Paj­tim Sta­tovci: Grenzgänge

Bujar wächst im poli­ti­schen Chaos Tira­nas auf. Er erlebt den lang­sa­men, qual­vol­len Tod des Vaters mit, ebenso, wie die Mut­ter in der Trauer ver­sinkt und die Schwes­ter ver­schwin­det. Halt fin­det er bei sei­nem Freund Agir. Beide füh­len sich in ihrem Hei­mat­land Alba­nien nicht am rich­ti­gen Platz. Agir trägt gern Frau­en­klei­der, Bujar ist auf der Suche nach sei­ner Iden­ti­tät. Gemein­sam ver­las­sen sie Alba­nien, um eine bes­sere Zukunft zu suchen.

Der fin­nisch-koso­va­ri­sche Schrift­stel­ler Paj­tim Sta­tovci lässt in sei­nem Roman „Grenz­gänge“ eben diese ver­schwin­den. Bujar treibt durch ver­schie­dene Städte und Kon­ti­nente, erlebt Zuge­hö­rig­keit und Aus­gren­zung, Liebe und Gewalt. Seine Reise führt ihn nach Rom, Madrid, Ber­lin, in die USA und nach Hel­sinki. Er ist auf der Suche nach einer Hei­mat, die er nicht fin­det: „Wenn deine Mut­ter­spra­che ein biss­chen zu fremd klingt, oder wenn du aus­sieht, als kämst du von zu weit her, dann ist das nicht mehr beson­ders, son­dern komisch, wie ein wil­der Büf­fel, der mit­ten auf einem Markt­platz steht. Und ein Ein­dring­ling wie ich, ein Aus­län­der, der eine fremde Spra­che spricht, sollte sich immer und über­all der Tat­sa­che bewusst sein, dass er nicht nach den glei­chen Din­gen stre­ben darf wie ein Italiener.“

Doch irgend­wann geht es ihm nicht mehr ums Ankom­men, son­dern darum, die Frei­heit zu fin­den, alles sein zu kön­nen. Immer wie­der taucht die Frage auf „Bist du ein Mann oder eine Frau?“. Manch­mal ant­wor­tet er, ein Mann, manch­mal, eine Frau, manch­mal gar nicht.

In Paj­tim Sta­tov­cis Roman ver­schwim­men Rea­li­tät und Fan­ta­sie, bru­tal und schön zugleich. So wie der Roman in der Zeit springt, so erfin­det sich auch Bujar immer wie­der neu, nimmt andere Iden­ti­tä­ten an. Mal ist er Ita­lie­ner, mal in Istan­bul gebo­ren, mal ein trans­se­xu­el­ler Cas­ting­teil­neh­men­der, mal ein Psy­cho­lo­gie­stu­dent, er liebt Frauen, er liebt Män­ner. Erleb­nisse und Bekannt­schaf­ten ver­schwim­men in sei­nen Iden­ti­tä­ten. Eine inten­sive Geschichte übers Erwach­sen­wer­den, Über­le­ben, sexu­elle Iden­ti­tät, Fami­lie und vie­les mehr, die keine Gren­zen kennt.

Maike Kar­ne­bo­gen

Paj­tim Sta­tovci. Grenz­gänge. Mün­chen 2021

Von |2021-11-05T16:00:56+01:00November 5th, 2021|Rezension|Kommentare deaktiviert für Paj­tim Sta­tovci: Grenzgänge
Maike Karnebogen ist Redaktionsassistentin für die Zeitung Politik & Kultur beim Deutschen Kulturrat.