„Sport von Men­schen mit Behin­de­rung sollte eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein“

Drei Fra­gen an Tors­ten Burmester

Seit 70 Jah­ren arbei­tet der Deut­sche Behin­der­ten­sport­ver­band kon­ti­nu­ier­lich daran, die Rah­men­be­din­gun­gen für den Sport von Men­schen mit Behin­de­rung wei­ter zu ver­bes­sern und die­sen gleich­be­rech­tigt in der Gesell­schaft zu ver­an­kern. Was kann die Kul­tur dar­aus ler­nen und wel­che Syn­er­gien kön­nen genutzt wer­den? Der Gene­ral­se­kre­tär des Deut­schen Behin­der­ten­sport­ver­ban­des (DBS) Tors­ten Bur­mes­ter gibt Auskunft.

Was kenn­zeich­net die Arbeit des Deut­schen Behin­der­ten­sport­ver­ban­des (DBS)? Wel­che Best-Prac­tice-Bei­spiele gibt es?
Die Ant­wort ist ganz ein­fach. Alle Men­schen im DBS set­zen sich mit hoher Moti­va­tion und viel Kraft dafür ein, dass Men­schen mit Behin­de­run­gen in unse­rer Gesell­schaft Sport trei­ben kön­nen. Was so ein­fach klingt, bringt aller­dings ganz viele Ein­zel­auf­ga­ben mit sich. Unsere Gesell­schaft ist viel­schich­tig, ebenso der Sport.

Wir sind zum einen das Natio­nale Para­lym­pi­sche Komi­tee und ver­tre­ten, immer im Team mit ande­ren Spit­zen­ver­bän­den, die Inter­es­sen unse­rer Spit­zen­sport­le­rin­nen und Spit­zen­sport­ler. Dabei agie­ren wir sowohl natio­nal als auch inter­na­tio­nal. Ganz offen­sicht­lich wird die­ses Wir­ken bei den Para­lym­pi­schen Spie­len im Som­mer oder Winter.

Das wird durch die große mediale Auf­merk­sam­keit, die in den ver­gan­ge­nen Jah­ren erreicht wurde, einer brei­ten Öffent­lich­keit deut­lich und macht damit einen ganz wich­ti­gen Teil unse­rer Arbeit aus. Wer solch beein­dru­ckende Leis­tun­gen, die wir bei Para­lym­pi­schen Spie­len sehen, brin­gen will, muss trai­nie­ren, viel trai­nie­ren. Und wer trai­nie­ren will, braucht, gerade mit Behin­de­rung, die geeig­ne­ten Sport­stät­ten, Ein­rich­tun­gen, Ver­eine, Wege, Zugänge und Ange­bote. Wir wol­len also nicht nur Men­schen, egal wel­chen Alters, für Sport begeis­tern. Wir ver­ste­hen es als unsere Auf­gabe, die Inter­es­sen der Men­schen mit Behin­de­rung, die Sport trei­ben wol­len, zu ver­tre­ten. Sport für Men­schen mit Behin­de­rung soll eine Selbst­ver­ständ­lich­keit und fes­ter Bestand­teil unse­rer Gesell­schaft sein. Am bes­ten der einer inklu­si­ven Gesell­schaft. Den Weg dahin wol­len wir aktiv mit­ge­stal­ten und die Sicht­weise der Sport­trei­ben­den mit Behin­de­rung einbringen.
Viel haben wir erreicht in den ver­gan­ge­nen sie­ben Jahr­zehn­ten bis hin zu unse­rem 70. Geburts­tag in die­sem Jahr. Aber wir haben dring­li­che Auf­ga­ben vor uns: Der neue aktu­elle Teil­ha­be­be­richt der Bun­des­re­gie­rung hat gezeigt, dass immer weni­ger Men­schen mit Behin­de­rung Sport trei­ben (kön­nen). Wir müs­sen dar­auf hin­ar­bei­ten, dies nach­hal­tig zu ändern und auch die wirk­lich gra­vie­ren­den Fol­gen der Coro­na­pan­de­mie zu über­win­den. Allein durch die Pan­de­mie haben wir bis­lang 88.000 Mit­glie­der ver­lo­ren und viele Ver­eine haben Schwie­rig­kei­ten, ihre Ange­bote aufrechtzuerhalten.
Dabei sind diese Ange­bote uner­läss­lich für die Men­schen mit Behin­de­rung und unsere Gesell­schaft – ob mit Blick auf Gesund­heit und Lebens­qua­li­tät, Bewe­gung und Mobi­li­tät im All­tag oder das soziale Mit­ein­an­der und die Begeg­nun­gen. Dafür braucht es Ver­eine sowie Ehren­amt­le­rin­nen und Ehren­amt­ler. Best-Prac­tice-Bei­spiel sind daher tat­säch­lich alle, die zei­gen, wie ganz viele bür­ger­schaft­lich enga­gierte Men­schen ihre Mit­men­schen mit Behin­de­rung in ihr all­täg­li­ches Sport­le­ben ein­be­zie­hen. Und davon gibt es viele in Deutsch­land und hof­fent­lich bald wie­der mehr.

Wel­chen Bei­trag leis­tet der Deut­sche Behin­der­ten­sport­ver­band für Inklu­sion in Deutschland?
Wir haben 2014 einen Index für Inklu­sion im und durch Sport ver­öf­fent­licht, der als Weg­wei­ser zur För­de­rung des Auf- bzw. Aus­baus einer inklu­si­ven Sport­land­schaft bei­tra­gen soll. Bis 2020 wur­den in zehn Modell­re­gio­nen auf Basis die­ses Index nach­hal­tige Impulse zum Auf­bau inklu­si­ver Sport­struk­tu­ren gege­ben. 2009 wurde die UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion unter­zeich­net – ein bedeu­ten­der Schritt für Men­schen mit Behin­de­rung in Deutsch­land, so auch im Sport. Zum zehn­jäh­ri­gen Jah­res­tag die­ser Unter­zeich­nung haben wir mit einem Posi­ti­ons­pa­pier klare For­de­run­gen zu The­men wie Bar­rie­re­frei­heit und Inklu­sion von Kin­dern und Jugend­li­chen for­mu­liert. Die­ses Papier ist ein ele­men­ta­rer Teil für unsere poli­ti­sche Tätig­keit und wirkt durch die Dis­kus­sion und Umset­zung der For­de­run­gen in unsere Gesell­schaft hin­ein. Wir sind uns bewusst, dass sich noch vie­les ändern muss, damit eine gleich­be­rech­tigte Teil­habe in der Gesell­schaft Wirk­lich­keit wird. Dabei sind die große Akzep­tanz und der hohe Respekt für die Leis­tung unse­rer Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten unser wich­tigs­ter Wert. Als Deut­scher Behin­der­ten­sport­ver­band müs­sen wir die Poli­tik ein Stück weit antrei­ben, Vor­schläge machen, die Umset­zung ein­for­dern und den Fin­ger in bestehende Wun­den legen. Wir sind der Motor für Gedan­ken mit Blick auf den Sport von und für Men­schen mit Behinderung.

Was kann der Kul­tur- vom Sport­be­reich beim Thema Inklu­sion ler­nen? Wel­che Syn­er­gien kön­nen genutzt werden?
Der Sport ist kein Lehr­meis­ter, weder für die Kul­tur noch für andere gesell­schaft­li­che Berei­che. Doch eines ist uns im Sport in den ver­gan­ge­nen Jah­ren auf jeden Fall gelun­gen, und Bun­des­kanz­le­rin Angela Mer­kel hat dies anläss­lich unse­res Jubi­lä­ums zuletzt so aus­ge­drückt: „Der schönste Erfolg ist manch­mal, wenn etwas selbst­ver­ständ­lich wird, so wie der Para-Sport.“ Wir bemü­hen uns, keine Son­der­stel­lung zu haben. Viel­mehr ist es unser Bestre­ben, dass die Leis­tung unse­rer Sport­le­rin­nen und Sport­ler sowie das ehren­amt­li­che Enga­ge­ment der vie­len Men­schen in unse­ren Ver­ei­nen und Ver­bän­den zu einer selbst­ver­ständ­li­chen Nor­ma­li­tät im Mit­ein­an­der führt. Dass beim Bau von Sport­stät­ten selbst­ver­ständ­lich mit­ge­dacht wird, wie Men­schen mit Behin­de­rung darin Sport trei­ben kön­nen, dass Sport­ver­eine sich öff­nen, dass Sport­feste inklu­siv gedacht wer­den und dass moderne Sport­an­ge­bote wie Sport im Park in Groß­städ­ten ganz ohne Nach­frage auch für Men­schen mit Behin­de­rung gedacht wer­den – das ist Ziel und Vision zugleich.
Der para­lym­pi­sche Sport hat sich dem olym­pi­schen Sport mit Blick auf die öffent­li­che För­de­rung und auch Auf­merk­sam­keit deut­lich ange­nä­hert. Es war ein lan­ger Weg von den Welt­spie­len der Gelähm­ten, die z. B. 1972 in Hei­del­berg statt­fin­den muss­ten, weil die Sport­stät­ten in der Olym­pia­stadt Mün­chen nicht bar­rie­re­frei waren – die Pla­ner hat­ten dies schlicht­weg ver­ges­sen – bis hin zu über 60 Stun­den Bericht­erstat­tung in ARD und ZDF von den Para­lym­pics in Tokio. Die Spiele sind das große High­light, von deren Strahl­kraft auch der Sport von Men­schen mit Behin­de­rung gene­rell pro­fi­tie­ren kann – auch mit Blick auf wich­tige gesell­schaft­li­che Themen.

Viele Gren­zen haben wir schon über­win­den kön­nen. Vor­teil­haft wäre es, auch die Grenze zwi­schen Kul­tur und Sport mehr und mehr ver­schwin­den zu las­sen. Schließ­lich ist der Sport in mei­nen Augen ein bedeu­ten­der Teil der Kul­tur. Wird dies zur Selbst­ver­ständ­lich­keit, wäre es sicher ein Gewinn für beide Seiten.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2021.

Von |2021-09-02T15:56:37+02:00September 2nd, 2021|lnklusion|Kommentare deaktiviert für

„Sport von Men­schen mit Behin­de­rung sollte eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein“

Drei Fra­gen an Tors­ten Burmester

Torsten Burmester ist Generalsekretär des Deutschen Behindertensportverbandes e.V./Nationales Paralympisches Komitee.