Anti­se­mi­tis­mus und Isra­el­feind­lich­keit haben kei­nen Platz im Kulturbereich!

Wird es in fünf Jah­ren wie­der eine docu­menta geben?

Es ist beklem­mend. Beim Emp­fang zur Akkre­di­tie­rung des neuen israe­li­schen Bot­schaf­ters in Deutsch­land, Ron Pro­sor, am 22. August, wird mir von vie­len Gäs­ten gedankt, dass der Deut­sche Kul­tur­rat sich klar, ein­deu­tig und unmiss­ver­ständ­lich gegen jede Form des Anti­se­mi­tis­mus auf der docu­menta fif­teen aus­ge­spro­chen hat. Es hat mich pein­lich berührt, denn das, wofür wir einen Dank erhal­ten, ist eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Einen Dank haben wir nicht verdient.

Die dies­jäh­rige docu­menta hat einen Blick in den Kul­tur­be­reich eröff­net, den viele, auch ich, uns lie­ber erspart hät­ten, der jetzt aber aus­ge­hal­ten wer­den muss. Wir dür­fen nach dem Ende der Aus­stel­lung nicht erleich­tert weg­schauen, son­dern müs­sen uns mit den The­men Anti­se­mi­tis­mus und Isra­el­feind­lich­keit in der Kunst nach­hal­tig auseinandersetzen.

Wie konnte es zu einem sol­chen poli­ti­schen Desas­ter bei der docu­menta fif­teen über­haupt kom­men? Die docu­menta war immer auch ein Spie­gel der Zeit. Ange­fan­gen von der Suche nach dem Anschluss an die zeit­ge­nös­si­sche Kunst­welt des Wes­tens in den 1950er Jah­ren, der Aus­ein­an­der­set­zung im Ost-West-Kon­flikt, dem Auf­be­geh­ren der 68er-Gene­ra­tion, der Spren­gung des tra­di­tio­nel­len Kunst­be­griffs, der Erwei­te­rung um neue künst­le­ri­sche Aus­drucks­for­men, der Wei­tung des Blicks in andere Kon­ti­nente bis hin zur Aus­ein­an­der­set­zung mit dem kolo­nia­len Erbe.

Ein zen­tra­les Thema ver­gan­ge­ner docu­men­ten war die Rolle des Kunst­mark­tes, des Ein­flus­ses der Gale­rien. Die­sen Teil der docu­menta habe ich als Mit­ar­bei­ter von Gale­rien und spä­ter als selb­stän­di­ger Kunst­händ­ler haut­nah erlebt. Für so man­chen Künst­ler und man­che Künst­le­rin war die docu­menta-Betei­li­gung der Start in eine Kunst­markt­kar­riere. Ihre Werke wur­den auf dem Markt durch­ge­setzt und hän­gen heute in bedeu­ten­den Samm­lun­gen und Museen. Eine Ent­wick­lung der letz­ten docu­men­ten ist, dass dem kom­mer­zi­el­len Kunst­markt eine deut­li­che Abfuhr erteilt wird. Die docu­menta fif­teen geht aber noch einen Schritt wei­ter und erhebt das kol­lek­tive Arbei­ten zum allei­ni­gen künst­le­ri­schen Prin­zip. Die bis­lang unver­brüch­li­che Ver­bin­dung zwi­schen iden­ti­fi­zier­ba­rem Künst­ler bzw. iden­ti­fi­zier­ba­rer Künst­le­rin und Werk ist damit infrage gestellt. Die gesamte ein­ge­übte Ver­wer­tungs­kette Bil­den­der Kunst, die auf den Ver­kauf und die Wert­stei­ge­rung des ein­zel­nen Werks, das einer künst­le­ri­schen Per­sön­lich­keit zuzu­ord­nen ist, wird bewusst negiert.

Wie soll das Recht des Schöp­fers gesi­chert wer­den, wenn es keine ein­zel­nen iden­ti­fi­zier­ba­ren Schöp­fer der Kunst­werke gibt? Wie sol­len Ein­kom­men und Wert­stei­ge­rung über den mehr­fa­chen Ver­kauf erzielt wer­den, wenn der Urhe­ber nicht iden­ti­fi­zier­bar ist? Wird dies dazu füh­ren, dass auch in der Bil­den­den Kunst, die neben der Lite­ra­tur zu jenen künst­le­ri­schen Spar­ten gehört, die vor allem markt­ver­mit­telt arbei­ten, die öffent­li­che För­de­rung wei­ter­hin an Bedeu­tung gewinnt, weil es kei­nen Käu­fer­markt gibt? Ist dies die Rück­kehr zu feu­da­len Ver­hält­nis­sen, in denen Lan­des­her­ren, also der Staat, als Auf­trag­ge­ber fun­gie­ren? Und was bedeu­tet dies für die Frei­heit der Kunst, wenn sie auf ein­mal vor allem von der öffent­li­chen Hand abhän­gig ist?

Das sind mei­nes Erach­tens span­nende Fra­gen, die durch diese docu­menta jen­seits der Aus­ein­an­der­set­zung um Post­ko­lo­nia­lis­mus und Anti­se­mi­tis­mus auf­ge­wor­fen wer­den. Die Macher der docu­menta fif­teen kom­men auf den ers­ten Blick leicht­fü­ßig daher. Man sollte sich aber nicht täu­schen las­sen. Es geht um grund­sätz­li­che Fra­gen des Selbst­ver­ständ­nis­ses Bil­den­der Kunst, um die pro­duk­tive und kon­tro­verse Aus­ein­an­der­set­zung mit Posi­tio­nen aus dem „Glo­ba­len Süden“, und es geht darum, wie mit Anti­se­mi­tis­mus und Anti­zio­nis­mus in Deutsch­land umge­gan­gen wird.

Und hier hat die docu­menta fif­teen eine Schneise der intel­lek­tu­el­len Ver­wüs­tung hin­ter­las­sen. In Deutsch­land, im Land der Täter, wer­den über Wochen anti­se­mi­ti­sche Werke prä­sen­tiert, immer wie­der neue gefun­den, teil­weise ver­deckt, man­che abge­hängt, wie­der neue gefun­den, Kon­tex­tua­li­sie­rung wird ver­spro­chen, aber nicht gehal­ten, der Skan­dal wird in klas­si­scher poli­ti­scher Manier ausgesessen.

Die Unfä­hig­keit der docu­menta-Ver­ant­wort­li­chen, mit den auf­ge­tre­te­nen Pro­ble­men fer­tig zu wer­den, ist eine schwere Bürde, die längst auf dem gesam­ten Kul­tur­be­reich las­tet. Der Kul­tur­be­reich muss wie­der selbst in die Lage kom­men, auch mit schwie­ri­gen Situa­tio­nen umzu­ge­hen, ansons­ten wird die Poli­tik uns das Heft des Han­delns ent­rei­ßen. Das ist dann die wirk­li­che Gefahr für die Kunst­frei­heit in unse­rem Land.

Ob es in fünf Jah­ren wie­der eine docu­menta geben wird? Ich denke, ja. Ganz prag­ma­ti­sche Gründe spre­chen dafür: Die docu­menta ist für die Stadt Kas­sel als Tou­ris­ten­ma­gnet alle fünf Jahre unver­zicht­bar, eine welt­weit ein­ge­führte Kunst­aus­stel­lung mit dann einer über 70-jäh­ri­gen Tra­di­tion kann und sollte nicht ein­fach fal­len­ge­las­sen wer­den. Den­noch sind jetzt Fra­gen zur künf­ti­gen Struk­tur der docu­menta zu stel­len. Für mich unver­zicht­bar ist, dass der Staat so wenig Ein­fluss auf die Kunst wie mög­lich nimmt. Ebenso klar spre­che ich mich für ein­deu­tige Ver­ant­wort­lich­kei­ten aus, der künf­tige Kura­tor oder die Kura­to­rin muss für die aus­ge­stellte Kunst ver­ant­wort­lich zeich­nen. Er oder sie muss die aus­ge­stell­ten Werke ken­nen und sich nicht hin­ter Kol­lek­ti­ven ver­ste­cken. Das mag eine alt­mo­disch anmu­tende Vor­stel­lung von kura­to­ri­schem Arbei­ten sein, sie ist für mich auch eine unbe­dingte Lehre aus der docu­menta fifteen.

Gleich­falls müs­sen die Ver­ant­wort­lich­kei­ten im Auf­sichts­rat, also bei den Geld­ge­bern, geklärt sein. In die­sen Zusam­men­hang gehört auch, über die recht­li­che Struk­tur der docu­menta nach­zu­den­ken. Warum wird die docu­menta nicht in eine Stif­tung des bür­ger­li­chen Rech­tes über­führt? Der Staat als Geld­ge­ber ist Teil des Kura­to­ri­ums der Stif­tung, zivil­ge­sell­schaft­li­che Ver­bände bil­den im Kura­to­rium das Gegen­ge­wicht und stel­len damit sicher, dass die Kunst­frei­heit unan­ge­tas­tet bleibt. Die Stif­tung bestellt die jewei­li­gen ver­ant­wort­li­chen Kura­to­rin­nen und Kura­to­ren. Und die Stif­tung schafft dau­er­hafte bestän­dige Verwaltungsstrukturen.

Aber eine Reform wird nur gelin­gen, wenn der Kul­tur­be­reich sich immer und über­all klar gegen jede Form des Anti­se­mi­tis­mus aus­spricht. Anti­se­mi­tis­mus und Isra­el­feind­lich­keit haben kei­nen Platz im Kulturbereich!

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2022.
Von |2023-03-02T15:17:53+01:00September 5th, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

Anti­se­mi­tis­mus und Isra­el­feind­lich­keit haben kei­nen Platz im Kulturbereich!

Wird es in fünf Jah­ren wie­der eine docu­menta geben?

Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur.