E und U war ges­tern, Unter­hal­tung ist heute

Das Leichte den Pri­va­ten, das Schwere ARD und ZDF? Nein danke!

In mei­nen Augen ist ein Gegen­satz E(rnst) und U(nterhaltung) voll­stän­dig aus der Zeit gefal­len. Ich lasse mich sehr gern von Hol­ly­wood-Fil­men unter­hal­ten, ich bin ein gro­ßer Fan von Sci­ence-Fic­tion-Serien, ange­fan­gen von „Raum­pa­trouille Orion“ bis aktu­ell „Star Trek: Dis­co­very“, ich erfreue mich an Jazz-Ope­ret­ten, ich begeis­tere mich für Bruck­ner-Kon­zerte, ich schwärme für Aus­stel­lun­gen zeit­ge­nös­si­scher bil­den­der Kunst und vie­les ande­res mehr. Mein Kul­tur­ge­nuss schließt vie­les ein: Unter­halt­sa­mes, Erns­tes, Schwe­res, Trau­ri­ges, Humo­ris­ti­sches, Nach­denk­li­ches, Kit­schi­ges, Klu­ges und so wei­ter und so fort. Wesent­lich ist für mich, es muss mir Spaß machen.

Obwohl satt­sam bekannt ist, dass E und U kaum zu tren­nen sind, wird immer wie­der eine Unter­schei­dung getrof­fen, in der letzt­lich eine Wer­tung ent­hal­ten ist. E = anspruchs­voll, U = banal. Diese Wer­tung dient als Abgren­zungs-, als Distink­ti­ons­merk­mal. Kurz gesagt: die Unter­hal­tung für das „ein­fa­che Volk“, die ernste Kunst für den Bil­dungs­bür­ger oder die Bil­dungs­bür­ge­rin bzw. die­je­ni­gen, die sich dafür hal­ten und die Abgren­zung nötig haben.

Nun könnte man mei­nen, dass eine Ein­tei­lung zwi­schen U und E eine rein pri­vate Ange­le­gen­heit sei, und jeder doch die Kul­tur genie­ßen möge, die ihm oder ihr gefällt. Rele­vant wird die Ein­tei­lung zwi­schen E und U, wenn es um die öffent­li­che Kul­tur­för­de­rung oder um den Pro­gramm­auf­trag des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks geht.

Robert Habeck, heute Vize­kanz­ler und Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter, hat im März 2021 in der Zeit­schrift Rol­ling Stone gesagt: „Es braucht mas­sive öffent­li­che Inves­ti­tio­nen in die öffent­li­chen Räume, Min­dest­si­cher­hei­ten für Krea­tive und eine gleich­be­rech­tigte Wert­schät­zung aller Kul­tur­for­men in der För­de­rung, um damit die Unter­schei­dung zwi­schen E- und U-Musik aufzuheben.“

Im Koali­ti­ons­ver­trag von SPD, Bünd­nis 90/Die Grü­nen und FDP heißt es ent­spre­chend: „Wir wol­len Kul­tur mit allen ermög­li­chen, indem wir ihre Viel­falt und Frei­heit sichern, unab­hän­gig von Orga­ni­sa­ti­ons- oder Aus­drucks­form, von Klas­sik bis Comic, von Platt­deutsch bis Plat­ten­la­den. Wir sind über­zeugt: Kul­tu­relle und künst­le­ri­sche Impulse kön­nen den Auf­bruch unse­rer Gesell­schaft beför­dern, sie inspi­rie­ren und schaf­fen öffent­li­che Debat­ten­räume.“ Auch hier also die Auf­he­bung einer Tren­nung von E und U bzw. zumin­dest die Gleich­set­zung der soge­nann­ten Erns­ten und der Unterhaltungskunst.

Ist also alles geklärt? Gibt es keine Fra­gen mehr, und ist die Unter­schei­dung obso­let gewor­den? Ich denke, nein. Nach wie vor hält sich die Unter­schei­dung, oder bes­ser Abgren­zung, hart­nä­ckig. Viele Unter­hal­tungs­künst­le­rin­nen und -künst­ler beto­nen immer wie­der, wie viel harte Arbeit dahin­ter steckt, ein Publi­kum gut zu unter­hal­ten und dass es weit­aus schwe­rer ist, jeman­den zum Lachen als zum Wei­nen zu bringen.

Immer wie­der wird – min­des­tens unter­schwel­lig – eine Unter­schei­dung gemacht, wenn die Frage auf­ge­wor­fen wird, ob öffent­li­che För­de­rung gewährt wird oder ob ein bestimm­tes Ange­bot sei­nen Platz im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk hat. Dahin­ter steht eine Hal­tung, dass alles, was unter­hält, sich auch öko­no­misch lohnt und daher dem pri­vat­wirt­schaft­li­chen Kul­tur- und Medi­en­sek­tor zuge­ord­net wird, und alles, was ernst und schwer ver­dau­lich ist, öffent­lich geför­dert wer­den sollte bzw. Auf­gabe des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks ist. Über­spitzt könnte man sagen, alles, was leicht ist, den Pri­va­ten, und alles, was schwer ist, dem öffent­li­chen Sektor.

Eine sol­che Hal­tung wird der viel­fäl­ti­gen Unter­hal­tungs­land­schaft in Deutsch­land aber nicht gerecht. Unter­hal­tung ist äußerst viel­ge­stal­tig. Zu ihr gehört die popu­läre Musik ebenso wie das Volks­thea­ter, das Musi­cal genauso wie die Vor­abend­se­rie, das Kaba­rett­pro­gramm wie das Com­pu­ter­spiel. Und vor allem zäh­len zur Unter­hal­tung die vie­len Misch­for­men, das Cross-over, das Kunst und Kul­tur inter­es­sant und span­nend macht.

„Pop meets Klas­sik“ ist längst ein alter Hut, Musi­ke­rin­nen und Musi­ker, die eine „klas­si­sche“ Aus­bil­dung an einer Musik­hoch­schule durch­lau­fen haben, arbei­ten mit Pop­mu­si­ke­rin­nen und Pop­mu­si­kern in span­nen­den Pro­jek­ten zusam­men. Dass Unter­hal­tungs­stars nicht nur bril­lant unter­hal­ten, son­dern auch poli­ti­sche Bot­schaf­ten sen­den kön­nen, beweist das Duo Joko und Klaas immer wie­der aufs Neue. In ihrer Show „Joko & Klaas gegen Pro­Sie­ben“ spie­len die bei­den gegen ihren Haus­sender ProSiebenSat1. Sie kön­nen 15 Minu­ten Sen­de­zeit zur Prime­time gewin­nen, die sie frei zur Ver­fü­gung haben. Diese 15 Minu­ten haben die bei­den in der Ver­gan­gen­heit auch für poli­ti­sche State­ments ein­ge­setzt. Bei­spiele hier­für sind die 15 Minu­ten, in denen sie sich in der Hoch­phase der Coro­na­pan­de­mie für das Imp­fen stark gemacht haben; in denen sie eine Band in der Ukraine beglei­tet haben; in denen sie sich für Ira­ne­rin­nen ein­ge­setzt haben und ande­res mehr. Beson­ders ein­drück­lich waren die längs­ten 15 Minu­ten: Über sie­ben Stun­den wurde die Arbeit einer Pfle­ge­kraft in einem Kran­ken­haus fil­misch beglei­tet und gesen­det. Joko und Klaas sind ein Bei­spiel, wie Unter­hal­tung in einem pri­va­ten Sen­der genutzt wird, um auch poli­ti­sche The­men zu plat­zie­ren und ein Publi­kum für diese The­men zu sen­si­bi­li­sie­ren, das sich in ers­ter Linie amü­sie­ren will, aber rich­tig ange­spro­chen auch sehr ernst sein kann. Poli­ti­sches State­ment und Unter­hal­tung schlie­ßen sich ebenso wenig aus wie kul­tu­relle Viel­falt in der Unter­hal­tungs­bran­che. Gesell­schaft­lich rele­vante The­men, wie z. B. der Umgang mit KI, der Kli­ma­wan­del und ande­res mehr, sind schon lange Gegen­stand von Unter­hal­tung, und da gehö­ren sie auch hin.

Inso­fern bin ich der fes­ten Über­zeu­gung, dass E und U ges­tern waren, Unter­hal­tung heute ist.

Die­ser Test ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 02/2023.

Von |2023-03-06T11:57:54+01:00Februar 3rd, 2023|Medien|Kommentare deaktiviert für

E und U war ges­tern, Unter­hal­tung ist heute

Das Leichte den Pri­va­ten, das Schwere ARD und ZDF? Nein danke!

Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur.