Olaf Zimmermann 3. Februar 2023 Logo_Initiative_print.png

E und U war ges­tern, Unter­hal­tung ist heute

Das Leichte den Pri­va­ten, das Schwere ARD und ZDF? Nein danke!

In meinen Augen ist ein Gegensatz E(rnst) und U(nterhaltung) vollständig aus der Zeit gefallen. Ich lasse mich sehr gern von Hollywood-Filmen unterhalten, ich bin ein großer Fan von Science-Fiction-Serien, angefangen von „Raumpatrouille Orion“ bis aktuell „Star Trek: Discovery“, ich erfreue mich an Jazz-Operetten, ich begeistere mich für Bruckner-Konzerte, ich schwärme für Ausstellungen zeitgenössischer bildender Kunst und vieles anderes mehr. Mein Kulturgenuss schließt vieles ein: Unterhaltsames, Ernstes, Schweres, Trauriges, Humoristisches, Nachdenkliches, Kitschiges, Kluges und so weiter und so fort. Wesentlich ist für mich, es muss mir Spaß machen.

Obwohl sattsam bekannt ist, dass E und U kaum zu trennen sind, wird immer wieder eine Unterscheidung getroffen, in der letztlich eine Wertung enthalten ist. E = anspruchsvoll, U = banal. Diese Wertung dient als Abgrenzungs-, als Distinktionsmerkmal. Kurz gesagt: die Unterhaltung für das „einfache Volk“, die ernste Kunst für den Bildungsbürger oder die Bildungsbürgerin bzw. diejenigen, die sich dafür halten und die Abgrenzung nötig haben.

Nun könnte man meinen, dass eine Einteilung zwischen U und E eine rein private Angelegenheit sei, und jeder doch die Kultur genießen möge, die ihm oder ihr gefällt. Relevant wird die Einteilung zwischen E und U, wenn es um die öffentliche Kulturförderung oder um den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht.

Robert Habeck, heute Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister, hat im März 2021 in der Zeitschrift Rolling Stone gesagt: „Es braucht massive öffentliche Investitionen in die öffentlichen Räume, Mindestsicherheiten für Kreative und eine gleichberechtigte Wertschätzung aller Kulturformen in der Förderung, um damit die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik aufzuheben.“

Im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP heißt es entsprechend: „Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen, indem wir ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen. Wir sind überzeugt: Kulturelle und künstlerische Impulse können den Aufbruch unserer Gesellschaft befördern, sie inspirieren und schaffen öffentliche Debattenräume.“ Auch hier also die Aufhebung einer Trennung von E und U bzw. zumindest die Gleichsetzung der sogenannten Ernsten und der Unterhaltungskunst.

Ist also alles geklärt? Gibt es keine Fragen mehr, und ist die Unterscheidung obsolet geworden? Ich denke, nein. Nach wie vor hält sich die Unterscheidung, oder besser Abgrenzung, hartnäckig. Viele Unterhaltungskünstlerinnen und -künstler betonen immer wieder, wie viel harte Arbeit dahinter steckt, ein Publikum gut zu unterhalten und dass es weitaus schwerer ist, jemanden zum Lachen als zum Weinen zu bringen.

Immer wieder wird – mindestens unterschwellig – eine Unterscheidung gemacht, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob öffentliche Förderung gewährt wird oder ob ein bestimmtes Angebot seinen Platz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat. Dahinter steht eine Haltung, dass alles, was unterhält, sich auch ökonomisch lohnt und daher dem privatwirtschaftlichen Kultur- und Mediensektor zugeordnet wird, und alles, was ernst und schwer verdaulich ist, öffentlich gefördert werden sollte bzw. Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Überspitzt könnte man sagen, alles, was leicht ist, den Privaten, und alles, was schwer ist, dem öffentlichen Sektor.

Eine solche Haltung wird der vielfältigen Unterhaltungslandschaft in Deutschland aber nicht gerecht. Unterhaltung ist äußerst vielgestaltig. Zu ihr gehört die populäre Musik ebenso wie das Volkstheater, das Musical genauso wie die Vorabendserie, das Kabarettprogramm wie das Computerspiel. Und vor allem zählen zur Unterhaltung die vielen Mischformen, das Cross-over, das Kunst und Kultur interessant und spannend macht.

„Pop meets Klassik“ ist längst ein alter Hut, Musikerinnen und Musiker, die eine „klassische“ Ausbildung an einer Musikhochschule durchlaufen haben, arbeiten mit Popmusikerinnen und Popmusikern in spannenden Projekten zusammen. Dass Unterhaltungsstars nicht nur brillant unterhalten, sondern auch politische Botschaften senden können, beweist das Duo Joko und Klaas immer wieder aufs Neue. In ihrer Show „Joko & Klaas gegen ProSieben“ spielen die beiden gegen ihren Haussender ProSiebenSat1. Sie können 15 Minuten Sendezeit zur Primetime gewinnen, die sie frei zur Verfügung haben. Diese 15 Minuten haben die beiden in der Vergangenheit auch für politische Statements eingesetzt. Beispiele hierfür sind die 15 Minuten, in denen sie sich in der Hochphase der Coronapandemie für das Impfen stark gemacht haben; in denen sie eine Band in der Ukraine begleitet haben; in denen sie sich für Iranerinnen eingesetzt haben und anderes mehr. Besonders eindrücklich waren die längsten 15 Minuten: Über sieben Stunden wurde die Arbeit einer Pflegekraft in einem Krankenhaus filmisch begleitet und gesendet. Joko und Klaas sind ein Beispiel, wie Unterhaltung in einem privaten Sender genutzt wird, um auch politische Themen zu platzieren und ein Publikum für diese Themen zu sensibilisieren, das sich in erster Linie amüsieren will, aber richtig angesprochen auch sehr ernst sein kann. Politisches Statement und Unterhaltung schließen sich ebenso wenig aus wie kulturelle Vielfalt in der Unterhaltungsbranche. Gesellschaftlich relevante Themen, wie z. B. der Umgang mit KI, der Klimawandel und anderes mehr, sind schon lange Gegenstand von Unterhaltung, und da gehören sie auch hin.

Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass E und U gestern waren, Unterhaltung heute ist.

Dieser Test ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.

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