„Anti­se­mi­tis­mus ist das Betriebs­sys­tem, auf dem viele Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen laufen“

Vier Fra­gen an Tahera Ameer

Die Ama­deu Anto­nio Stif­tung schafft durch ihre Arbeit ein Bewusst­sein für Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen und Anti­se­mi­tis­mus in allen Erschei­nungs­for­men. Tahera Ameer gibt Poli­tik & Kul­tur einen Ein­blick in die Arbeit der Stiftung.

In der Pan­de­mie haben Ver­schwö­rungs­theo­rien Hoch­kon­junk­tur. Wel­che Rolle spielt Anti­se­mi­tis­mus in die­sem Kontext?
Anti­se­mi­tis­mus ist das Betriebs­sys­tem, auf dem viele Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen lau­fen. Anti­se­mi­tis­mus selbst ist ja ein inte­grie­ren­der Ver­schwö­rungs­glaube, der ver­schie­denste For­men Grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit unter einen Hut bringt. Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen haben die Funk­tion, die Welt­ge­scheh­nisse, ob im Nah­feld oder glo­bal, zu ord­nen. Ambi­va­len­zen, das Aus­hal­ten von Wider­sprü­chen, das immer das Leben aller Men­schen und Gesell­schaf­ten prägt, wer­den hier durch ein­fa­che Ant­wor­ten aus­ge­löscht. Ob das die im Mit­tel­al­ter uner­klär­lich auf­tre­tende Pest­epi­de­mie war, oder die Kri­sen­si­tua­tio­nen der heu­ti­gen Welt: Anti­se­mi­tis­mus war immer schon eine bequeme Welt­erklä­rung, die eine Ant­wort bie­tet, die über die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Rea­li­tät hin­weg­sprin­gen kann, die nicht nach der per­sön­li­chen oder gesell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung fragt, son­dern kon­krete Schul­dige meint benen­nen zu kön­nen. Hier­für wird immer wie­der auf tra­dierte anti­se­mi­ti­sche Ste­reo­type und Erklä­rungs­mus­ter zurück­ge­grif­fen. Des­halb haben so viele Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen einen anti­se­mi­ti­schen Kern. Egal ob es sich dabei jetzt um Des­in­for­ma­tio­nen zur Imp­fung, den „gro­ßen Aus­tausch“ oder die „wah­ren Gründe“ für den Erfolg der israe­li­schen Impf­kam­pa­gne han­delt. Die letz­ten Jahre haben noch ein­mal gezeigt, wie extrem dyna­misch das Feld ist. Das macht anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen so gefähr­lich: Wer­den sie an dem einen Tag noch von Quer­den­kern genutzt, um gegen die Impf­kam­pa­gne zu mobi­li­sie­ren, fin­den sie sich wenige Wochen spä­ter auf pro­rus­si­schen Demons­tra­tio­nen oder in Rei­hen der extre­men Rech­ten wie­der, um den Angriffs­krieg auf die Ukraine zu ver­herr­li­chen. Das Pro­blem ist, dass selbst oft­mals harm­los daher­kom­mende Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen der Ein­stieg in einen län­ge­ren Radi­ka­li­sie­rungs­ver­lauf bil­den kön­nen, die im schlimms­ten Fall wie jüngst in Hanau oder Buf­falo in rechts­ter­ro­ris­ti­sche Gewalt mün­den können.

Was tut die Ama­deu Anto­nio Stif­tung kon­kret gegen Ver­schwö­rungs­theo­rien und Antisemitismus?
In ers­ter Linie schaf­fen wir durch unsere Arbeit ein Bewusst­sein für Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen und Anti­se­mi­tis­mus in allen Erschei­nungs­for­men. Es geht darum, bei­des früh zu erken­nen, klar zu benen­nen und dann auch zu äch­ten. Nur so kann man das Pro­blem lang­fris­tig bear­bei­ten und eben auch päd­ago­gi­sche Ant­wor­ten fin­den. Zum einen ana­ly­sie­ren wir mit­tels unse­res Moni­to­rings ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sche Trends: Wel­che Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen kur­sie­ren gerade? Wer bringt sie mit wel­cher Absicht in Umlauf? Zum ande­ren ver­su­chen wir durch unsere Hand­rei­chun­gen, Work­shops und Schu­lun­gen Betrof­fe­nen kon­krete Hand­lungs­emp­feh­lun­gen zum Umgang mit Ver­schwö­rungs­gläu­bi­gen an die Hand zu geben. Hier fließt die gesamte Exper­tise der Stif­tung zusammen.

Wel­che Reak­tion auf diese Ver­schwö­rungs­theo­rien und -mythen ist angebracht?
Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen dür­fen nicht unter­schätzt oder ver­harm­lost wer­den. Es gilt ihren demo­kra­tie­feind­li­chen und oft­mals auch anti­se­mi­ti­schen Kern zu benen­nen und her­aus­zu­ar­bei­ten. Gegen­rede, ob im per­sön­li­chen Nah­feld oder in den Kom­men­tar­spal­ten, kann da natür­lich ein Anfang sein, hilft aber nur, wenn das Gegen­über noch kein geschlos­se­nes ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sches Welt­bild ver­tritt. Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen und der darin trans­por­tierte Anti­se­mi­tis­mus müs­sen so früh als mög­lich als sol­che benannt wer­den. Wenn sich Men­schen, die an Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen glau­ben, erst im „Rab­bit Hole“ befin­den, wird es immer schwie­ri­ger, sie mit Argu­men­ten zu über­zeu­gen. Schnell wit­tern sie hin­ter jeder Ver­schwö­rung dann gleich eine neue und wer­den sprich­wört­lich immun gegen Fak­ten. Genau so ent­ste­hen demo­kra­tie­feind­li­che Milieus. Auch wenn die Pan­de­mie vor­bei sein sollte: der Ver­schwö­rungs­glaube bleibt.

Und wie wider­spricht man deut­lich Men­schen, die anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­theo­rien verbreiten?
In ers­ter Linie muss man sich gut mit den Funk­ti­ons­wei­sen von Anti­se­mi­tis­mus und Ver­schwö­rungs­my­then aus­ken­nen. Nur, wer sich wirk­lich gut aus­kennt, kann dif­fe­ren­ziert ent­lar­ven. Wer ledig­lich ver­sucht, mit Fak­ten zu kon­tern, läuft Gefahr das dua­lis­ti­sche Welt­bild des Gegen­übers nur noch zu ver­stär­ken. Anstatt auf reine Gegen­be­haup­tun­gen zu set­zen, hilft es, wis­sen­schaft­lich aner­kannte Fak­ten in eine grö­ßere valide Gegen­er­zäh­lung einzubetten.

Manch­mal kann es hel­fen, kri­ti­sche Gegen­fra­gen zu stel­len, doch auch dabei soll­ten die Gren­zen des Sag­ba­ren klar ein­ge­grenzt wer­den: Anti­se­mi­ti­sche oder anders gear­tete men­schen­feind­li­che Aus­sa­gen dür­fen nie­mals unwi­der­spro­chen blei­ben! Man darf sich gar nicht erst auf Detail­fra­gen ein­las­sen und damit den selbst­ver­stär­ken­den Effekt – „das sagst du nur, weil du noch nicht ver­stan­den hast, wie es wirk­lich läuft“ – noch fördern.

Daher geht es immer darum, die auto­ri­tä­ren und anti­se­mi­ti­schen Ele­mente von Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen zu benen­nen und deut­lich zu machen, dass sie eine indi­vi­du­ell sehr ent­las­tende und damit eine gesell­schaft­lich enorm gefähr­li­che Funk­tion haben. Demo­kra­tie lebt vom Kon­flikt, von Aus­hand­lung und vom Aus­hal­ten von Wider­sprü­chen – gerade dann, wenn etwas sehr schmerz- und kri­sen­haft ist. Die­ses Bewusst­sein gilt es zu stärken.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2022.

Von |2022-08-05T09:48:32+02:00Juni 3rd, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

„Anti­se­mi­tis­mus ist das Betriebs­sys­tem, auf dem viele Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen laufen“

Vier Fra­gen an Tahera Ameer

Tahera Ameer ist Vorstand der Amadeu Antonio Stiftung.