe um den An- und Verkauf von Rechten und Lizenzen. Die Förderung des kulturellen Austauschs steht damit als zentrales Anliegen fest. Damit ist die FBM eine der größten Veranstaltungen, die ein dezidiert anti-identitäres Programm verfolgt.
Die Ereignisse auf der FBM 2017 waren sicherlich schwer auszuhalten. Die vielfältigen Gespräche mit unterschiedlichen Interessensgruppen haben aber gezeigt, dass ein Lernprozess angestoßen wurde, nicht zuletzt auch bei den Organisatoren der FBM. Dieser Diskurs wird 2018 und darüber hinaus hoffentlich weitergehen und die FBM wird sich daran beteiligen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.