Noam Petri studiert und setzt sich seit seiner Schulzeit für die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in Deutschland und gegen jede Form von Antisemitismus ein. Dafür erhielt er bereits mehrere Auszeichnungen und Nominierungen, wie zum Beispiel den Frankfurter Bürgerpreis für ehrenamtliches Engagement, den zweiten Platz des Beni-Bloch-Preises sowie eine Nominierung für den Deutschen Engagementpreis. Er ist der Social-Media-Beauftragte der Jüdischen Studierendenunion, engagiert sich in dem IKI-Projekt der Woche „Zusammen1 – Für das, was uns verbindet“ von MAKKABI Deutschland e.V. und hält Vorträge vor Gleichaltrigen, um ihnen „auf Augenhöhe“ jüdisches Leben zu vermitteln.
Vielen Dank, Noam Petri, für dein vielseitiges ehrenamtliches Engagement!
Gab es ein Schlüsselmoment, das Auslöser für dein Engagement war? Was bewegte dich dazu?
Den einen Moment gab es nicht. Meine Motivation für das Engagement entstand aus einer Symbiose meiner Familiengeschichte und meiner Erfahrungen mit Antisemitismus. Ich bin in einer sehr aktiven Familie groß geworden, in welcher das Ehrenamt als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Mein Urgroßvater Ernst Simons kehrte nach der Shoa als deutscher Jude nach Köln zurück, gründete die Jüdische Gemeinde Köln und engagierte sich im christlich-jüdischen Dialog. Vier Generationen später bin ich an der Reihe und versuche meinen Teil beizutragen. Es ist kein rein interreligiöser Dialog, sondern der Versuch, jüdisches Leben in seiner Normalität zu präsentieren und das uralte Problem des Antisemitismus zu bekämpfen.
Du spielst seit deiner Kindheit bei MAKKABI Fußball, bist dort im Jugendvorstand und arbeitest im Projekt „Zusammen1“ mit. Was bedeutet der Sport für dich?
Im unpolitischen Sinne ist der Sport für mich eine Möglichkeit, außerhalb der Schule bzw. des Studiums an sich zu arbeiten, körperlich fit zu bleiben, den Kopf freizubekommen und gleichzeitig Spaß zu haben. Neben diesen positiven Effekten kann durch den Sport sehr viel Positives im politischen Sinne erreicht werden.
„In keinem anderen gesellschaftlichen Raum können so früh und so schnell Grundwerte wie Fairness, Gleichheit und Zusammenhalt vermittelt werden – und das in Verbindung mit großem Spaß!“
Das Projekt „Zusammen1“ zielt genau auf diese Wertevermittlung ab. Es ist ein Präventionsprojekt gegen Antisemitismus, welches das gesamtgesellschaftliche Problem des Antisemitismus präventiv im Sport bekämpfen will. Dies geschieht durch pädagogische Trainingseinheiten oder Vorträge, wie z.B. an Schulen oder in Sportvereinen.
Du bist zudem sehr aktiv in den sozialen Medien und äußerst dich dort zu antisemitischen Inhalten und zum politischen Geschehen. Welche Rolle spielen die sozialen Medien deiner Meinung nach bei der Vermittlung von Informationen und welche Gefahren birgt das Netz diesbezüglich?
Die sozialen Medien sind als solches neutral. In der heutigen Zeit führen sie leider zur Polarisierung und Radikalisierung der Gesellschaft. Es gibt viele, sehr positive Beispiele in den Sozialen Medien, die besonders die junge Generation auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht haben. Selbstständiges Weiterbilden ist durch die extrem große Anzahl an verfügbaren Informationen so leicht wie noch nie. Doch die große Anzahl an Fake News und Halbwahrheiten zerstören die Debattenkultur und schüren Hass.
„Die Sozialen Medien sind die besten Freunde der Antisemiten. In wenigen Minuten lassen sich Verschwörungstheorien und Fake News an Millionen Menschen verbreiten. Selbst unpolitische Influencer lassen sich regelmäßig mitreißen und verbreiten bewusst oder unbewusst Lügen.“
Auch deswegen sind antisemitische Attacken und Demonstrationen bedauerlicherweise „normal“ geworden. Gegen diese Probleme muss die Politik etwas unternehmen.
Im Jahr 2021 erreichte die politisch motivierte Kriminalität in Deutschland einen neuen Höchststand und besonders die Zahl antisemitischer Straftaten stieg im Vergleich zum Vorjahr deutlich an. Wie nimmst du diese Entwicklung wahr und was würdest du dir für die Zukunft wünschen?
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass die steigenden Zahlen mich erschrecken. Diese Entwicklung lässt sich seit Jahren beobachten. Es wundert mich nicht. An den Gedenktagen heißt es „Nie wieder!“ und „Wehret den Anfängen!“, aber bei der Documenta, bei antisemitischen Demonstrationen oder bei Roger Waters wird nicht eingegriffen oder es wird auch noch „banalisiert und legalisiert“. Ich wünsche mir Konsequenz. Wer „Nie wieder!“ sagt, muss entsprechend handeln.
„Antisemitismus ist gesamtgesellschaftlich wiederzufinden. Wer ihn nur bei den anderen sieht und ihn für seine politischen Zwecke missbraucht, um gegen andere Politik zu machen, ist Teil des Problems.“
Das „die-anderen-sind-schuld-am-Antisemitismus“-Spiel oder die wahnsinnige Behauptung, dass es keinen Antisemitismus gäbe, müssen aufhören. Besonders die wachsende Akzeptanz von antisemitischen Chiffren ist besorgniserregend. Es gibt Menschen, die von der „zionistischen Weltverschwörung“ oder ähnlichem reden und trotzdem der Meinung sind, keine Antisemiten zu sein. Zusammengefasst: Konsequentes Handeln gegen jede Form des Antisemitismus – auch den versteckten.
Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für dich „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist deine „Lieblingsthese“?
Meine Lieblingsthese ist die These 1: „Das Grundgesetz als Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland muss gelebt werden.“ Sie ist das Synonym des Satzes: „Jeder ist jemand“ von George Tabori. Unser Grundgesetz, ganz besonders der erste Artikel, schützt unser demokratisches Miteinander. Ohne unser gelebtes Grundgesetz wäre Deutschland ein dunkles Deutschland. Auf dieser Verfassung baut der Rest auf. Es ist unser Fundament. „Zusammenhalt in Vielfalt“ bedeutet für mich, dass wir uns auf grundlegende Werte einigen und stolz darauf sind, dass wir dieses Grundgesetz haben — ein Aufruf zum Wertepatriotismus.
Vielen Dank!