Die Wie­der­kehr einer gif­ti­gen Altlast

Die docu­menta fif­teen und der Linksextremismus

Dass auch mich eine Kata­stro­phen­ge­schichte mit der docu­menta ver­bin­det, liegt daran, dass ich zufäl­li­ger­weise über ein, zwei Bro­cken Spe­zi­al­wis­sen in Sachen Links­ter­ro­ris­mus ver­füge. Des­halb leuch­tete bei mir eine Warn­lampe dun­kel­rot auf, als ich in einem Arti­kel von Kia Vah­l­and in der Süd­deut­schen Zei­tung las, dass in der Reihe „Sub­ver­sive Films“ auch Werke von Masao Adachi gezeigt wür­den. Die­ser war Füh­rungs­ka­der der „Japa­ni­schen Roten Armee“. Über diese obskure Gruppe hatte ich in dem von Wolf­gang Kraus­haar her­aus­ge­ge­be­nen Sam­mel­werk „Die RAF und der linke Ter­ro­ris­mus“ einen Auf­satz von Clau­dia Derichs gele­sen. Deren Geschichte bie­tet Stoff für mehrere
Hor­ror­filme. Gleich die erste Aktion war 1972 ein Mas­sa­ker auf dem Flug­ha­fen von Tel Aviv. Das sollte man aus zwei Grün­den wis­sen. Zum einen fällt auf, dass alle drei ehe­ma­li­gen „Ach­sen-Mächte“ – Japan, Ita­lien, Deutsch­land – in den 1970er Jah­ren links­extreme Grup­pen her­vor­ge­bracht haben, die aus­ge­rech­net jüdi­sche Men­schen ter­ro­ri­sie­ren woll­ten. Zum ande­ren gibt es die These, dass diese Kami­kaze-Lin­ken das Kon­zept des Selbst­mord­an­schlags in die mus­li­mi­sche Welt impor­tiert haben.

Von Adachi wer­den nun auf der docu­menta frühe Pro­pa­gan­da­filme gezeigt. Die Web­seite weist auf seine Ter­ror­bio­gra­fie hin, als sei das kein Pro­blem oder sogar cool. Ich dage­gen finde diese Filme noch schlim­mer als die Skan­dal­bil­der. Denn hier geht es nicht „nur“ um juden­feind­li­che Kari­ka­tu­ren, son­dern um die Ehrung eines Haupt­ver­ant­wort­li­chen des Ter­rors gegen Israel. Natür­lich könnte man auch von Mör­dern Kunst­werke aus­stel­len. Aber nur, wenn man es begrün­det und dar­über Aus­kunft gibt. Das ist hier nicht der Fall. Ich habe zwei Anfra­gen bei der docu­menta gestellt. Sie wur­den ebenso wenig beant­wor­tet wie Anfra­gen vom Evan­ge­li­schen Pres­se­dienst. Auf öffent­li­che Äuße­run­gen von mir gab es auch keine Reaktion.

Bei mei­nem Besuch in Kas­sel habe ich diese Filme nicht gese­hen, weil es keine prä­zi­sen Anga­ben dar­über gab, wann sie gezeigt wür­den. Statt­des­sen bin ich nach Bet­ten­hau­sen raus­ge­fah­ren, um mir in einem ehe­ma­li­gen Hal­len­bad all die ande­ren Bil­der des indo­ne­si­schen Kol­lek­tivs Taring Padi anzu­se­hen. Die Fokus­sie­rung der Medien auf „People’s Jus­tice“ – das eine Bild von ihnen, das abge­nom­men wurde – hat mich gestört. Ich wollte mir des­halb die ganze Werk­gruppe anse­hen. Es han­delt sich hier nicht um Kunst im nähe­ren Sinn, son­dern um Instru­mente der Agi­ta­tion. Sie sol­len Men­schen zu einer Pro­test­gruppe zusam­men­schmie­den und gegen einen Feind in Stel­lung brin­gen. Es sind grelle, laute Wim­mel­bil­der, die Motive der indo­ne­si­schen Volks­kunst auf­neh­men. Immer tei­len sie die Mensch­heit in zwei Grup­pen. Da sind die Guten: Akti­vis­ten und Frei­heits­kämp­fe­rin­nen in schöns­ter Har­mo­nie, indi­gene Fami­lien im Ein­klang mit der Natur. Und da sind die Bösen: Kapi­ta­lis­ten mit Geld und Fabri­ken, Waf­fen und Sol­da­ten. Sie besit­zen keine mensch­li­chen Gesich­ter. Einige ihrer Gestal­ten sind fies sexua­li­siert. Die Bot­schaft ist ein­deu­tig: Die Moderne ist schlecht, ihre Reprä­sen­tan­ten sind Feinde, nicht ein­mal Men­schen, das Böse kommt von außen, man kann mit ihm keine Kom­pro­misse schlie­ßen, man muss es aus­mer­zen. Es braucht keine Exper­ten­kom­mis­sion, um solch einer Welt­sicht eine struk­tu­relle Anti­se­mi­tis­mus­nähe oder zumin­dest die Anschluss­fä­hig­keit für Anti­se­mi­tis­mus zu attes­tie­ren. Es genü­gen zwei Augen, die sehen, was hier auf der Hand liegt – lie­gen soll.

Übri­gens muss man fra­gen, ob die anti­se­mi­ti­schen Agi­ta­ti­ons­bil­der und -filme die­ser docu­menta etwas Neues, sozu­sa­gen eine Inno­va­tion des soge­nann­ten „Glo­ba­len Südens“, dar­stel­len. Ich finde es ein­leuch­ten­der, darin die Wie­der­kehr einer gif­ti­gen Alt­last des Links­extre­mis­mus und -ter­ro­ris­mus der 1970er Jahre – vor allem aus den ehe­ma­li­gen „Ach­sen-Mäch­ten“ – zu sehen.

Natür­lich könnte man auch sol­che Agi­ta­ti­ons­bil­der aus­stel­len. Aber eben­falls nur, wenn man dies begrün­det und erklärt. Das wäre gar nicht unmög­lich gewe­sen. His­to­risch und poli­tisch kon­tex­tua­li­siert, ließe sich den Bil­dern von Taring Padi durch­aus etwas abge­win­nen. Man könnte sie auch als – wenn auch ästhe­tisch und inhalt­lich hoch­pro­ble­ma­ti­sche – Zeug­nisse eines muti­gen und lebens­ge­fähr­li­chen Pro­tests gegen extreme staat­li­che Gewalt und wirt­schaft­li­che Aus­beu­tung sehen. Dazu müsste man aber etwas erfah­ren über die dop­pelte Kolo­nial- und Gewalt­ge­schichte Indo­ne­si­ens: Diese Nation war zum einen Opfer euro­päi­scher Kolo­ni­al­ge­walt und zum ande­ren selbst kolo­nia­lis­ti­scher Gewalt­tä­ter. Man müsste zudem mehr wis­sen über ihr gro­ßes Trauma: die Mas­sen­morde in den frü­hen 1960er Jah­ren mit Hun­dert­tau­sen­den oder gar Mil­lio­nen von Toten. Auf der nicht kura­tier­ten und dia­log­un­fä­hi­gen docu­menta dage­gen wir­ken diese Bil­der nur wie übler Pro­pa­gan­da­kitsch, wie Relikte einer links­po­pu­lis­ti­schen Agi­ta­tion, die auch in Indo­ne­sien kei­nes­wegs mehr­heits­fä­hig ist.

Ach ja, anschlie­ßend bin ich noch zur gleich in der Nähe befind­li­chen St. Kuni­gun­dis-Kir­che gefah­ren, wo Werke eines hai­tia­ni­schen Kol­lek­tivs aus­ge­stellt waren. Das immer­hin hat sich künst­le­risch gelohnt.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2022.
Von |2023-03-02T15:19:26+01:00September 5th, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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Die docu­menta fif­teen und der Linksextremismus

Johann Hinrich Claussen ist Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.