No pas­arán

Ein brau­ner Mob macht Jagd auf Ausländer

Die Hatz auf Aus­län­der in Chem­nitz hat sich ins Gedächt­nis ein­ge­brannt. Ein Vier­tel­jahr­hun­dert nach dem Ende der Nazi-Herr­schaft müs­sen Fremde in Deutsch­land wie­der um ihr Leben fürch­ten. Nicht nur viele Bür­ger hier­zu­lande, mich ein­ge­schlos­sen, auch die übrige Welt reagierte ent­setzt. Der Minis­ter­prä­si­dent von Sach­sen aller­dings spielte die Jagd­sze­nen in sei­nem Pegida-Land her­un­ter, genauso wie der abge­löste Prä­si­dent des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz, wäh­rend die Kanz­le­rin sofort klare Worte fand. Dabei hät­ten beide eigent­lich höchst alar­miert sein müs­sen. Denn es ist ja nicht das erste Mal, dass Aus­län­der und anders Aus­se­hende in Deutsch­land ange­grif­fen oder gar getö­tet wur­den. Schon in den 1990er Jah­ren gab es Brand- und Mord­an­schläge auf Migran­ten und Geflüch­tete. In Solin­gen, Hoyers­werda, Ros­tock-Lich­ten­ha­gen und andern­orts. Die Stim­mung gegen „Asy­lan­ten“ war damals ähn­lich auf­ge­heizt wie heute. Bei aller berech­tig­ten Empö­rung über die Aus­län­der­jä­ger und ihre brau­nen Pro­pa­gan­dis­ten soll­ten wir jedoch nicht in Schreck­starre ver­fal­len. Denn auch wenn der Mob tage­lang fast unge­hin­dert durch Chem­nitz mar­schie­ren konnte; auch wenn die AfD – inzwi­schen ein Sprach­rohr nicht nur für völ­kisch Gesinnte, son­dern für ein­deu­tig Rechts­extreme – sich bun­des­weit der 20-Pro­zent-Marke nähert: Die Frem­den- und Demo­kra­tie­feinde mögen zwar Schlag­zei­len, Fern­seh­nach­rich­ten und Web­sei­ten beherr­schen, von einer Mehr­heit sind sie in Deutsch­land aber zum Glück weit ent­fernt. Wenn 16 oder 18 Pro­zent ange­ben, bei der nächs­ten Wahl rechts­na­tio­nal stim­men zu wol­len, heißt das im Umkehr­schluss, dass mehr als 80 Pro­zent wei­ter­hin für demo­kra­ti­sche Par­teien sind.

Zehn­tau­sende enga­gie­ren sich unver­än­dert für Geflüch­tete und deren Inte­gra­tion. In Chem­nitz orga­ni­sier­ten Musi­ker und andere Künst­ler spon­tan ein Soli­da­ri­täts­kon­zert für die Ange­grif­fe­nen. Tau­sende gin­gen dort, in Köthen, wo es ähn­li­che Aus­schrei­tun­gen gab, und ande­ren Städ­ten auf die Straße, um sich dem rech­ten Stra­ßen­ter­ror ent­ge­gen­zu­stel­len. Das alles macht Mut. Und es sind mehr als Hoff­nungs­zei­chen: Es belegt, dass die Geg­ner einer libe­ra­len, men­schen­freund­li­chen Kul­tur eine zwar radi­kale, aber immer noch ein­deu­tige Min­der­heit sind. Chem­nitz ist nicht über­all, selbst wenn die AfD bei der Land­tags­wahl in Sach­sen im nächs­ten Jahr stärkste Par­tei wer­den könnte. Was jedoch nicht heißt, dass die Men­schen dort oder Ost­deut­sche gene­rell zum Rechts­extre­mis­mus nei­gen. Der Auf­stieg der AfD hat seine Gründe viel­mehr im Wesent­li­chen im Ver­sa­gen der übri­gen Par­teien, wie ich in die­ser Kolumne schon geschrie­ben habe. In Sach­sen beson­ders der CDU. Über­haupt sollte man sich vor Pau­scha­lie­run­gen hüten. Weder sind Aus­län­der oder Flücht­linge an sich stär­ker gewalt­tä­tig als Ein­hei­mi­sche, wie die Kri­mi­na­li­täts­sta­tis­tik belegt, noch sind sie alle edle Men­schen, die unsere Kul­tur „berei­chern“. Auch sind nicht alle, die gegen Zuwan­de­rer sind oder demons­trie­ren, gleich „Nazis“. Und ihre Geg­ner per se bes­sere Demokraten.

Wer so denkt und redet, för­dert nur die ohne­hin schon viel zu arge Pola­ri­sie­rung. Und hilft den Höckes und Wei­dels. Denn die war­ten nur dar­auf, sich als Ver­tei­di­ger „ech­ter“ Deut­scher insze­nie­ren zu kön­nen – gegen die „Mei­nungs­elite“. Ihnen darf man nicht auf den Leim gehen. Demo­kra­ten und demo­kra­ti­sche Künst­ler soll­ten viel­mehr – wo immer sie kön­nen – gelas­sen, jedoch vol­ler Lei­den­schaft für bedrohte Mit­men­schen, ihre Unver­sehrt­heit und ihr Recht ein­tre­ten, gleich­be­rech­tigt in Deutsch­land zu leben. Egal wo.
Das wäre die beste, klügste Form des Pro­tes­tes: für die Frei­heit, für den Rechts­staat, gegen die Ewig­gest­ri­gen. Als ver­bin­dende Losung schlage ich die Parole der Anti­fa­schis­ten aus dem Spa­ni­schen Bür­ger­krieg vor: „No pas­arán! Sie kom­men nicht durch!“. Dann muss einem, bei allen Rück­schlä­gen um die Demo­kra­tie, nicht bange werden.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2018.

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Von |2020-04-14T15:25:09+02:00Oktober 25th, 2018|Grundgesetz|Kommentare deaktiviert für

No pas­arán

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Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Von ihm stammt das Buch "Die Skandal-Republik. Eine Gesellschaft in Dauererregung" (2015).