Helmut Hartung 5. Februar 2021 Logo_Initiative_print.png

„Ein ‚wei­ter so‘ geht auf kei­nen Fall“

Die Klage vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt offen­bart die über­fäl­lige Reform des öffent­lich-recht­li­chen Rundfunks 

Die Beschwerdeführer legen nicht näher dar, dass eine verfassungswidrige Verzögerung des Inkrafttretens der Änderung des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags irreversibel zu schweren Nachteilen führte“, so begründete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter anderem am 22. Dezember 2020 die Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Neben ihren Verfassungsbeschwerden hatten ARD, ZDF und Deutschlandradio auch einstweilige Anordnungen des BVerfG beantragt. Zum einen sollte der erste Medienänderungsstaatsvertrag so in Kraft gesetzt werden, wie ihn die Ministerpräsidenten beschlossen hatten. Damit wäre der erhöhte Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro monatlich wirksam geworden. Zum anderen sollte die Verfallsklausel des Staatsvertrages unwirksam werden, um zu verhindern, dass der Staatsvertrag zum 31. Dezember 2020 „gegenstandslos“ wird, weil ihn Sachsen-Anhalt nicht ratifiziert hat. Zu beiden Anträgen bemängelten die Richter, die fehlende ausreichende Begründung. „Sofern die Beschwerdeführer also geltend machen wollen, eine verfassungswidrige Verzögerung des Inkrafttretens der Änderung des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags löse eine Verschlechterung des Programmangebots aus und verletzte irreparabel ihre Rundfunkfreiheit, hätten sie substantiiert darlegen müssen, bei Nichtinkrafttreten ab dem 1. Januar 2021 mangels Beitragserhöhung zu dem von der KEF geprüften Programmangebot nicht in der Lage zu sein, obwohl im Fall des Obsiegens im Verfassungsbeschwerdeverfahren eine kompensierende Mehrausstattung in späteren Zeiträumen in Betracht kommt. Zwar ist ohne Weiteres plausibel, dass die Beschwerdeführer trotz der Aussicht auf spätere finanzielle Mehrausstattung nicht auf unbegrenzte Zeit in der Lage wären, das Programmangebot gewissermaßen in eigener ›Vorleistung‹ zu realisieren. Nicht ohne Weiteres plausibel ist hingegen, dass dies – mit Blick auf entsprechende spätere Mehrausstattung – nicht für eine gewisse Zeit möglich sein sollte.“ Das bedeutet, dass das Verfassungsgericht nicht ausschließt, dass im Hauptverfahren eine Verfassungswidrigkeit durch das Unterlassen der Zustimmung des Landtags Sachsen-Anhalt zum Entwurf eines Gesetzes zum ersten Medienänderungsstaatsvertrag festgestellt werden könnte und eine „kompensierende Mehrausstattung in späteren Zeiträumen durchaus nicht ausgeschlossen“ sei. Zugleich hält es das Verfassungsgericht für möglich, mit dem bisherigen Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro monatlich, für eine „gewisse Zeit“ die Erfüllung des Auftrages sicherzustellen.

Wie das Rechtsportal lto.de informiert, hatten 15 Bundesländer zu den Anträgen Stellung genommen. Zwölf Bundesländer unterstützten die öffentlich-rechtlichen Sender in einem gemeinsamen Papier. Bremen und das Saarland verwiesen in einer eigenen Stellungnahme auf die Probleme der kleinen ARD-Anstalten Saarländischer Rundfunk und Radio Bremen. Sachsen-Anhalt hielt die Eilanträge für unbegründet. „Thüringen mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow verzichtete als einziges Bundesland auf eine Positionierung“, so lto.de.

Öffentlich-rechtliche Sender hatten keinen „Plan B“

Als Reaktion auf den gescheiterten Eilantrag drohte der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Tom Buhrow umgehend mit Einschnitten im Programm, die die obersten Verfassungsrichter für „nicht plausibel“ erachteten. „Wir müssen nun unsere Finanzplanungen anpassen. Ein Ausbleiben der Beitragsanpassung wird gravierende Maßnahmen erfordern, die man im Programm sehen und hören wird“, so Buhrow.

Den öffentlich-rechtlichen Sendern standen 2019 rund 8 Milliarden Euro aus dem Rundfunkbeitrag zur Verfügung. Dazu kamen weitere Einnahmen durch Werbung und Programmverkauf von ca. 500 Millionen Euro. Für den Beitragszeitraum von 2021 bis 2024 sind das alles in allem 34 Milliarden Euro. Die KEF hatte für diese vier Jahre einen Mehrbedarf von 1,5 Milliarden Euro errechnet. Das entspricht etwa vier Prozent der Einnahmen auf der Basis des laufenden Rundfunkbeitrages von 17,50 Euro.

Bemerkenswert ist, wie Tom Buhrow bestätigte, dass es bei keiner der öffentlich-rechtlichen Anstalten einen „Plan B“ für ein Scheitern der Beitragserhöhung gab. Selbst als Sachsen-Anhalt nicht zustimmte, beschlossen ARD-Sender noch Haushaltspläne für 2021, die den geplanten Zuwachs bereits eingepreist hatten. Realismus und Kostenbewusstsein sehen anders aus.

Vor allem die kleinen ARD-Sender Radio Bremen und der Saarländische Rundfunk sind von der ausbleibenden Erhöhung betroffen. Sie sollten 34,5 Millionen Euro mehr für vier Jahre erhalten. Im Zeitraum 2017 bis 2020 betrug der Finanzausgleich 93,3 Millionen Euro pro Jahr. Beide Sender könnten allein mit den Beitragseinnahmen in ihren Sendegebieten ihren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen.

Coronabedingte Mehrbelastungen der Bürger müssen nicht zu einem Verzicht auf eine Beitragserhöhung führen

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben 2020 durch den Ausfall von sportlichen Großereignissen nicht nur Kosten gespart, sondern durch coronabedingte Sondersendungen und Hilfen für Produzenten zusätzliche Aufwendungen gehabt. Sodass nicht sicher ist, ob die wirtschaftliche Belastung der Bürger durch die Corona-Pandemie, wie von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt argumentiert, eine Ablehnung der Beitragserhöhung gerechtfertigt hat.

Oliver Schenk, Chef der Sächsischen Staatskanzlei reagierte in einem FAZ-Interview auf die Forderung aus Sachsen-Anhalt skeptisch, dass die KEF aufgrund der Corona-Pandemie eine Neuberechnung des Beitrages vornehmen solle: „Es ist nicht sicher, ob ein solches Gutachten zu einer Verringerung der geplanten Beitragserhöhung führen würde. Wer die vorgesehenen 18,36 Euro infrage stellt, geht das Risiko ein, eine höhere Empfehlung zu erhalten, weil auch die Öffentlich-Rechtlichen von der Pandemie betroffen sind, sei es durch höhere Produktionskosten oder geringere Werbeeinnahmen. Hinzu kommen dürfte eine zunehmende Zahl von Befreiungen oder Ermäßigungen.“ Die realen Auswirkungen auf die Einkommenssituation durch die Corona-Pandemie ließen sich jetzt noch nicht seriös ermitteln. Das werde die KEF aber in ihrem nächsten Zwischenbericht berücksichtigen, der Ende 2021 vorgelegt werde.

Es ist inzwischen wie ein Pawlowscher Effekt, dass Verantwortliche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei berechtigten Forderungen nach mehr Wirtschaftlichkeit und größerer Sparsamkeit sofort mit Abstrichen am Programm drohen und weniger ihre eigenen Strukturen in den Fokus nehmen. Auf dieses fehlende Reformbewusstsein verwies auch die KEF im Februar 2020 im Zusammenhang mit ihrem 22. Bericht: „Die KEF hält es für erforderlich, weitergehende strategische Ansatzpunkte für tiefgreifende Umstrukturierungen und kostensenkende Reformmaßnahmen zu entwickeln. Dazu gehört auch eine umfassende Schwachstellenanalyse durch die Anstalten. Die Kommission erwartet, dass die Anstalten größte Anstrengungen unternehmen, um die erkennbaren Wirtschaftlichkeitspotenziale zu realisieren. Im Hinblick auf die ARD erwartet die Kommission, dass die Kooperationen zwischen den Rundfunkanstalten – soweit rechtlich zulässig und wirtschaftlich sinnvoll – deutlich ausgeweitet werden. Allerdings wird die Hebung der Potenziale so lange unvollständig bleiben, wie der gesetzliche Auftrag, die Programmstruktur und das Programmvolumen aus der Betrachtung ausgeklammert werden“, erklärte die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. „Der gesetzliche Auftrag, die Programmstruktur und das Programmvolumen“, die die KEF hier anmahnen, muss von der Ministerpräsidentenkonferenz definiert werden. Die KEF kann zwar Sparvorschläge unterbreiten, muss aber eine Finanzierung zur Erfüllung des Auftrages sicherstellen.

Sachsen fordert „großen Wurf“ für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Angesichts der Klage vor dem BVerfG benötigten die Länder „einen großen Wurf“, um die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verbessern, fordert Oliver Schenk in dem Gespräch mit der FAZ. „Ein ‚weiter so‘ geht auf keinen Fall“, betont der Staatsminister, der auch die Medienpolitik der CDU-regierten Bundesländer koordiniert. Es müsse bald zu einem modernisierten Auftrag kommen, der die Unterscheidbarkeit der öffentlich-rechtlichen Programme von den privaten Anbietern deutlich verbessere und den Anstalten die notwendige Flexibilität ermögliche, schneller auf Veränderungen in der Mediennutzung zu reagieren. Dazu gehöre der Ausbau der Mediatheken, eine Forcierung der Plattformstrategie, eine engere Vernetzung und größere Eigenverantwortung bei der Entscheidung über den besten Distributionsweg. Schenk kritisiert, dass sich die Länder für diese wichtigen Entscheidungen bisher zu viel Zeit gelassen hätten und bis heute keine einvernehmliche Lösung finden konnten. Die Modernisierung des Auftrages spielte bei den Debatten in den Landtagen und den damit verbundenen Anhörungen eine wichtige Rolle und viele Abgeordnete hätten formuliert, dass sie eine Zustimmung zur Beitragserhöhung mit der Erwartung an eine zeitnahe Reform des Auftrages und größeren Sparanstrengungen der Anstalten verbinden. Es sei deshalb für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wichtig, dass diese Frage jetzt ganz oben auf der medienpolitischen Agenda der Länder stehe.

Auch andere Bundesländer, so Rheinland-Pfalz, das den Vorsitz der Medienkommission der Länder innehat, haben jetzt zur Eile gemahnt und der Novellierung des Auftrages hohe Priorität bei den medienpolitischen Themen für 2021 eingeräumt.

Das ist eine bemerkenswerte Kehrtwende, denn noch im Juni 2020 hatten die Regierungschefinnen und -chefs beschlossen, sich bis zum Sommer 2022 für einen Reformvorschlag Zeit zu lassen. Es war geplant – je nach Bedarf – die KEF, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie externe Sachverständige einzubeziehen. Dabei lag ein nahezu fertiger Vertragstext bereits Ende 2019 vor. Bekanntlich hatte sich die Rundfunkkommission der Länder im Zusammenhang mit der geplanten Einführung des Index-Modells auf drei Kernthemen für die Novellierung des Auftrages verständigt: Fokussierung des Programmangebotes, Flexibilisierung bei den Verbreitungswegen und Vernetzung digitaler Angebote. Damit sollten nur noch wenige Programme, wie das Erste, das ZDF, die Dritten Programme und die Gemeinschaftsangebote wie KiKa oder ARTE beauftragt werden. Bei Angeboten wie tagesschau24, ARD-ONE, ZDFinfo und ZDFneo sollten die Anstalten „flexibel“ selbst darüber entscheiden, ob sie diese als klassische Fernsehangebote fortführen, in ein Telemedienangebot überführen oder ganz darauf verzichten. Da das Index-Modell keine Mehrheit fand, wurden auch die Änderungen am Auftrag, trotz weitgehender Übereinstimmung, nicht beschlossen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird die nächste Zeit mit geringeren Einnahmen auskommen müssen als erwartet, was Konsequenzen für Auftragsproduktionen, freie Mitarbeiter und Dienstleister haben wird. Andererseits stehen die Länder mit dem Sachsen-Anhalt-Debakel unter Druck, schneller als ursprünglich geplant, den Auftrag zu novellieren. Das könnte sowohl den Mitarbeitern der Anstalten als auch den vielen Kreativen, die an den öffentlich-rechtlichen Angeboten mitwirken, endlich mehr Zukunftssicherheit geben.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2021.

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