Torsten Burmester 2. September 2021 Logo_Initiative_print.png

„Sport von Men­schen mit Behin­de­rung sollte eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein“

Drei Fra­gen an Tors­ten Burmester

Seit 70 Jahren arbeitet der Deutsche Behindertensportverband kontinuierlich daran, die Rahmenbedingungen für den Sport von Menschen mit Behinderung weiter zu verbessern und diesen gleichberechtigt in der Gesellschaft zu verankern. Was kann die Kultur daraus lernen und welche Synergien können genutzt werden? Der Generalsekretär des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) Torsten Burmester gibt Auskunft.

Was kennzeichnet die Arbeit des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS)? Welche Best-Practice-Beispiele gibt es?
Die Antwort ist ganz einfach. Alle Menschen im DBS setzen sich mit hoher Motivation und viel Kraft dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft Sport treiben können. Was so einfach klingt, bringt allerdings ganz viele Einzelaufgaben mit sich. Unsere Gesellschaft ist vielschichtig, ebenso der Sport.

Wir sind zum einen das Nationale Paralympische Komitee und vertreten, immer im Team mit anderen Spitzenverbänden, die Interessen unserer Spitzensportlerinnen und Spitzensportler. Dabei agieren wir sowohl national als auch international. Ganz offensichtlich wird dieses Wirken bei den Paralympischen Spielen im Sommer oder Winter.

Das wird durch die große mediale Aufmerksamkeit, die in den vergangenen Jahren erreicht wurde, einer breiten Öffentlichkeit deutlich und macht damit einen ganz wichtigen Teil unserer Arbeit aus. Wer solch beeindruckende Leistungen, die wir bei Paralympischen Spielen sehen, bringen will, muss trainieren, viel trainieren. Und wer trainieren will, braucht, gerade mit Behinderung, die geeigneten Sportstätten, Einrichtungen, Vereine, Wege, Zugänge und Angebote. Wir wollen also nicht nur Menschen, egal welchen Alters, für Sport begeistern. Wir verstehen es als unsere Aufgabe, die Interessen der Menschen mit Behinderung, die Sport treiben wollen, zu vertreten. Sport für Menschen mit Behinderung soll eine Selbstverständlichkeit und fester Bestandteil unserer Gesellschaft sein. Am besten der einer inklusiven Gesellschaft. Den Weg dahin wollen wir aktiv mitgestalten und die Sichtweise der Sporttreibenden mit Behinderung einbringen.
Viel haben wir erreicht in den vergangenen sieben Jahrzehnten bis hin zu unserem 70. Geburtstag in diesem Jahr. Aber wir haben dringliche Aufgaben vor uns: Der neue aktuelle Teilhabebericht der Bundesregierung hat gezeigt, dass immer weniger Menschen mit Behinderung Sport treiben (können). Wir müssen darauf hinarbeiten, dies nachhaltig zu ändern und auch die wirklich gravierenden Folgen der Coronapandemie zu überwinden. Allein durch die Pandemie haben wir bislang 88.000 Mitglieder verloren und viele Vereine haben Schwierigkeiten, ihre Angebote aufrechtzuerhalten.
Dabei sind diese Angebote unerlässlich für die Menschen mit Behinderung und unsere Gesellschaft – ob mit Blick auf Gesundheit und Lebensqualität, Bewegung und Mobilität im Alltag oder das soziale Miteinander und die Begegnungen. Dafür braucht es Vereine sowie Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler. Best-Practice-Beispiel sind daher tatsächlich alle, die zeigen, wie ganz viele bürgerschaftlich engagierte Menschen ihre Mitmenschen mit Behinderung in ihr alltägliches Sportleben einbeziehen. Und davon gibt es viele in Deutschland und hoffentlich bald wieder mehr.

Welchen Beitrag leistet der Deutsche Behindertensportverband für Inklusion in Deutschland?
Wir haben 2014 einen Index für Inklusion im und durch Sport veröffentlicht, der als Wegweiser zur Förderung des Auf- bzw. Ausbaus einer inklusiven Sportlandschaft beitragen soll. Bis 2020 wurden in zehn Modellregionen auf Basis dieses Index nachhaltige Impulse zum Aufbau inklusiver Sportstrukturen gegeben. 2009 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet – ein bedeutender Schritt für Menschen mit Behinderung in Deutschland, so auch im Sport. Zum zehnjährigen Jahrestag dieser Unterzeichnung haben wir mit einem Positionspapier klare Forderungen zu Themen wie Barrierefreiheit und Inklusion von Kindern und Jugendlichen formuliert. Dieses Papier ist ein elementarer Teil für unsere politische Tätigkeit und wirkt durch die Diskussion und Umsetzung der Forderungen in unsere Gesellschaft hinein. Wir sind uns bewusst, dass sich noch vieles ändern muss, damit eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft Wirklichkeit wird. Dabei sind die große Akzeptanz und der hohe Respekt für die Leistung unserer Athletinnen und Athleten unser wichtigster Wert. Als Deutscher Behindertensportverband müssen wir die Politik ein Stück weit antreiben, Vorschläge machen, die Umsetzung einfordern und den Finger in bestehende Wunden legen. Wir sind der Motor für Gedanken mit Blick auf den Sport von und für Menschen mit Behinderung.

Was kann der Kultur- vom Sportbereich beim Thema Inklusion lernen? Welche Synergien können genutzt werden?
Der Sport ist kein Lehrmeister, weder für die Kultur noch für andere gesellschaftliche Bereiche. Doch eines ist uns im Sport in den vergangenen Jahren auf jeden Fall gelungen, und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dies anlässlich unseres Jubiläums zuletzt so ausgedrückt: „Der schönste Erfolg ist manchmal, wenn etwas selbstverständlich wird, so wie der Para-Sport.“ Wir bemühen uns, keine Sonderstellung zu haben. Vielmehr ist es unser Bestreben, dass die Leistung unserer Sportlerinnen und Sportler sowie das ehrenamtliche Engagement der vielen Menschen in unseren Vereinen und Verbänden zu einer selbstverständlichen Normalität im Miteinander führt. Dass beim Bau von Sportstätten selbstverständlich mitgedacht wird, wie Menschen mit Behinderung darin Sport treiben können, dass Sportvereine sich öffnen, dass Sportfeste inklusiv gedacht werden und dass moderne Sportangebote wie Sport im Park in Großstädten ganz ohne Nachfrage auch für Menschen mit Behinderung gedacht werden – das ist Ziel und Vision zugleich.
Der paralympische Sport hat sich dem olympischen Sport mit Blick auf die öffentliche Förderung und auch Aufmerksamkeit deutlich angenähert. Es war ein langer Weg von den Weltspielen der Gelähmten, die z. B. 1972 in Heidelberg stattfinden mussten, weil die Sportstätten in der Olympiastadt München nicht barrierefrei waren – die Planer hatten dies schlichtweg vergessen – bis hin zu über 60 Stunden Berichterstattung in ARD und ZDF von den Paralympics in Tokio. Die Spiele sind das große Highlight, von deren Strahlkraft auch der Sport von Menschen mit Behinderung generell profitieren kann – auch mit Blick auf wichtige gesellschaftliche Themen.

Viele Grenzen haben wir schon überwinden können. Vorteilhaft wäre es, auch die Grenze zwischen Kultur und Sport mehr und mehr verschwinden zu lassen. Schließlich ist der Sport in meinen Augen ein bedeutender Teil der Kultur. Wird dies zur Selbstverständlichkeit, wäre es sicher ein Gewinn für beide Seiten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

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