Olaf Zimmermann 5. September 2022 Logo_Initiative_print.png

Anti­se­mi­tis­mus und Isra­el­feind­lich­keit haben kei­nen Platz im Kulturbereich!

Wird es in fünf Jah­ren wie­der eine docu­menta geben?

Es ist beklemmend. Beim Empfang zur Akkreditierung des neuen israelischen Botschafters in Deutschland, Ron Prosor, am 22. August, wird mir von vielen Gästen gedankt, dass der Deutsche Kulturrat sich klar, eindeutig und unmissverständlich gegen jede Form des Antisemitismus auf der documenta fifteen ausgesprochen hat. Es hat mich peinlich berührt, denn das, wofür wir einen Dank erhalten, ist eine Selbstverständlichkeit. Einen Dank haben wir nicht verdient.

Die diesjährige documenta hat einen Blick in den Kulturbereich eröffnet, den viele, auch ich, uns lieber erspart hätten, der jetzt aber ausgehalten werden muss. Wir dürfen nach dem Ende der Ausstellung nicht erleichtert wegschauen, sondern müssen uns mit den Themen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit in der Kunst nachhaltig auseinandersetzen.

Wie konnte es zu einem solchen politischen Desaster bei der documenta fifteen überhaupt kommen? Die documenta war immer auch ein Spiegel der Zeit. Angefangen von der Suche nach dem Anschluss an die zeitgenössische Kunstwelt des Westens in den 1950er Jahren, der Auseinandersetzung im Ost-West-Konflikt, dem Aufbegehren der 68er-Generation, der Sprengung des traditionellen Kunstbegriffs, der Erweiterung um neue künstlerische Ausdrucksformen, der Weitung des Blicks in andere Kontinente bis hin zur Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe.

Ein zentrales Thema vergangener documenten war die Rolle des Kunstmarktes, des Einflusses der Galerien. Diesen Teil der documenta habe ich als Mitarbeiter von Galerien und später als selbständiger Kunsthändler hautnah erlebt. Für so manchen Künstler und manche Künstlerin war die documenta-Beteiligung der Start in eine Kunstmarktkarriere. Ihre Werke wurden auf dem Markt durchgesetzt und hängen heute in bedeutenden Sammlungen und Museen. Eine Entwicklung der letzten documenten ist, dass dem kommerziellen Kunstmarkt eine deutliche Abfuhr erteilt wird. Die documenta fifteen geht aber noch einen Schritt weiter und erhebt das kollektive Arbeiten zum alleinigen künstlerischen Prinzip. Die bislang unverbrüchliche Verbindung zwischen identifizierbarem Künstler bzw. identifizierbarer Künstlerin und Werk ist damit infrage gestellt. Die gesamte eingeübte Verwertungskette Bildender Kunst, die auf den Verkauf und die Wertsteigerung des einzelnen Werks, das einer künstlerischen Persönlichkeit zuzuordnen ist, wird bewusst negiert.

Wie soll das Recht des Schöpfers gesichert werden, wenn es keine einzelnen identifizierbaren Schöpfer der Kunstwerke gibt? Wie sollen Einkommen und Wertsteigerung über den mehrfachen Verkauf erzielt werden, wenn der Urheber nicht identifizierbar ist? Wird dies dazu führen, dass auch in der Bildenden Kunst, die neben der Literatur zu jenen künstlerischen Sparten gehört, die vor allem marktvermittelt arbeiten, die öffentliche Förderung weiterhin an Bedeutung gewinnt, weil es keinen Käufermarkt gibt? Ist dies die Rückkehr zu feudalen Verhältnissen, in denen Landesherren, also der Staat, als Auftraggeber fungieren? Und was bedeutet dies für die Freiheit der Kunst, wenn sie auf einmal vor allem von der öffentlichen Hand abhängig ist?

Das sind meines Erachtens spannende Fragen, die durch diese documenta jenseits der Auseinandersetzung um Postkolonialismus und Antisemitismus aufgeworfen werden. Die Macher der documenta fifteen kommen auf den ersten Blick leichtfüßig daher. Man sollte sich aber nicht täuschen lassen. Es geht um grundsätzliche Fragen des Selbstverständnisses Bildender Kunst, um die produktive und kontroverse Auseinandersetzung mit Positionen aus dem „Globalen Süden“, und es geht darum, wie mit Antisemitismus und Antizionismus in Deutschland umgegangen wird.

Und hier hat die documenta fifteen eine Schneise der intellektuellen Verwüstung hinterlassen. In Deutschland, im Land der Täter, werden über Wochen antisemitische Werke präsentiert, immer wieder neue gefunden, teilweise verdeckt, manche abgehängt, wieder neue gefunden, Kontextualisierung wird versprochen, aber nicht gehalten, der Skandal wird in klassischer politischer Manier ausgesessen.

Die Unfähigkeit der documenta-Verantwortlichen, mit den aufgetretenen Problemen fertig zu werden, ist eine schwere Bürde, die längst auf dem gesamten Kulturbereich lastet. Der Kulturbereich muss wieder selbst in die Lage kommen, auch mit schwierigen Situationen umzugehen, ansonsten wird die Politik uns das Heft des Handelns entreißen. Das ist dann die wirkliche Gefahr für die Kunstfreiheit in unserem Land.

Ob es in fünf Jahren wieder eine documenta geben wird? Ich denke, ja. Ganz pragmatische Gründe sprechen dafür: Die documenta ist für die Stadt Kassel als Touristenmagnet alle fünf Jahre unverzichtbar, eine weltweit eingeführte Kunstausstellung mit dann einer über 70-jährigen Tradition kann und sollte nicht einfach fallengelassen werden. Dennoch sind jetzt Fragen zur künftigen Struktur der documenta zu stellen. Für mich unverzichtbar ist, dass der Staat so wenig Einfluss auf die Kunst wie möglich nimmt. Ebenso klar spreche ich mich für eindeutige Verantwortlichkeiten aus, der künftige Kurator oder die Kuratorin muss für die ausgestellte Kunst verantwortlich zeichnen. Er oder sie muss die ausgestellten Werke kennen und sich nicht hinter Kollektiven verstecken. Das mag eine altmodisch anmutende Vorstellung von kuratorischem Arbeiten sein, sie ist für mich auch eine unbedingte Lehre aus der documenta fifteen.

Gleichfalls müssen die Verantwortlichkeiten im Aufsichtsrat, also bei den Geldgebern, geklärt sein. In diesen Zusammenhang gehört auch, über die rechtliche Struktur der documenta nachzudenken. Warum wird die documenta nicht in eine Stiftung des bürgerlichen Rechtes überführt? Der Staat als Geldgeber ist Teil des Kuratoriums der Stiftung, zivilgesellschaftliche Verbände bilden im Kuratorium das Gegengewicht und stellen damit sicher, dass die Kunstfreiheit unangetastet bleibt. Die Stiftung bestellt die jeweiligen verantwortlichen Kuratorinnen und Kuratoren. Und die Stiftung schafft dauerhafte beständige Verwaltungsstrukturen.

Aber eine Reform wird nur gelingen, wenn der Kulturbereich sich immer und überall klar gegen jede Form des Antisemitismus ausspricht. Antisemitismus und Israelfeindlichkeit haben keinen Platz im Kulturbereich!

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2022.
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