„Orga­ni­sa­ti­ons- und Ver­ant­wor­tungs­ver­sa­gen in gro­ßem Ausmaß“

Josef Schus­ter im Gespräch

Monate bevor die docu­menta fif­teen über­haupt eröff­nete, regte sich bereits Kri­tik und Beden­ken: Werde es Anti­se­mi­tis­mus auf der Kunst­schau geben? Für seine War­nun­gen wurde der Zen­tral­rat der Juden vorab von vie­len Sei­ten kri­ti­siert. Im Juni haben sich diese bestä­tigt: Anti­se­mi­ti­sche Motive wur­den aus­ge­stellt. Hans Jes­sen spricht mit dem Prä­si­den­ten des Zen­tral­rats der Juden Josef Schuster.

Hans Jes­sen: Herr Schus­ter, wir füh­ren die­ses Inter­view wenige Stun­den, nach­dem Paläs­ti­nen­ser­prä­si­dent Mah­moud Abbas bei einer Pres­se­kon­fe­renz im Kanz­ler­amt Israel „50 Holo­causts an den Paläs­ti­nen­sern“ vor­ge­wor­fen hatte. Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz reagierte mit Empö­rung – aber erst nach der Pres­se­kon­fe­renz. Was war das für ein Moment?
Josef Schus­ter: Das waren Holo­caust-Rela­ti­vie­rung und Anti­se­mi­tis­mus auf der Bühne des Kanz­ler­amts. Ich bin ehr­li­cher­weise scho­ckiert, dass in Deutsch­land, im Jahr 2022, im Bun­des­kanz­ler­amt, sol­che Äuße­run­gen zunächst unwi­der­spro­chen gemacht wer­den kön­nen. Offen­sicht­lich war es so, dass Bun­des­kanz­ler Scholz in dem Moment nicht der Gedanke gekom­men ist, dass er dar­auf sofort etwas sagen müsse, auch wenn es die letzte Frage der Pres­se­kon­fe­renz war. Ich bin auch irri­tiert über den nach­fol­gen­den Hand­schlag mit Abbas.

Unser eigent­li­ches Thema ist die docu­menta fif­teen. Sind Sie froh, wenn sie am 25. Sep­tem­ber schließt?
Wir erle­ben, wie immer neue Aus­stel­lungs­stü­cke mit anti­se­mi­ti­schen Moti­ven ent­deckt wer­den und von einem dar­un­ter­lie­gen­den anti­se­mi­ti­schen Nar­ra­tiv zeu­gen. Die docu­menta dau­ert, in die­ser Form, viel zu lange.

Wie ist Ihr Befund nach gut einem hal­ben Jahr hef­ti­ger Aus­ein­an­der­set­zung um die docu­menta fif­teen: Zeigt sich hier Anti­se­mi­tis­mus als Struk­tur­ele­ment der Kunst- und Kul­tur­szene – oder haben wir es eher mit einem Orga­ni­sa­ti­ons- und Ver­ant­wor­tungs­ver­sa­gen zu tun?
Ich neige nicht zu Ver­all­ge­mei­ne­run­gen. Ich halte es für wich­tig, dass sich die Kunst- und Kul­tur­szene offen und ehr­lich mit dem Anti­se­mi­tis­mus in der eige­nen Bran­che befasst, ins­be­son­dere mit dem israel­be­zo­ge­nen Anti­se­mi­tis­mus. Bei der docu­menta fif­teen gab es ein Orga­ni­sa­ti­ons- und Ver­ant­wor­tungs­ver­sa­gen in gro­ßem Aus­maß. Insti­tu­tio­nell sind es die Ver­an­stal­ter der docu­menta. Dem Auf­sichts­rat ist es zwar gelun­gen, mit der Abbe­ru­fung der Geschäfts­füh­rung ein Zei­chen zu set­zen – aber wie wenig die­ses Zei­chen bewirkt, sieht man an der Beru­fung des neuen Geschäfts­füh­rers und auch daran, dass es nicht gelun­gen ist, eine docu­menta ohne Anti­se­mi­tis­mus zu präsentieren.

Sie haben früh, seit Januar, auf das Risiko anti­se­mi­ti­scher Ten­den­zen im Kon­text der docu­menta fif­teen hin­ge­wie­sen – warum sind Sie damit nicht durchgedrungen?
Zunächst muss man sagen, dass wir auf die Sorge um israel­be­zo­ge­nen Anti­se­mi­tis­mus hin­ge­wie­sen haben. Das, was wir jetzt sehen, habe ich mir in mei­nen schlimms­ten Alb­träu­men nicht vor­stel­len kön­nen. Warum wir nicht durch­ge­drun­gen sind? Uns wurde immer wie­der von ver­schie­de­nen Stel­len erklärt, man habe sich rück­ge­kop­pelt und es wurde ver­si­chert, dass es kei­nen Anti­se­mi­tis­mus auf der docu­menta geben werde.

Frau Roth sagt, sie bzw. ihre Behörde habe sehr früh ver­sucht, ein Exper­ten­gre­mium ein­zu­set­zen, um im Vor­feld der docu­menta fif­teen die Anti­se­mi­tis­mus­ge­fahr wis­sen­schaft­lich fun­diert zu the­ma­ti­sie­ren – der Vor­schlag sei auch daran geschei­tert, dass die BKM in den docu­menta-Gre­mien nichts zu sagen habe. Hat sie recht?
Das kann ich nicht beur­tei­len. Selbst wenn Frau Roth in den Gre­mien kein Stimm­recht besitzt, so gehe ich doch davon aus, dass die Staats­mi­nis­te­rin für Kul­tur und Medien in die­sen Gre­mien Ein­fluss haben muss und haben sollte – wenn nicht, läge etwas mit der Struk­tur im Argen. Unab­hän­gig davon: Auch das Land Hes­sen sitzt im Auf­sichts­rat, der Ober­bür­ger­meis­ter von Kas­sel ist Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der. Dass es auch ihnen nicht gelun­gen ist, das zu ver­hin­dern, was jetzt ein­ge­tre­ten ist, wirft ein pro­ble­ma­ti­sches Licht auf sie.

Selbst­kri­tisch war aus der BKM-Behörde zu hören, man habe unter­schätzt, dass unter dem Nar­ra­tiv anti­ka­pi­ta­lis­ti­scher und anti­ko­lo­nia­lis­ti­scher Kunst­aus­sa­gen sich auch Anti­se­mi­tis­mus ver­ber­gen könne.
Als Selbst­kri­tik ist das rich­tig. Es ist aber genau das, was wir von Anfang an als Sorge vor­ge­tra­gen haben. Das wurde jedoch immer vom Tisch gewischt mit dem Hin­weis auf die „Frei­heit der Kunst“. – Aber Kunst­frei­heit hat dort ihre Gren­zen, wo Men­schen­feind­lich­keit beginnt.

Im Kul­tur­aus­schuss des Deut­schen Bun­des­tags sprach der Geschäfts­füh­rer des Zen­tral­rats der Juden, Daniel Bot­mann, von „Selbst­rei­ni­gungs­kräf­ten“ zur Anti­se­mi­tis­mus-Bekämp­fung. War das eine glück­li­che Wort­wahl? „Selbst­rei­ni­gungs­kräfte“ haben in Deutsch­land einen dunk­len Klang …
Die Wort­wahl ist sicher nicht glück­lich, aber es war wich­tig auf­zu­zei­gen, dass der Kul­tur­be­reich in Tei­len offen­sicht­lich ein Anti­se­mi­tis­mus-Pro­blem hat.

Die harte Linie des Zen­tral­rats ist: Künst­ler, die in irgend­ei­ner Weise die Boy­kot­t­in­itia­tive BDS unter­stüt­zen, sol­len nicht gezeigt wer­den. Kann man das wirk­lich so schlicht sagen?
Der Deut­sche Bun­des­tag hat in einer weg­wei­sen­den Reso­lu­tion 2019 die Metho­den und Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter von BDS als anti­se­mi­tisch benannt. Darin heißt es auch, dass BDS-Unter­stüt­zer nicht mit öffent­li­chen Mit­teln geför­dert wer­den sol­len. Das unter­schreibe ich.

Sollte dem­zu­folge der israe­lisch-bri­ti­sche Archi­tekt Eyal Weiz­mann, ein BDS-Unter­stüt­zer, keine öffent­li­che För­de­rung erhal­ten für sein künst­le­risch hoch­ge­lob­tes Pro­jekt, das den Anschlag von Hanau als rechts­ra­di­ka­len Ter­ror bewusst macht?
Es geht nicht, in Deutsch­land öffent­lich BDS zu pro­pa­gie­ren. Wenn er das mal gemacht hat, aber gleich­zei­tig ein künst­le­risch inter­es­san­tes Werk über den Anschlag in Hanau schafft, was mit BDS nichts zu tun hat, ist das für mich kein Grund, ihn von einer För­de­rung auszuschließen.

Es ist aber auch eine Erfah­rung und Sorge jüdi­scher und nicht­jü­di­scher Künst­ler, dass BDS-Akti­vis­ten ver­su­chen, ihre Auf­tritts­mög­lich­kei­ten ein­zu­schrän­ken. Tat­säch­lich ist es doch die BDS-Kam­pa­gne, wel­che die Kunst­frei­heit mas­siv bedroht. Die Befür­wor­ter keh­ren das infa­mer­weise ein­fach um.

Wel­che Kon­se­quen­zen sind aus der docu­menta fif­teen zu zie­hen? War der Ansatz, Kunst aus der Per­spek­tive des „Glo­ba­len Südens“ zu zei­gen, und die Aus­stel­lung von einem Kol­lek­tiv kura­tie­ren zu las­sen, falsch?
Nein, das würde ich nicht sagen. Es ist sehr wich­tig und span­nend, andere Per­spek­ti­ven zu zei­gen, aber es muss für jeden Künst­ler oder auch Schrift­stel­ler klar sein, dass Anti­se­mi­tis­mus und jeg­li­che Men­schen­feind­lich­keit in der Kunst per se kei­nen Platz haben dür­fen. In Deutsch­land, vor dem Hin­ter­grund der Shoah, gilt das ganz beson­ders. Dar­aus resul­tiert für jeden, auch für jeden Künst­ler eine beson­dere Ver­ant­wor­tung für das, was sie tun oder auch nicht tun.

Das Kura­to­ren­kol­lek­tiv ruan­grupa erklärte, ihnen sei erst im Ver­lauf der Aus­ein­an­der­set­zun­gen bewusst gewor­den, dass Anti­se­mi­tis­mus in Deutsch­land eine andere Bedeu­tung hat als in ande­ren Kul­tu­ren. Ist es auch Orga­ni­sa­ti­ons­ver­sa­gen, wenn den Kura­to­ren dies von den docu­menta-Ver­ant­wort­li­chen nicht ver­mit­telt wurde?
Defi­ni­tiv ja! Vor allem, weil die docu­menta-Geschäfts­füh­rung ja selbst dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den war – aber nicht reagiert hat. Nach unse­ren War­nun­gen Anfang des Jah­res wäre noch genug Zeit gewe­sen, dies auch mit den Kura­to­ren inten­siv zu bespre­chen. Im Übri­gen bedeu­tet Anti­se­mi­tis­mus immer eine Bedro­hung, egal wo.

Wie kann für die Zukunft der docu­menta gewähr­leis­tet wer­den, dass die Kunst­frei­heit gesi­chert ist, aber die Kunst auch frei von Anti­se­mi­tis­mus ist?
Es beginnt mit der Aus­wahl der Kura­to­ren. Dabei muss für alle Kura­to­ren sicher­ge­stellt sein, dass es kei­ner­lei Platz für anti­se­mi­ti­sche Nar­ra­tive gibt – null Tole­ranz. Ich glaube, man war bei der Aus­wahl der Kura­to­ren und bei der Umset­zung des Kon­zepts zu blauäugig.

Sollte es expli­zit ver­bind­lich sein, dass Kunst­frei­heit dort endet, wo die Men­schen­würde ver­letzt wird – und dass Anti­se­mi­tis­mus die Ver­let­zung der Men­schen­würde bedeu­tet? Das Grund­ge­setz als Grenzmarke?
Ich denke, das wäre ein rich­ti­ger Ansatz. Nicht umsonst steht die Men­schen­würde ganz oben in der Ver­fas­sung. Die Müt­ter und Väter des Grund­ge­set­zes haben sich etwas dabei gedacht, dass das die oberste Maxime ist. Ich habe immer gedacht, dass das eigent­lich auto­ma­tisch ganz klar ist – aber viel­leicht muss man es doch vor einer solch gro­ßen, welt­be­deu­ten­den Kunst­schau noch ein­mal expli­zit darlegen.

Kann die hef­tige Anti­se­mi­tis­mus-Debatte die­ser docu­menta eigent­lich auch eine auf­klä­re­ri­sche, posi­tive Wir­kung haben?
Das hoffe ich zwar, bin aber nicht sehr davon über­zeugt, dass das pas­sie­ren wird. Eher sehe ich dies als Teil einer zuneh­men­den Ten­denz anti­se­mi­ti­scher Vor­fälle und Äuße­run­gen, die nach mei­ner Wahr­neh­mung in den letz­ten Jah­ren eher gestie­gen ist.

Vie­len Dank.

Die­ses Inter­view ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2022.
Von |2023-03-02T15:19:09+01:00September 5th, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

„Orga­ni­sa­ti­ons- und Ver­ant­wor­tungs­ver­sa­gen in gro­ßem Ausmaß“

Josef Schus­ter im Gespräch

Josef Schuster ist Präsident des Zentralrats der Juden. Hans Jessen ist freier Journalist und Publizist. Er war langjähriger ARD-Hauptstadtkorrespondent.