Diver­si­tät und Par­ti­zi­pa­tion in den Medien

Kri­ti­sche Per­spek­ti­ven der trans­kul­tu­rel­len Kommunikationswissenschaft

Die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft in Deutsch­land tut sich noch schwer, Zuge­wan­derte als Sub­jekte ihres Medi­en­han­delns wahr­zu­neh­men und sie jen­seits des Inte­gra­ti­ons­pa­ra­dig­mas zu erfor­schen (s. hierzu Trebbe in P&K 11/19). Sie per­p­etu­iert damit häu­fig Dar­stel­lungs­mus­ter, die sie in der Medi­en­be­richt­erstat­tung selbst kri­ti­siert und macht Zuge­wan­derte zu Objek­ten, die zudem als „Andere“ kon­zi­piert wer­den. Der Teil­be­reich der inter/transkulturellen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft hat sich zum Ziel gesetzt, ver­stärkt zu unter­su­chen, wie nicht zuge­wan­derte und zuge­wan­derte Teile der Gesell­schaft mit­ein­an­der, über­ein­an­der und unter­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren. Die­ser trans­kul­tu­relle Fokus wird hier auf­ge­grif­fen und aus einer kri­ti­schen Per­spek­tive die These ver­tre­ten, dass Begriffe und Kon­zepte wie „Inte­gra­tion“ und „eth­ni­sche Min­der­hei­ten“ sowie die Pro­ble­ma­ti­sie­rung der Iden­ti­täts­bil­dung der Zuge­wan­der­ten über­dacht wer­den soll­ten, weil sie einen Anteil daran haben, dass Trans­kul­tu­ra­li­sie­rungs­pro­zesse in der deut­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft bis­lang zu wenig reflek­tiert werden.

Laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt hat jeder Vierte in Deutsch­land aktu­ell einen „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“, also min­des­tens einen Eltern­teil, der im Aus­land gebo­ren ist. In „gate­way cities“ wie Frank­furt am Main wer­den 75 Pro­zent der unter Sechs­jäh­ri­gen dazu gerech­net. Ins­ge­samt hat die Hälfte der Ein­woh­ner Frank­furts einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Anhand sol­cher viel­fäl­ti­gen Stadt­ge­sell­schaf­ten „ohne Mehr­heit“ lässt sich ver­deut­li­chen, dass die bis­lang ver­wen­de­ten Kon­zepte, deren Defi­ni­tion und die zuge­hö­ri­gen poli­ti­schen Pro­gramme immer schwe­rer anhand der Her­kunft fest­zu­ma­chen sind. Die Migra­ti­ons­for­sche­rin Naika Forou­tan spricht von der „post-migran­ti­schen Gesell­schaft“, denn mit den demo­gra­fi­schen Ver­än­de­run­gen wan­deln sich auch die Iden­ti­täts­be­züge die­ser neuen Deut­schen. Erste empi­ri­sche Stu­dien grei­fen diese Defi­ni­tion auf, doch noch domi­nie­ren Begriffe wie „eth­ni­sche Min­der­heit“ die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­schung. Sie deu­ten auf eine bestimmte Per­zep­tion der „Migran­tin­nen und Migran­ten in den Medien“ hin, die wir in den 1990er Jah­ren ver­or­ten wür­den. Damals ging es im Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus um die Ertei­lung von Grup­pen­rech­ten. Heute erscheint „eth­ni­sche Min­der­heit“ unprä­zi­ser denn je: Eth­ni­sche Min­der­hei­ten in Deutsch­land sind die däni­sche Min­der­heit, die Frie­sen, die Sor­ben sowie die deut­schen Sinti und Roma – die kaum im Fokus von Inte­gra­ti­ons­po­li­ti­ken ste­hen. Im Fokus ste­hen viel­mehr Migran­ten aus mehr­heit­lich mus­li­mi­schen Län­dern sowie Geflüch­tete. Migran­tin­nen und Migran­ten tür­ki­scher oder ira­ni­scher Her­kunft als „eth­ni­sche“ Min­der­hei­ten zu bezeich­nen, ist auf­grund der Viel­völ­ker­staa­ten, die sich auch in der Zusam­men­set­zung die­ser Men­schen in Deutsch­land wider­spie­gelt, schlicht falsch. Der Begriff Eth­nie legt zudem eine quasi unhin­ter­geh­bare kul­tu­relle Iden­ti­tät fest. „Eth­nie“ grenzt ab, wo „post­mi­gran­ti­sche Gesell­schaft“ die flui­den Kul­tur­kon­zepte in den Blick nimmt – denn auch Auto­ch­tone, die fami­liäre Ver­bin­dun­gen zu Zuge­wan­der­ten haben, wer­den ihr zuge­rech­net. Die viel­zi­tier­ten „Eth­no­me­dien“, Medien von und für Zuge­wan­derte, sind ent­spre­chend längst nicht so „ethnisch“-segregiert, wie der Begriff suggeriert.

Die häu­fige Frage der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­schung, inwie­fern Medien zur Inte­gra­tion bei­tra­gen oder nicht, muss aus Sicht der kri­ti­schen trans­kul­tu­rel­len Medi­en­kom­mu­ni­ka­tion hin­ter­fragt wer­den, auch weil sie sich eng an die poli­ti­sche Debatte anschmiegt. So ist damit auch meist nicht das trans­kul­tu­relle Inein­an­der­ver­schrän­ken media­ler Milieus gemeint, wie in der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Theo­rie inten­diert, son­dern Inte­gra­tion fokus­siert ein­sei­tig auf die Zuge­wan­der­ten in ansons­ten schein­bar unver­än­der­li­chen Medien. Ange­sichts der Frag­men­tie­rung des Publi­kums, unter ande­rem auf­grund neuer digi­ta­ler Betei­li­gungs- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten, erscheint diese Sicht­weise ohne­hin veraltet.

Ent­spre­chend geht es längst nicht mehr nur um die „Reprä­sen­ta­tion eth­ni­scher Min­der­hei­ten“, auch wenn es wei­ter­hin eine drän­gende Frage bleibt, wie Migran­tin­nen und Migran­ten in den Medien dar­ge­stellt wer­den. Min­des­tens ebenso wich­tig ist ihre medi­en­po­li­ti­sche Reprä­sen­ta­tion, die weit mehr ist als „Teil­habe“. Wäh­rend mit „Teil­habe“ den Min­der­hei­ten ein wenig Sicht­bar­keit „zuge­stan­den“ wird, las­sen die demo­gra­fi­schen Ent­wick­lun­gen kei­nen Zwei­fel daran, dass die gleich­be­rech­tigte poli­tisch-stra­te­gi­sche Par­ti­zi­pa­tion von Migran­tin­nen und Migran­ten an der kul­tu­rel­len Res­source Medien unab­ding­bar ist. Da bei­spiels­weise die Anzahl der Men­schen mit Migra­ti­ons­ge­schichte vor und hin­ter der Kamera seit Jahr­zehn­ten bei weni­gen Pro­zen­ten sta­gniert, sind Fra­gen nach der Trans­kul­tu­ra­li­sie­rung der Ent­schei­dungs­struk­tu­ren und Gre­mien von Presse und Rund­funk in die­sem Kon­text über­aus wichtig.

Gemeint ist also ins­ge­samt eine tiefe Trans­kul­tu­ra­li­sie­rung im Medi­en­be­reich, die sei­tens kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­li­cher For­schung ange­sto­ßen und beglei­tet wer­den müsste. Aus Sicht der kri­ti­schen trans­kul­tu­rel­len Per­spek­tive hätte sich die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft stär­ker dar­auf zu kon­zen­trie­ren, nor­ma­tiv-kri­ti­sche Kon­zepte von Viel­falt zu ent­wer­fen, mit wel­chen unter­sucht wer­den kann, inwie­fern die Par­ti­zi­pa­tion von Zuge­wan­der­ten in den Medien herr­schende Macht­ver­hält­nisse in media­len Ent­schei­dungs­pro­zes­sen herausfordert.

Kommt man zu die­sem Punkt, stel­len sich auf­re­gende For­schungs­fra­gen, näm­lich, wie kön­nen ver­schie­dene lokale, natio­nale und dia­spo­ri­sche Kon­texte mit­hilfe die­ses kri­ti­schen Kon­zepts von Viel­falt und des post-migran­ti­schen Para­dig­mas unter­sucht wer­den? Wel­che Ansätze gibt es, die För­de­rung und Talentent­wick­lung hin­sicht­lich Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten mit Migra­ti­ons­ge­schichte aus­zu­bauen? Wie las­sen sich Vor­ur­teile durch eine ethisch fun­dierte Medi­en­be­richt­erstat­tung ein­däm­men, wie bei­spiels­weise im Kon­zept des kon­struk­ti­ven Jour­na­lis­mus ange­dacht. Aber auch: Wo fin­den im Medi­en­be­reich Dis­kri­mi­nie­run­gen statt, wo sind struk­tu­relle Ras­sis­men erkenn­bar, wel­che Maß­nah­men hel­fen, sie zu besei­ti­gen? Und: Wie kön­nen Betei­li­gungs­struk­tu­ren auf Ent­schei­dungs­ebe­nen der­art gestal­tet wer­den, dass ins­ge­samt die Dyna­mik der gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lung und die post­mi­gran­ti­schen Teile der Gesell­schaft (medien-)politisch reprä­sen­tiert sind? Es geht um ein tie­fe­res Ver­ständ­nis plu­ra­lis­ti­scher Medi­en­dis­kurse in einer Migra­ti­ons­ge­sell­schaft. Denn ohne die Stimme der Zuge­wan­der­ten und ihrer Nach­fah­ren sind diese ebenso wenig rea­li­siert wie bei­spiels­weise ohne Frauen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 12/2019-01/2020.

Von |2019-12-20T12:28:01+01:00Dezember 20th, 2019|Medien|Kommentare deaktiviert für

Diver­si­tät und Par­ti­zi­pa­tion in den Medien

Kri­ti­sche Per­spek­ti­ven der trans­kul­tu­rel­len Kommunikationswissenschaft

Christine Horz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum.