Orte der Mahnung

Anti­se­mi­ti­sche Bild­werke in christ­li­chen Kirchen

Die aller­meis­ten, auch kul­tur­po­li­ti­schen Debat­ten enden nicht mit einer sinn­vol­len Ver­stän­di­gung oder einem trag­fä­hi­gen Kom­pro­miss. Sie ver­eb­ben und ver­san­den in all­sei­ti­ger Ermat­tung, lau­fen ein­fach in Lan­ge­weile aus oder wer­den von ande­ren Erre­gungs­wel­len über­rollt und von neuen Pro­ble­men ersetzt. So weit, so resigniert.

Doch manch­mal kommt ein Gesprächs­bei­trag, der eine eigent­lich erschöpfte Debatte mit neuem Leben erfüllt. Genau dies ist nun dem Archi­tek­tur­kri­ti­ker, Kunst­his­to­ri­ker und Jour­na­lis­ten Niko­laus Ber­nau gelun­gen. Er stellt die Dis­kus­sion über den Umgang mit juden­feind­li­chen Bild­wer­ken an und in christ­li­chen Kir­chen auf eine bes­sere Grund­lage und ver­leiht ihr mit über­ra­schen­den Ein­sich­ten einen neuen Schwung. Dabei hatte ich gerade den Ein­druck gewon­nen, in die­ser hoch­auf­ge­reg­ten Dis­kus­sion würde es nichts Inter­es­san­tes mehr zu hören geben.

Für sei­nen pro­fun­den Auf­satz in der neuen Aus­gabe der Zeit­schrift „Kunst und Kir­che“ hat Ber­nau eine müh­se­lige Arbeit auf sich genom­men, für die im Mei­nungs­ge­tüm­mel nie­mand sonst die Zeit gefun­den hat. Er hat zunächst umsich­tig das Feld ver­mes­sen und unter­sucht, wo eigent­lich die infa­men „Juden­sauen“ heute noch zu fin­den sind. Man­ches, was er da zusam­men­trägt, war mir bekannt: die Stadt­kir­che zu Wit­ten­berg, St. Sebal­dus in Nürn­berg, St. Niko­lai in Zerbst. Ande­res wusste ich nicht. Bei­spiels­weise, dass sol­che Bild­werke auch an mit­tel­al­ter­li­chen Pri­vat- und Rat­häu­sern ange­bracht waren.

Auch die geo­gra­fi­sche Streu­ung hat mich über­rascht: von Deutsch­land ins Elsass, in die Schweiz, nach Öster­reich und Tsche­chien, zur Slo­wa­kei und nach Polen, im Wes­ten nach Frank­reich und Bel­gien, schließ­lich hoch in den Nor­den bis nach Däne­mark und Schwe­den. Und sogar in Por­tu­gal fin­det sich eine die­ser „Sauen“. Es ist also nicht allein ein deut­sches, son­dern eben auch ein euro­päi­sches Thema. Aller­dings mit der Aus­nahme von Eng­land, wo es keine sol­che Bild­werke geben soll – was der Kir­chen­his­to­ri­ker Tho­mas Kauf­mann aber damit erklärt hat, dass die jüdi­sche Bevöl­ke­rung schon vor Auf­kom­men die­ses Motivs ver­trie­ben wor­den war.

Ber­nau moniert jedoch, dass immer noch ein wirk­lich prä­zi­ser Über­blick über alle Exem­plare die­ses Motivs fehle. Das sei nicht nur ein sta­tis­tisch-archi­va­li­sches Pro­blem. Viel­mehr ließe sich des­halb nicht genau sagen, ob diese „Sauen“ eigent­lich „im Ver­gleich zu ande­ren anti­jü­di­schen Moti­ven tat­säch­lich von beson­de­rer Wir­kungs­re­le­vanz waren oder letzt­lich eine Aus­nahme, die erst in jüngs­ter Zeit an Rele­vanz gewann“. Dann würde die Beschäf­ti­gung mit ihnen eher etwas über uns heute sagen als über die Men­schen damals. Lei­der wis­sen wir fast nichts über die Motive der Auf­trag­ge­ber, aus­füh­ren­den Bild­hauer und die Reak­tio­nen der Men­schen im Mit­tel­al­ter sowie in der frü­hen Neuzeit.

Sehr ver­dienst­voll ist, dass Ber­nau 46 betrof­fene evan­ge­li­sche und katho­li­sche Kir­chen ange­schrie­ben und ihnen einen kur­zen Fra­ge­bo­gen zuge­sandt hat. Denn er wollte her­aus­fin­den, wel­che unter­schied­li­chen For­men des Umgangs die jewei­li­gen Kir­chen­ge­mein­den ent­wi­ckelt und wel­che Erfah­run­gen sie dabei gemacht haben. Der Rück­lauf war erstaun­lich hoch. Drei Vier­tel haben ihm geant­wor­tet. Das vierte Vier­tel hat er noch ein­mal ange­ru­fen. Einige erklär­ten ihr Schwei­gen mit Per­so­nal­man­gel oder mit der Angst vor Anfeindung.

Ins­ge­samt fand Ber­nau in den Ant­wor­ten Belege „einer oft tief­ge­hen­den his­to­ri­schen, mora­li­schen und reli­giö­sen Selbst­be­fra­gung“, die in den Medien zumeist nicht ange­mes­sen dar­ge­stellt wird. Die Debat­ten in den Kir­chen­ge­mein­den und ihren jewei­li­gen Kon­tex­ten waren fast immer lang und inten­siv. Die jewei­li­gen „Lösun­gen“ wur­den durch­weg als vor­läu­fig bezeich­net. Die Aller­meis­ten haben sich aber für einen Ver­bleib der pro­ble­ma­ti­schen Bild­werke ent­schie­den, weil man sich nur „in situ“ mit die­sen Zeug­nis­sen von Ver­ir­rung und Schuld ange­mes­sen aus­ein­an­der­set­zen könne. Die Über­gabe an ein Museum wurde von allen abge­lehnt. Man würde so ein eige­nes Pro­blem an eine staat­li­che Insti­tu­tion dele­gie­ren: „Damit machen wir es uns zu einfach!“

Sinn­vol­ler erschie­nen den Kir­chen­ge­mein­den, über diese Bil­der trans­pa­rent zu infor­mie­ren, sich öffent­lich von ihnen zu distan­zie­ren und sie als Orte der Mah­nung zu nut­zen. Einige set­zen den alten Bil­dern des Has­ses und der Ver­ach­tung heu­tige Kunst­werke ent­ge­gen. Über Gestalt und Wir­kung die­ser Gegen­bil­der würde ich gern noch mehr erfahren.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 02/2023.

Von |2023-11-07T10:12:19+01:00Februar 3rd, 2023|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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Anti­se­mi­ti­sche Bild­werke in christ­li­chen Kirchen

Johann Hinrich Claussen ist Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.