Auf meh­re­ren Stühlen

docu­menta zwi­schen Markt, Poli­tik und Kunst

In ver­läss­li­chem Rhyth­mus fin­det in Kas­sel eine Aus­stel­lung statt. Nach einem bis dato unvor­stell­bar bru­ta­len Angriffs­krieg, der von deut­schem Boden aus­ging und hier per­fide durch Gleich­schal­tung, Ver­fol­gung und Holo­caust vor­be­rei­tet wurde, trat Nach­kriegs­deutsch­land mit Bil­den­der Kunst wie­der auf die Welt­bühne. Der selbst­be­wusste Auf­tritt ver­schaffte der docu­menta kunst­welt­weite Bedeu­tung und machte Deutsch­land wie­der salon­fä­hig. Der Stadt Kas­sel brachte es den Bei­na­men docu­menta-Stadt ein und irgend­wann spä­ter wurde es üblich, die aus­stel­len­den Künst­ler, inzwi­schen auch Künst­le­rin­nen, auch Jahre nach ihrer Teil­nahme als „docu­menta-Künst­ler“ zu bezeich­nen, ja, zu adeln – mit spür­ba­rer Aus­wir­kung auf Ver­kaufs­preise ihrer Kunst­werke und Fol­ge­aus­stel­lun­gen. Was Kunst ist, wird seit­dem alle fünf Jahre in Kas­sel ver­han­delt. Was als Kunst gehan­delt wer­den sollte, ebenso. Die Liai­son, die Wech­sel­wir­kun­gen mit dem Kunst­markt sind ent­spre­chend eng.

Die docu­menta ist auch immer poli­tisch. Docu­menta-Macher sowie Künst­ler und -Künst­le­rin­nen rei­ben sich an der aktu­el­len poli­ti­schen Situa­tion und prä­sen­tie­ren hef­tig umstrit­tene, gehasste, bekämpfte Werke, wie Joseph Beuys „7000 Eichen“, die heute zum nach­hal­tig sicht­bars­ten Erbe der docu­menta her­an­wach­sen: Stadt­ver­wal­dung pro­phe­tisch anmu­tend gerade in der Klimakrise.

Der Anspruch der docu­menta-Macher ist kri­ti­sche Zeit­ge­nos­sen­schaft, zu zei­gen, was der­zeit auf dem Ver­nis­sa­gen­par­kett und in der Kunst­pro­duk­tion en vogue ist. Vor die­sem Hin­ter­grund ist die docu­menta fif­teen schlüs­sig und über­fäl­lig, wer­den doch in der Bil­den­den Kunst leben­dige Pro­jekte an unge­wöhn­li­chen Orten seit Jahr­zehn­ten prak­ti­ziert, Pro­zesse par­ti­zi­pa­tiv ent­wi­ckelt, die sich den Regeln des wei­ter­hin viru­lent agie­ren­den Kunst­mark­tes wei­test­ge­hend ent­zie­hen. Im Erle­ben der Aus­stel­lung in 2022 scheint immer wie­der der Ver­such auf, zu zei­gen, zu beschrei­ben, zu erfas­sen, wie Kunst ent­steht, wel­ches Wun­der, wel­cher Genuss, wel­che Kraft, wel­che mensch­li­che Selbst­ver­ge­wis­se­rung sich in die­sem Pro­zess für das schaf­fende Indi­vi­duum, für die gemein­sam gestal­tende Gruppe ent­fal­tet. Die docu­menta fif­teen stellt das künst­le­ri­sche Schaf­fen aus, „Kunst­pro­dukte“ die­nen höchs­tens als Vehi­kel der Kommunikation.

Es scheint aber auch, dass die docu­menta fif­teen die rich­tige kura­to­ri­sche Form nicht gefun­den hat. Anspruch zu ste­ter Kom­mu­ni­ka­tion und zu Aus­tausch und Wirk­lich­keit der Aus­stel­lung kom­men nicht zuein­an­der, die Fülle und Ähn­lich­keit der Expo­nate machen die Kunst­pro­jekte zu einer Anein­an­der­rei­hung von Mate­rial, die nahezu unles­bare, lücken­hafte Beschil­de­rung ärgert ein­fach nur. Wie soll ein revo­lu­tio­nä­res, alle vor­he­ri­gen Aus­stel­lun­gen grund­sätz­lich infrage stel­len­des Kon­zept ankom­men, wenn es aus­stel­lungs­hand­werk­lich gese­hen nicht gut gemacht ist? Es müsste von die­ser Seite her bes­ser aus­ge­führt sein als jede Aus­gabe zuvor. Es ist irri­tie­rend und ent­täu­schend, dass gerade das Kura­to­ren­team, das für Dis­kurs und Anders­ma­chen ange­tre­ten ist, es nicht ver­stand, den hef­ti­gen Dis­kurs um die Anti­se­mi­tis­mus­dar­stel­lun­gen auf­zu­neh­men. Die not­wen­dige poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung wurde zu lange auf­ge­scho­ben. Es ent­stand fast der Ein­druck, die Dis­kus­sion wurde vermieden.

Das Kura­to­ren­team wie­der­holt lei­der auch die kolo­niale Pra­xis des „Nor­dens“, belas­tete Bild­mo­tive unre­flek­tiert für Kunst­werke zu adap­tie­ren und wie­derum in einem ande­ren kul­tu­rel­len Zusam­men­hang unge­fil­tert zu zei­gen. Sollte nicht gerade diese docu­menta die Per­spek­tive des Südens auf den Nor­den spie­geln und dem „Nor­den“ zu einem Per­spek­tiv­wech­sel ver­hel­fen, und war nicht gerade des­halb ruan­grupa ein­ge­la­den wor­den? Sie schei­nen über­for­dert von der Inten­si­tät der Debatte. Dabei hat der „Nor­den“ kei­nen Grund, sich als mora­lisch über­le­gen dar­zu­stel­len. Wie lange durf­ten im Nor­den z. B. Men­schen in Zoos oder mensch­li­che Über­reste und Kult­ob­jekte vom „schwar­zen Kon­ti­nent“ oder aus dem „vor­ko­lum­bia­ni­schen Ame­rika“ auf Jahr­märk­ten und spä­ter in Museen zur Schau gestellt wer­den? Heute erst beginnt der „Nor­den“, sich Ach­tung und Respekt vor ande­rer Kul­tur zu erar­bei­ten, sich von Fall zu Fall tas­tend zu ent­schul­di­gen für anderswo zuge­füg­tes Leid, Tod und Vernichtung.

Meron Men­del, Lei­ter der Bil­dungs­stätte Anne Frank, hatte mode­rie­rend for­mu­liert, es gehe um den unter­schied­li­chen Blick des „Südens“ dar­auf, ohne die beson­dere Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands für den Holo­caust zu negie­ren. Der Ruf nach Schlie­ßung die­ser docu­menta ver­hallte, eine Exper­ten­kom­mis­sion, in der kein ein­zi­ger Künst­ler mit­wir­ken darf, soll nun die docu­menta bera­ten, auch die Gren­zen der Kunst­frei­heit defi­nie­ren und bei Ver­stö­ßen ahn­den – ein noch nie in der Nach­kriegs­zeit gewag­tes Modell, grund­ge­setz­wid­rig. Die über die erhitzte, ver­schwom­mene Debatte hin­aus­ge­hen­den Gesprä­che ste­hen jedoch immer noch aus.

Keh­ren wir zurück zu den Kunst­fra­gen. Was heißt es für das Urhe­ber­recht, für den Ver­kauf und die Prä­sen­ta­tion von Wer­ken, wenn bei einer Aus­stel­lung nicht mehr das Werk ein­zel­ner Künst­ler im Mit­tel­punkt steht, son­dern eine kol­lek­tive Leis­tung? Span­nend wird es sein, wel­che Aus­wir­kun­gen das auf den Kunst­markt ins­ge­samt haben wird. Geht es in der Bil­den­den Kunst künf­tig vor allem darum, öffent­li­che Mit­tel für Aus­stel­lun­gen und Pro­jekte zu akqui­rie­ren oder geht es auch darum, Kunst zu ver­kau­fen und zu kau­fen? „Das sind wich­tige Zukunfts­fra­gen der Kunst“, notierte Wolf­gang Sutt­ner, Spre­cher des Deut­schen Kunst­ra­tes, und fährt fort: „und ja, vie­les von dem, was ich in den letz­ten Mona­ten gese­hen habe – ob im Kol­lek­tiv, wie bei mir im Kunst­ver­ein Sie­gen mit Raum­la­bor Ber­lin, oder ande­res. Da geht es nicht mehr um Ver­käufe, son­dern um Hono­rare für künst­le­ri­sche Leis­tun­gen. Und da geht nur was, wenn die öffent­li­che Hand etwas zur Ver­fü­gung stellt. Aber den Kunst­markt, der attrak­tive Objekte zur Ver­fü­gung hat, wird es trotz­dem wei­ter­ge­ben. Und ich erlebe hier zur­zeit, dass die BBK-Künst­ler in mei­ner Region recht krea­tiv mit die­sen Zeit­läu­fen umge­hen. Vor allen Din­gen ist es wich­tig, dass die Künst­ler sich orga­ni­sie­ren und sehr viel dafür tun, dass die Selbst­ver­mark­tung funktioniert.“

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2022.
Von |2023-03-02T15:20:33+01:00September 5th, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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docu­menta zwi­schen Markt, Poli­tik und Kunst

Dagmar Schmidt ist Bildende Künstlerin, Vorsitzende des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) und Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Kulturrates.