Wir sind ja nicht zum Spaß hier

Muss der Buch­han­del poli­ti­scher werden?

Ein Blick über die Sach­buch-Aus­la­gen unse­rer Buch­hand­lun­gen ver­rät viel über die erregte poli­ti­sche Grund­stim­mung unse­res Lan­des: „Die große Gereizt­heit“, „Wie Demo­kra­tien ster­ben“, „Der Nie­der­gang“, „Ihr Schein­hei­li­gen“ – so lau­ten die Titel der­zeit erfolg­rei­cher zeit­ge­schicht­li­cher Best­sel­ler. Alle diese Bücher haben Unter­ti­tel, die vom Leser min­des­tens eine Hal­tung und oft auch sein Enga­ge­ment for­dern: Und was wir dage­gen tun können!

Die Abtei­lung Zeitgeschichte/Politik ist die der­zeit span­nendste im deut­schen Buch­han­del. In ihren Büchern spie­geln sich alle gro­ßen außen- und innen­po­li­ti­schen Kon­flikt­la­gen und ver­su­chen Ori­en­tie­rung in unüber­sicht­li­chen Zei­ten zu geben. Die Zeit­ge­schichte ist zugleich eine große Her­aus­for­de­rung für jeden Buch­händ­ler, denn sie stellt auch ihm die Frage nach Hal­tung und Enga­ge­ment. Es ist eine Frage nach den kul­tur­po­li­ti­schen Chan­cen und gesell­schaft­li­chen Auf­ga­ben, die der Buch­han­del in auf­ge­wühl­ten Zei­ten erfül­len kann – wenn er denn will.

Einer­seits geht es hier um Mei­nungs­frei­heit. Der deut­sche Buch­han­del hat eine starke Reak­tion gezeigt, als Deniz Yücel und Aslı Erdoğan in der Tür­kei inhaf­tiert wur­den und hat die Kam­pa­gnen für ihre Frei­las­sung aktiv unter­stützt. Die bei­den sind aber nur die Spitze des Eis­ber­ges. Die Repor­ter ohne Gren­zen, das PEN-Zen­trum und die IG Mei­nungs­frei­heit im Bör­sen­ver­ein des Deut­schen Buch­han­dels haben hun­derte Fälle von zu Unrecht inhaf­tier­ten Jour­na­lis­ten, Schrift­stel­lern, Ver­le­gern und Buch­händ­lern doku­men­tiert, die wei­ter­hin Unter­stüt­zung brau­chen. Buch­hand­lun­gen sind Orte, die die not­wen­dige Öffent­lich­keit schaf­fen kön­nen: durch Ver­an­stal­tun­gen, in ihren Schau­fens­tern und Rega­len, mit ihren Kun­den. Wir kön­nen zei­gen, was „Bücher­ver­bren­nung“ heute bedeu­tet. Das kleinste Bei­spiel: Mah­mud Dou­la­ta­ba­dis beein­dru­cken­der Roman „Der Colo­nel“ über die ira­ni­sche Revo­lu­tion ist in sei­nem Hei­mat­land bis heute ver­bo­ten, in deut­scher Über­set­zung jedoch lie­fer­bar. Ihm gebührt ein Platz in jeder Buchhandlung.

Zum zwei­ten geht es um Mei­nungs­viel­falt. Die meis­ten poli­ti­schen Dis­kurse der Gegen­wart kran­ken daran, dass die Betei­lig­ten kaum noch in der Lage sind, Gegen­ar­gu­mente zur eige­nen Mei­nung anzu­hö­ren und sich mit ihnen aus­ein­an­der­zu­set­zen. Die Ver­lage bil­den in ihren Pro­gram­men ein brei­tes Mei­nungs­spek­trum ab. Im Buch­han­del fin­det sich das nicht unbe­dingt wie­der. Wer in sei­ner Buch­hand­lung nur die Best­sel­ler und den Main­stream der Publi­kums­ver­lage anbie­tet, ver­schenkt den zivil­ge­sell­schaft­li­chen Bei­trag, den seine Buch­hand­lung leis­ten könnte. Eine zeit­ge­schicht­li­che Abtei­lung ohne die vie­len klei­nen unab­hän­gi­gen Ver­lage mit ihren her­vor­ra­gen­den Pro­gram­men prä­sen­tiert nur die halbe Wahrheit.

Drit­tens geht es um eine neue Debat­ten­kul­tur. Wir beob­ach­ten seit Jah­ren, wie die poli­ti­schen Kon­tro­ver­sen zahl­rei­cher und die Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten tief­grei­fen­der wer­den und zugleich die Unwil­lig­keit zu argu­men­ta­ti­ven Debat­ten wächst. Der Buch­han­del hat eigent­lich alle Mög­lich­kei­ten, Debat­ten zu orga­ni­sie­ren, die die­sen Namen wie­der ver­die­nen: die Räum­lich­kei­ten, die Bücher, die Autoren, die Unter­stüt­zung der Ver­lage und sicher­lich auch das Inter­esse ihrer Kunden.
Mei­nungs­frei­heit und -viel­falt zäh­len zu den Grund­vor­aus­set­zun­gen des Buch­han­dels. Sie sind viel­fach bedroht und brau­chen unser Engagement.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 5/2018.

Von |2020-04-14T14:35:00+02:00September 4th, 2018|Grundgesetz|Kommentare deaktiviert für

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Muss der Buch­han­del poli­ti­scher werden?

Michael Lemling ist Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl in München und stellvertretender Sprecher der IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.