Johann Hinrich Claussen 5. September 2022 Logo_Initiative_print.png

Die Wie­der­kehr einer gif­ti­gen Altlast

Die docu­menta fif­teen und der Linksextremismus

Dass auch mich eine Katastrophengeschichte mit der documenta verbindet, liegt daran, dass ich zufälligerweise über ein, zwei Brocken Spezialwissen in Sachen Linksterrorismus verfüge. Deshalb leuchtete bei mir eine Warnlampe dunkelrot auf, als ich in einem Artikel von Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung las, dass in der Reihe „Subversive Films“ auch Werke von Masao Adachi gezeigt würden. Dieser war Führungskader der „Japanischen Roten Armee“. Über diese obskure Gruppe hatte ich in dem von Wolfgang Kraushaar herausgegebenen Sammelwerk „Die RAF und der linke Terrorismus“ einen Aufsatz von Claudia Derichs gelesen. Deren Geschichte bietet Stoff für mehrere
Horrorfilme. Gleich die erste Aktion war 1972 ein Massaker auf dem Flughafen von Tel Aviv. Das sollte man aus zwei Gründen wissen. Zum einen fällt auf, dass alle drei ehemaligen „Achsen-Mächte“ – Japan, Italien, Deutschland – in den 1970er Jahren linksextreme Gruppen hervorgebracht haben, die ausgerechnet jüdische Menschen terrorisieren wollten. Zum anderen gibt es die These, dass diese Kamikaze-Linken das Konzept des Selbstmordanschlags in die muslimische Welt importiert haben.

Von Adachi werden nun auf der documenta frühe Propagandafilme gezeigt. Die Webseite weist auf seine Terrorbiografie hin, als sei das kein Problem oder sogar cool. Ich dagegen finde diese Filme noch schlimmer als die Skandalbilder. Denn hier geht es nicht „nur“ um judenfeindliche Karikaturen, sondern um die Ehrung eines Hauptverantwortlichen des Terrors gegen Israel. Natürlich könnte man auch von Mördern Kunstwerke ausstellen. Aber nur, wenn man es begründet und darüber Auskunft gibt. Das ist hier nicht der Fall. Ich habe zwei Anfragen bei der documenta gestellt. Sie wurden ebenso wenig beantwortet wie Anfragen vom Evangelischen Pressedienst. Auf öffentliche Äußerungen von mir gab es auch keine Reaktion.

Bei meinem Besuch in Kassel habe ich diese Filme nicht gesehen, weil es keine präzisen Angaben darüber gab, wann sie gezeigt würden. Stattdessen bin ich nach Bettenhausen rausgefahren, um mir in einem ehemaligen Hallenbad all die anderen Bilder des indonesischen Kollektivs Taring Padi anzusehen. Die Fokussierung der Medien auf „People’s Justice“ – das eine Bild von ihnen, das abgenommen wurde – hat mich gestört. Ich wollte mir deshalb die ganze Werkgruppe ansehen. Es handelt sich hier nicht um Kunst im näheren Sinn, sondern um Instrumente der Agitation. Sie sollen Menschen zu einer Protestgruppe zusammenschmieden und gegen einen Feind in Stellung bringen. Es sind grelle, laute Wimmelbilder, die Motive der indonesischen Volkskunst aufnehmen. Immer teilen sie die Menschheit in zwei Gruppen. Da sind die Guten: Aktivisten und Freiheitskämpferinnen in schönster Harmonie, indigene Familien im Einklang mit der Natur. Und da sind die Bösen: Kapitalisten mit Geld und Fabriken, Waffen und Soldaten. Sie besitzen keine menschlichen Gesichter. Einige ihrer Gestalten sind fies sexualisiert. Die Botschaft ist eindeutig: Die Moderne ist schlecht, ihre Repräsentanten sind Feinde, nicht einmal Menschen, das Böse kommt von außen, man kann mit ihm keine Kompromisse schließen, man muss es ausmerzen. Es braucht keine Expertenkommission, um solch einer Weltsicht eine strukturelle Antisemitismusnähe oder zumindest die Anschlussfähigkeit für Antisemitismus zu attestieren. Es genügen zwei Augen, die sehen, was hier auf der Hand liegt – liegen soll.

Übrigens muss man fragen, ob die antisemitischen Agitationsbilder und -filme dieser documenta etwas Neues, sozusagen eine Innovation des sogenannten „Globalen Südens“, darstellen. Ich finde es einleuchtender, darin die Wiederkehr einer giftigen Altlast des Linksextremismus und -terrorismus der 1970er Jahre – vor allem aus den ehemaligen „Achsen-Mächten“ – zu sehen.

Natürlich könnte man auch solche Agitationsbilder ausstellen. Aber ebenfalls nur, wenn man dies begründet und erklärt. Das wäre gar nicht unmöglich gewesen. Historisch und politisch kontextualisiert, ließe sich den Bildern von Taring Padi durchaus etwas abgewinnen. Man könnte sie auch als – wenn auch ästhetisch und inhaltlich hochproblematische – Zeugnisse eines mutigen und lebensgefährlichen Protests gegen extreme staatliche Gewalt und wirtschaftliche Ausbeutung sehen. Dazu müsste man aber etwas erfahren über die doppelte Kolonial- und Gewaltgeschichte Indonesiens: Diese Nation war zum einen Opfer europäischer Kolonialgewalt und zum anderen selbst kolonialistischer Gewalttäter. Man müsste zudem mehr wissen über ihr großes Trauma: die Massenmorde in den frühen 1960er Jahren mit Hunderttausenden oder gar Millionen von Toten. Auf der nicht kuratierten und dialogunfähigen documenta dagegen wirken diese Bilder nur wie übler Propagandakitsch, wie Relikte einer linkspopulistischen Agitation, die auch in Indonesien keineswegs mehrheitsfähig ist.

Ach ja, anschließend bin ich noch zur gleich in der Nähe befindlichen St. Kunigundis-Kirche gefahren, wo Werke eines haitianischen Kollektivs ausgestellt waren. Das immerhin hat sich künstlerisch gelohnt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2022.
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