„Ein ‚wei­ter so‘ geht auf kei­nen Fall“

Die Klage vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt offen­bart die über­fäl­lige Reform des öffent­lich-recht­li­chen Rundfunks 

Die Beschwer­de­füh­rer legen nicht näher dar, dass eine ver­fas­sungs­wid­rige Ver­zö­ge­rung des Inkraft­tre­tens der Ände­rung des Rund­funk­fi­nan­zie­rungs­staats­ver­trags irrever­si­bel zu schwe­ren Nach­tei­len führte“, so begrün­dete das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) unter ande­rem am 22. Dezem­ber 2020 die Ableh­nung des Antra­ges auf Erlass einer einst­wei­li­gen Anord­nung. Neben ihren Ver­fas­sungs­be­schwer­den hat­ten ARD, ZDF und Deutsch­land­ra­dio auch einst­wei­lige Anord­nun­gen des BVerfG bean­tragt. Zum einen sollte der erste Medi­en­än­de­rungs­staats­ver­trag so in Kraft gesetzt wer­den, wie ihn die Minis­ter­prä­si­den­ten beschlos­sen hat­ten. Damit wäre der erhöhte Rund­funk­bei­trag von 18,36 Euro monat­lich wirk­sam gewor­den. Zum ande­ren sollte die Ver­falls­klau­sel des Staats­ver­tra­ges unwirk­sam wer­den, um zu ver­hin­dern, dass der Staats­ver­trag zum 31. Dezem­ber 2020 „gegen­stands­los“ wird, weil ihn Sach­sen-Anhalt nicht rati­fi­ziert hat. Zu bei­den Anträ­gen bemän­gel­ten die Rich­ter, die feh­lende aus­rei­chende Begrün­dung. „Sofern die Beschwer­de­füh­rer also gel­tend machen wol­len, eine ver­fas­sungs­wid­rige Ver­zö­ge­rung des Inkraft­tre­tens der Ände­rung des Rund­funk­fi­nan­zie­rungs­staats­ver­trags löse eine Ver­schlech­te­rung des Pro­gramm­an­ge­bots aus und ver­letzte irrepa­ra­bel ihre Rund­funk­frei­heit, hät­ten sie sub­stan­ti­iert dar­le­gen müs­sen, bei Nicht­in­kraft­tre­ten ab dem 1. Januar 2021 man­gels Bei­trags­er­hö­hung zu dem von der KEF geprüf­ten Pro­gramm­an­ge­bot nicht in der Lage zu sein, obwohl im Fall des Obsie­gens im Ver­fas­sungs­be­schwer­de­ver­fah­ren eine kom­pen­sie­rende Mehr­aus­stat­tung in spä­te­ren Zeit­räu­men in Betracht kommt. Zwar ist ohne Wei­te­res plau­si­bel, dass die Beschwer­de­füh­rer trotz der Aus­sicht auf spä­tere finan­zi­elle Mehr­aus­stat­tung nicht auf unbe­grenzte Zeit in der Lage wären, das Pro­gramm­an­ge­bot gewis­ser­ma­ßen in eige­ner ›Vor­leis­tung‹ zu rea­li­sie­ren. Nicht ohne Wei­te­res plau­si­bel ist hin­ge­gen, dass dies – mit Blick auf ent­spre­chende spä­tere Mehr­aus­stat­tung – nicht für eine gewisse Zeit mög­lich sein sollte.“ Das bedeu­tet, dass das Ver­fas­sungs­ge­richt nicht aus­schließt, dass im Haupt­ver­fah­ren eine Ver­fas­sungs­wid­rig­keit durch das Unter­las­sen der Zustim­mung des Land­tags Sach­sen-Anhalt zum Ent­wurf eines Geset­zes zum ers­ten Medi­en­än­de­rungs­staats­ver­trag fest­ge­stellt wer­den könnte und eine „kom­pen­sie­rende Mehr­aus­stat­tung in spä­te­ren Zeit­räu­men durch­aus nicht aus­ge­schlos­sen“ sei. Zugleich hält es das Ver­fas­sungs­ge­richt für mög­lich, mit dem bis­he­ri­gen Rund­funk­bei­trag von 17,50 Euro monat­lich, für eine „gewisse Zeit“ die Erfül­lung des Auf­tra­ges sicherzustellen.

Wie das Rechts­por­tal lto.de infor­miert, hat­ten 15 Bun­des­län­der zu den Anträ­gen Stel­lung genom­men. Zwölf Bun­des­län­der unter­stütz­ten die öffent­lich-recht­li­chen Sen­der in einem gemein­sa­men Papier. Bre­men und das Saar­land ver­wie­sen in einer eige­nen Stel­lung­nahme auf die Pro­bleme der klei­nen ARD-Anstal­ten Saar­län­di­scher Rund­funk und Radio Bre­men. Sach­sen-Anhalt hielt die Eil­an­träge für unbe­grün­det. „Thü­rin­gen mit dem lin­ken Minis­ter­prä­si­den­ten Bodo Rame­low ver­zich­tete als ein­zi­ges Bun­des­land auf eine Posi­tio­nie­rung“, so lto.de.

Öffent­lich-recht­li­che Sen­der hat­ten kei­nen „Plan B“

Als Reak­tion auf den geschei­ter­ten Eil­an­trag drohte der ARD-Vor­sit­zende und WDR-Inten­dant Tom Buhrow umge­hend mit Ein­schnit­ten im Pro­gramm, die die obers­ten Ver­fas­sungs­rich­ter für „nicht plau­si­bel“ erach­te­ten. „Wir müs­sen nun unsere Finanz­pla­nun­gen anpas­sen. Ein Aus­blei­ben der Bei­trags­an­pas­sung wird gra­vie­rende Maß­nah­men erfor­dern, die man im Pro­gramm sehen und hören wird“, so Buhrow.

Den öffent­lich-recht­li­chen Sen­dern stan­den 2019 rund 8 Mil­li­ar­den Euro aus dem Rund­funk­bei­trag zur Ver­fü­gung. Dazu kamen wei­tere Ein­nah­men durch Wer­bung und Pro­gramm­ver­kauf von ca. 500 Mil­lio­nen Euro. Für den Bei­trags­zeit­raum von 2021 bis 2024 sind das alles in allem 34 Mil­li­ar­den Euro. Die KEF hatte für diese vier Jahre einen Mehr­be­darf von 1,5 Mil­li­ar­den Euro errech­net. Das ent­spricht etwa vier Pro­zent der Ein­nah­men auf der Basis des lau­fen­den Rund­funk­bei­tra­ges von 17,50 Euro.

Bemer­kens­wert ist, wie Tom Buhrow bestä­tigte, dass es bei kei­ner der öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten einen „Plan B“ für ein Schei­tern der Bei­trags­er­hö­hung gab. Selbst als Sach­sen-Anhalt nicht zustimmte, beschlos­sen ARD-Sen­der noch Haus­halts­pläne für 2021, die den geplan­ten Zuwachs bereits ein­ge­preist hat­ten. Rea­lis­mus und Kos­ten­be­wusst­sein sehen anders aus.

Vor allem die klei­nen ARD-Sen­der Radio Bre­men und der Saar­län­di­sche Rund­funk sind von der aus­blei­ben­den Erhö­hung betrof­fen. Sie soll­ten 34,5 Mil­lio­nen Euro mehr für vier Jahre erhal­ten. Im Zeit­raum 2017 bis 2020 betrug der Finanz­aus­gleich 93,3 Mil­lio­nen Euro pro Jahr. Beide Sen­der könn­ten allein mit den Bei­trags­ein­nah­men in ihren Sen­de­ge­bie­ten ihren gesetz­li­chen Auf­trag nicht erfüllen.

Coro­nabe­dingte Mehr­be­las­tun­gen der Bür­ger müs­sen nicht zu einem Ver­zicht auf eine Bei­trags­er­hö­hung führen

Die öffent­lich-recht­li­chen Sen­der haben 2020 durch den Aus­fall von sport­li­chen Groß­ereig­nis­sen nicht nur Kos­ten gespart, son­dern durch coro­nabe­dingte Son­der­sen­dun­gen und Hil­fen für Pro­du­zen­ten zusätz­li­che Auf­wen­dun­gen gehabt. Sodass nicht sicher ist, ob die wirt­schaft­li­che Belas­tung der Bür­ger durch die Corona-Pan­de­mie, wie von der Lan­des­re­gie­rung in Sach­sen-Anhalt argu­men­tiert, eine Ableh­nung der Bei­trags­er­hö­hung gerecht­fer­tigt hat.

Oli­ver Schenk, Chef der Säch­si­schen Staats­kanz­lei reagierte in einem FAZ-Inter­view auf die For­de­rung aus Sach­sen-Anhalt skep­tisch, dass die KEF auf­grund der Corona-Pan­de­mie eine Neu­be­rech­nung des Bei­tra­ges vor­neh­men solle: „Es ist nicht sicher, ob ein sol­ches Gut­ach­ten zu einer Ver­rin­ge­rung der geplan­ten Bei­trags­er­hö­hung füh­ren würde. Wer die vor­ge­se­he­nen 18,36 Euro infrage stellt, geht das Risiko ein, eine höhere Emp­feh­lung zu erhal­ten, weil auch die Öffent­lich-Recht­li­chen von der Pan­de­mie betrof­fen sind, sei es durch höhere Pro­duk­ti­ons­kos­ten oder gerin­gere Wer­be­ein­nah­men. Hinzu kom­men dürfte eine zuneh­mende Zahl von Befrei­un­gen oder Ermä­ßi­gun­gen.“ Die rea­len Aus­wir­kun­gen auf die Ein­kom­mens­si­tua­tion durch die Corona-Pan­de­mie lie­ßen sich jetzt noch nicht seriös ermit­teln. Das werde die KEF aber in ihrem nächs­ten Zwi­schen­be­richt berück­sich­ti­gen, der Ende 2021 vor­ge­legt werde.

Es ist inzwi­schen wie ein Paw­low­scher Effekt, dass Ver­ant­wort­li­che des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks bei berech­tig­ten For­de­run­gen nach mehr Wirt­schaft­lich­keit und grö­ße­rer Spar­sam­keit sofort mit Abstri­chen am Pro­gramm dro­hen und weni­ger ihre eige­nen Struk­tu­ren in den Fokus neh­men. Auf die­ses feh­lende Reform­be­wusst­sein ver­wies auch die KEF im Februar 2020 im Zusam­men­hang mit ihrem 22. Bericht: „Die KEF hält es für erfor­der­lich, wei­ter­ge­hende stra­te­gi­sche Ansatz­punkte für tief­grei­fende Umstruk­tu­rie­run­gen und kos­ten­sen­kende Reform­maß­nah­men zu ent­wi­ckeln. Dazu gehört auch eine umfas­sende Schwach­stel­len­ana­lyse durch die Anstal­ten. Die Kom­mis­sion erwar­tet, dass die Anstal­ten größte Anstren­gun­gen unter­neh­men, um die erkenn­ba­ren Wirt­schaft­lich­keits­po­ten­ziale zu rea­li­sie­ren. Im Hin­blick auf die ARD erwar­tet die Kom­mis­sion, dass die Koope­ra­tio­nen zwi­schen den Rund­funk­an­stal­ten – soweit recht­lich zuläs­sig und wirt­schaft­lich sinn­voll – deut­lich aus­ge­wei­tet wer­den. Aller­dings wird die Hebung der Poten­ziale so lange unvoll­stän­dig blei­ben, wie der gesetz­li­che Auf­trag, die Pro­gramm­struk­tur und das Pro­gramm­vo­lu­men aus der Betrach­tung aus­ge­klam­mert wer­den“, erklärte die Kom­mis­sion zur Ermitt­lung des Finanz­be­darfs der Rund­funk­an­stal­ten. „Der gesetz­li­che Auf­trag, die Pro­gramm­struk­tur und das Pro­gramm­vo­lu­men“, die die KEF hier anmah­nen, muss von der Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz defi­niert wer­den. Die KEF kann zwar Spar­vor­schläge unter­brei­ten, muss aber eine Finan­zie­rung zur Erfül­lung des Auf­tra­ges sicherstellen.

Sach­sen for­dert „gro­ßen Wurf“ für eine Reform des öffent­lich-recht­li­chen Rundfunks

Ange­sichts der Klage vor dem BVerfG benö­tig­ten die Län­der „einen gro­ßen Wurf“, um die Akzep­tanz des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks zu ver­bes­sern, for­dert Oli­ver Schenk in dem Gespräch mit der FAZ. „Ein ‚wei­ter so‘ geht auf kei­nen Fall“, betont der Staats­mi­nis­ter, der auch die Medi­en­po­li­tik der CDU-regier­ten Bun­des­län­der koor­di­niert. Es müsse bald zu einem moder­ni­sier­ten Auf­trag kom­men, der die Unter­scheid­bar­keit der öffent­lich-recht­li­chen Pro­gramme von den pri­va­ten Anbie­tern deut­lich ver­bes­sere und den Anstal­ten die not­wen­dige Fle­xi­bi­li­tät ermög­li­che, schnel­ler auf Ver­än­de­run­gen in der Medi­en­nut­zung zu reagie­ren. Dazu gehöre der Aus­bau der Media­the­ken, eine For­cie­rung der Platt­form­stra­te­gie, eine engere Ver­net­zung und grö­ßere Eigen­ver­ant­wor­tung bei der Ent­schei­dung über den bes­ten Dis­tri­bu­ti­ons­weg. Schenk kri­ti­siert, dass sich die Län­der für diese wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen bis­her zu viel Zeit gelas­sen hät­ten und bis heute keine ein­ver­nehm­li­che Lösung fin­den konn­ten. Die Moder­ni­sie­rung des Auf­tra­ges spielte bei den Debat­ten in den Land­ta­gen und den damit ver­bun­de­nen Anhö­run­gen eine wich­tige Rolle und viele Abge­ord­nete hät­ten for­mu­liert, dass sie eine Zustim­mung zur Bei­trags­er­hö­hung mit der Erwar­tung an eine zeit­nahe Reform des Auf­tra­ges und grö­ße­ren Spar­an­stren­gun­gen der Anstal­ten ver­bin­den. Es sei des­halb für die Akzep­tanz des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks wich­tig, dass diese Frage jetzt ganz oben auf der medi­en­po­li­ti­schen Agenda der Län­der stehe.

Auch andere Bun­des­län­der, so Rhein­land-Pfalz, das den Vor­sitz der Medi­en­kom­mis­sion der Län­der inne­hat, haben jetzt zur Eile gemahnt und der Novel­lie­rung des Auf­tra­ges hohe Prio­ri­tät bei den medi­en­po­li­ti­schen The­men für 2021 eingeräumt.

Das ist eine bemer­kens­werte Kehrt­wende, denn noch im Juni 2020 hat­ten die Regie­rungs­chefin­nen und -chefs beschlos­sen, sich bis zum Som­mer 2022 für einen Reform­vor­schlag Zeit zu las­sen. Es war geplant – je nach Bedarf – die KEF, die öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stal­ten sowie externe Sach­ver­stän­dige ein­zu­be­zie­hen. Dabei lag ein nahezu fer­ti­ger Ver­trags­text bereits Ende 2019 vor. Bekannt­lich hatte sich die Rund­funk­kom­mis­sion der Län­der im Zusam­men­hang mit der geplan­ten Ein­füh­rung des Index-Modells auf drei Kern­the­men für die Novel­lie­rung des Auf­tra­ges ver­stän­digt: Fokus­sie­rung des Pro­gramm­an­ge­bo­tes, Fle­xi­bi­li­sie­rung bei den Ver­brei­tungs­we­gen und Ver­net­zung digi­ta­ler Ange­bote. Damit soll­ten nur noch wenige Pro­gramme, wie das Erste, das ZDF, die Drit­ten Pro­gramme und die Gemein­schafts­an­ge­bote wie KiKa oder ARTE beauf­tragt wer­den. Bei Ange­bo­ten wie tagesschau24, ARD-ONE, ZDF­info und ZDF­neo soll­ten die Anstal­ten „fle­xi­bel“ selbst dar­über ent­schei­den, ob sie diese als klas­si­sche Fern­seh­an­ge­bote fort­füh­ren, in ein Tele­me­di­en­an­ge­bot über­füh­ren oder ganz dar­auf ver­zich­ten. Da das Index-Modell keine Mehr­heit fand, wur­den auch die Ände­run­gen am Auf­trag, trotz weit­ge­hen­der Über­ein­stim­mung, nicht beschlossen.

Der öffent­lich-recht­li­che Rund­funk wird die nächste Zeit mit gerin­ge­ren Ein­nah­men aus­kom­men müs­sen als erwar­tet, was Kon­se­quen­zen für Auf­trags­pro­duk­tio­nen, freie Mit­ar­bei­ter und Dienst­leis­ter haben wird. Ande­rer­seits ste­hen die Län­der mit dem Sach­sen-Anhalt-Deba­kel unter Druck, schnel­ler als ursprüng­lich geplant, den Auf­trag zu novel­lie­ren. Das könnte sowohl den Mit­ar­bei­tern der Anstal­ten als auch den vie­len Krea­ti­ven, die an den öffent­lich-recht­li­chen Ange­bo­ten mit­wir­ken, end­lich mehr Zukunfts­si­cher­heit geben.

Die­ser Bei­trag ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 02/2021.

Von |2021-02-05T15:36:12+01:00Februar 5th, 2021|Medien|Kommentare deaktiviert für

„Ein ‚wei­ter so‘ geht auf kei­nen Fall“

Die Klage vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt offen­bart die über­fäl­lige Reform des öffent­lich-recht­li­chen Rundfunks 

Helmut Hartung ist Chefredakteur des Blogs medienpolitik.net.