Anti­se­mi­tis­mus bei ARD und ZDF?

Anti­se­mi­tis­mus-Vor­würfe an den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk: Haben die Sen­der ein struk­tu­rel­les Problem?

Auf dem Höhe­punkt des Gaza-Kon­flikts zwi­schen Israel und der radi­kal­is­la­mi­schen Hamas im Juli 2014 gab es in ganz Deutsch­land pro-paläs­ti­nen­si­sche Kund­ge­bun­gen, die zum Teil in Isra­el­feind­lich­keit, offe­nen Anti­se­mi­tis­mus und Gewalt mün­de­ten. In Essen betei­ligte sich unter ande­rem der Rap­per Sinan-G, der in eine Kamera sagte: „Es ist nicht gut, wenn hier Stress pas­siert, aber die Juden wol­len Stress.“ Er posiert im Netz unter ande­rem mit den Sym­bo­len der pro-ira­ni­schen His­bol­lah, die in Deutsch­land als Ter­ror­or­ga­ni­sa­tion gilt. Im ZDF wirkte er kürz­lich in der Doku „Was ist deutsch?“ mit, in der sechs Men­schen ihre Migra­ti­ons­ge­schichte erzählen.

In Ber­lin sollte die Teil­nahme der damals 20-jäh­ri­gen Nemi El-Hassan ihr sie­ben Jahre spä­ter zum Ver­häng­nis wer­den. Eigent­lich hätte die stu­dierte Medi­zi­ne­rin und Jour­na­lis­tin im Novem­ber 2021 die Mode­ra­tion des Wis­sen­schafts­ma­ga­zins „Quarks“ im WDR über­neh­men sol­len. Nach­dem „Bild“ über ihre Teil­nahme sowie Likes in sozia­len Medien für anti-israe­li­sche Posts berich­tet hatte, legte der WDR den geplan­ten Mode­ra­ti­ons­start auf Eis. Spä­ter kri­ti­sierte El-Hassan das Vor­ge­hen des Sen­ders öffent­lich. Am Ende zog sie sich vor­erst aus dem Jour­na­lis­mus zurück und will als Ärz­tin arbeiten.

Die Slam-Poetry-Künst­le­rin und Come­dian Yas­min Poesy hielt 2015 eine Rede, in der sie Israel das Exis­tenz­recht absprach. Zudem bezeich­nete sie spä­ter den „Groß­teil“ der deut­schen Medien als „von Zio­nis­ten finan­ziert“ und teilte auf Insta­gram einen Comic, der einen Israeli mit Haken­nase zeigte. Sie gehört heute zum Autorin­nen­team der ZDF-Sit­com „Bar­rys Barbershop“.

Gemein­sam ist all die­sen Per­so­na­lien aller­dings, dass es zu kei­ner­lei anti­se­mi­ti­schen Äuße­run­gen im Pro­gramm der Sen­der kam. „Was ist deutsch?“ ist eine sehens­werte Doku, in der Sinan-G seine Rolle als Rap­per und Kri­mi­nel­ler selbst­kri­tisch reflek­tiert und kein Wort über Israel oder Juden ver­liert. Nemi El-Hassans Bei­träge für das junge ARD/ZDF-Ange­bot „funk“ und den WDR waren nicht nur frei von Anti­se­mi­tis­mus, sie the­ma­ti­sier­ten ihn sogar, wenn­gleich vor allem bei Rechts­ra­di­ka­len. Und kein Jota der Comedy-Dia­loge in „Bar­rys Bar­ber­shop“ hat irgend­was mit Anti­se­mi­tis­mus zu tun.

Anders gela­gert ist der Fall des staat­li­chen Aus­lands­sen­ders Deut­sche Welle (DW): Hier äußer­ten sich Mit­glie­der der ara­bi­schen Redak­tion offen anti­se­mi­tisch, wobei unter ande­rem der Holo­caust geleug­net wurde. Auch Koope­ra­ti­ons­part­ner des Sen­ders ver­brei­te­ten anti­se­mi­ti­sche Kom­men­tare und Kari­ka­tu­ren. Die DW trennte sich im Februar 2022 schließ­lich von fünf nicht nament­lich genann­ten Mitarbeitern.

Für Kri­ti­ker ist dies keine Anhäu­fung von Ein­zel­fäl­len, son­dern ver­weist auf ein grund­sätz­li­ches Pro­blem, dass der öffent­lich-recht­li­che Rund­funk mit Anti­se­mi­tis­mus habe: Zum einen seien die Pro­gramme in Tei­len eh von „Isra­el­kri­tik“ geprägt, wes­we­gen zu wenig Sen­si­bi­li­tät für Inhalte herr­sche, die die Schwelle von einer kri­ti­schen Hal­tung gegen­über israe­li­scher Poli­tik zu offe­nem Anti­se­mi­tis­mus überschritten.

ARD und ZDF seien daher in ihrem Bemü­hen „diver­ser“ zu wer­den, beson­ders anfäl­lig für junge Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, die „einem Milieu ent­stam­men, in dem der Hass auf Juden sowie den jüdi­schen Staat groß und die Distanz zum Isla­mis­mus klein oder gar nicht vor­han­den ist“, meint bei­spiels­weise der Publi­zist Alex Feuerherdt.

Doch dabei wer­den zu viele Dinge ohne echte Belege in einen Topf gewor­fen: Wie bereits gesagt, gibt es jen­seits der Deut­schen Welle keine pro­mi­nen­ten Fälle von Anti­se­mi­tis­mus im Pro­gramm. Viel mehr wer­den Argu­mente „ad Homi­nem“ vor­ge­tra­gen, die sich gegen die Per­so­nen bzw. deren Hal­tun­gen rich­ten, die zum Teil aller­dings weit in der Ver­gan­gen­heit lie­gen – und von denen sich z. B. Nemi El-Hassan distan­ziert hat.

Nach wie vor aber sind ARD und ZDF viel homo­ge­ner als die Gesell­schaft, die sie medial reprä­sen­tie­ren sol­len. Wer blinde Fle­cken, Ste­reo­type und man­gel­hafte Reprä­sen­ta­tion von Mus­li­men, Peo­ple of Color, LGBT-Per­so­nen oder auch Jüdin­nen und Juden in der Bericht­erstat­tung ver­mei­den will, wird um Ange­hö­rige die­ser Grup­pen als Pro­gramm-Machende aber kaum umhinkommen.

Nun kön­nen bei­spiels­weise Paläs­ti­nen­se­rin­nen, die eine Flucht- und Lei­dens­ge­schichte mit dem israe­li­schen Staat ver­bin­det, aber nicht die­selbe „Soli­da­ri­tät“ mit die­sem haben, die in der Bun­des­re­pu­blik zur Staats­rä­son gehört. Was wie­derum nicht heißt, dass man anti-israe­li­sche und anti­se­mi­ti­sche Tra­die­run­gen in die­sen Milieus nicht kri­ti­sie­ren sollte. Doch die genann­ten Fälle ver­wei­sen auf grund­le­gende Kon­flikte der Migra­ti­ons­ge­sell­schaft und nicht auf ein struk­tu­rel­les Anti­se­mi­tis­mus-Pro­blem der Sender.

Debat­ten um mög­li­che anti­se­mi­ti­sche Ein­stel­lun­gen müs­sen geführt wer­den, am bes­ten im demo­kra­ti­schen Dia­log auf Augen­höhe im Pro­gramm. Dazu müs­sen die Sen­der aller­dings auch bereit sein – sowohl intern, als auch extern. Sich bei Kri­tik weg­du­cken und gleich­zei­tig den eige­nen Nach­wuchs ver­bren­nen, ist lang­fris­tig keine Option.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2022.

Von |2022-08-05T09:53:53+02:00Juni 3rd, 2022|Antisemitismus, Medien|Kommentare deaktiviert für

Anti­se­mi­tis­mus bei ARD und ZDF?

Anti­se­mi­tis­mus-Vor­würfe an den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk: Haben die Sen­der ein struk­tu­rel­les Problem?

Andrej Reisin arbeitet als freier Journalist, unter anderem für den NDR, und schreibt regelmäßig für das Medienportal „Übermedien“ und den „Spiegel“.