Ein poe­ti­scher Grenzverkehr

Das Über­set­zungs­pro­jekt und zwei­spra­chige Lyrik­ma­ga­zin TRIMARAN

Im Jahr 2016 waren die Nie­der­lande und Flan­dern gemein­sam Ehren­gäste der Frank­fur­ter Buch­messe. Ihr Motto lau­tete „Dies ist, was wir tei­len“ und damit waren, bei allen kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Unter­schie­den zwi­schen Flan­dern und den Nie­der­lan­den, nicht nur die gemein­same Nord­see­küste oder die gemein­same Spra­che, das Nie­der­län­di­sche, gemeint. Man prä­sen­tierte sich als eine viel­fäl­tige Lite­ra­tur­re­gion, deren Unter­schied­lich­kei­ten gera­dezu der Garant für lite­ra­ri­sche Viel­falt sind. „Dies ist, was wir tei­len“ meinte aber auch „dies ist, was wir mit euch tei­len möch­ten“ – als Ein­la­dung zum Aus­tausch über gesell­schaft­li­che und kul­tu­relle Themen.

Damit das Publi­kum an die­sem Aus­tausch teil­ha­ben und die Lite­ra­tur der Gast­län­der und -regio­nen inten­siv ken­nen­ler­nen kann, wur­den Hun­derte Über­set­zun­gen und Ver­öf­fent­li­chun­gen finan­zi­ell unter­stützt; für die nie­der­län­disch­spra­chige Lite­ra­tur sind hier die bei­den staat­lich geför­der­ten Stif­tun­gen Fland­ers Lite­ra­ture und der Neder­lands Let­te­ren­fonds feder­füh­rend aktiv. Beim Gast­land­auf­tritt Flan­derns und der Nie­der­lande 2016 fiel nun beson­ders auf, dass eine große Zahl an zeit­ge­nös­si­schen Lyri­ke­rin­nen und Lyri­kern über­setzt wur­den. Auch die Autoren die­ses Bei­trags haben sich in die­sem Zusam­men­hang bemüht, die junge nie­der­län­disch­spra­chige Poe­sie aus­schnitt­haft und zwei­spra­chig zu kar­tie­ren, unter ande­rem mit der 2016 im [SIC]-Literaturverlag erschie­ne­nen Antho­lo­gie „Pol­der­poe­sie“. Die gegen­wär­tige Poe­sie­land­schaft unse­rer Nach­barn wurde so für ein deutsch­spra­chi­ges Publi­kum sicht- und les­bar und es offen­barte sich ein viel­fäl­ti­ges Feld inno­va­ti­ver, moder­ner und aus­ge­spro­chen heu­ti­ger lyri­scher Stimmen.

Um nach­hal­tige Ver­bin­dun­gen zu stif­ten – zwi­schen den lite­ra­ri­schen-poe­ti­schen Sprach­räu­men des Nie­der­län­di­schen und des Deut­schen, zwi­schen den zumeist völ­lig sepa­rat von­ein­an­der agie­ren­den Poe­sie­sze­nen, zwi­schen ein­zel­nen Lyri­ke­rin­nen und Lyri­kern, zwi­schen den ver­schie­de­nen Leser­schaf­ten – haben die Kunst­stif­tung NRW, Fland­ers Lite­ra­ture und der Neder­lands Let­te­ren­fonds ein beson­de­res Pro­jekt ins Leben geru­fen: TRIMARAN. Benannt nach dem Boot mit den drei par­al­le­len Rümp­fen, stif­tet das zwei­spra­chige und aus drei Län­dern ange­trie­bene Maga­zin TRIMARAN einen grenz- und sprach­über­grei­fen­den Ver­net­zungs­ver­kehr und prä­sen­tiert Begeg­nun­gen und wech­sel­sei­tige Über­tra­gun­gen von Dich­te­rin­nen und Dich­tern. Jeweils ein deutsch-flä­mi­sches und ein deutsch-nie­der­län­di­sches Dich­ter­paar tref­fen auf­ein­an­der, ler­nen sich ken­nen und über­set­zen gegen­sei­tig aus­ge­wählte Gedichte. Das geschieht auf Basis soge­nann­ter Inter­li­ne­ar­über­set­zun­gen, also para­phra­sie­ren­der Basis­über­set­zun­gen, und mit Unter­stüt­zung mode­rie­ren­der Sprach- und Kul­tur­mitt­ler. Das bedeu­tet auch, dass die Dich­te­rin­nen und Dich­ter die Spra­che ihres poe­ti­schen Part­ners oder ihrer poe­ti­schen Part­ne­rin nicht beherr­schen müs­sen, es ist expli­zit nicht not­wen­dig. Diese Über­set­zungs­me­thode bie­tet dabei einen gro­ßen Mög­lich­keits­raum jen­seits her­kömm­li­cher Über­set­zun­gen und führt mit­un­ter zu über­ra­schen­den poe­ti­schen Über­tra­gun­gen eige­ner Ord­nung. Den Auf­takt für diese Begeg­nun­gen bil­det in der Regel ein Work­shop im Euro­päi­schen Über­set­zer­kol­le­gium Strae­len – zuletzt wegen Corona online –, zu dem wir die vier Dich­te­rin­nen und Dich­ter ein­la­den. Dort stel­len sie ein­an­der die eige­nen Gedichte vor, geben Ein­bli­cke in ihre dich­te­ri­sche Werk­statt und arbei­ten an gegen­sei­ti­gen Über­tra­gun­gen ihrer Gedichte. Die Ergeb­nisse, die als eine Art Heft im Heft im TRI­MA­RAN-Maga­zin prä­sen­tiert wer­den, rei­chen aber schließ­lich weit über das Work­shop-Wochen­ende hin­aus: In por­trä­tie­ren­den Essays und einem eigens ent­wi­ckel­ten gemein­sa­men Pro­jekt doku­men­tie­ren sich poe­ti­sche und mit­un­ter auch sehr per­sön­li­che, grenz­über­schrei­tende Begeg­nun­gen, die auch über die Dauer der Pro­jekt­ar­beit noch anhalten.

Der poe­ti­sche Innen­teil des Maga­zins wird umman­telt von Essays und Lyrik­emp­feh­lun­gen, in denen Ken­ne­rin­nen und Ken­ner der Lyrik­land­schaf­ten Flan­derns, der Nie­der­lande und Deutsch­lands zwei­spra­chig über neu­este Ent­wick­lun­gen, Ereig­nisse und prä­gende Dich­te­rin­nen und Dich­ter in den drei Län­dern berich­ten. Im aktu­el­len Heft führt bei­spiels­weise Janita Monna vor Augen, wie die nie­der­län­di­sche Poe­sie teil hat an aktu­el­len gesell­schaft­li­chen Debat­ten um etwa (Post-)Kolonialismus, #MeToo und Kli­ma­wan­del. So wer­den dem Lese­pu­bli­kum, aber auch Ver­la­gen und Lite­ra­tur­ver­an­stal­tern auf allen Sei­ten der Gren­zen reprä­sen­ta­tive Fens­ter in die jeweils ande­ren Lite­ra­tur­räume geöffnet.

Damit ist der TRIMARAN auch in der Reihe der bereits exis­tie­ren­den euro­päi­schen lite­ra­ri­schen Über­set­zungs­pro­jekte durch­aus ein­zig­ar­tig. Trotz direk­ter geo­gra­fi­scher Nach­bar­schaft, die gerade in den Grenz­re­gio­nen augen­fäl­lig wird, wo die betei­lig­ten Län­der unmit­tel­bar anein­an­der­gren­zen, wis­sen wir gesell­schaft­lich und kul­tu­rell doch oft über­ra­schend wenig über­ein­an­der. Der TRIMARAN stif­tet so nicht nur län­ger­fris­tige, bes­ten­falls nach­hal­tige Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Lite­ra­tur­sze­nen, son­dern lädt mit sei­nen durch­ge­hend zwei­spra­chi­gen Ein­bli­cken in das Lyrik­ge­sche­hen gleich­zei­tig auch das Lese­pu­bli­kum dies- und jen­seits der Gren­zen zum Betre­ten neuer Erfah­rungs­räume ein. Denn Poe­sie spie­gelt auch immer sehr kon­kret und zugleich bild­haft die Lebens­wirk­lich­keit der Dich­te­rin­nen und Dich­ter und die gesell­schaft­li­chen Dis­kurse, mit denen sie sich aus­ein­an­der­set­zen, wider.

Am 29. April 2021 wird die zweite Aus­gabe des TRIMARAN mit den Dich­te­rin­nen und Dich­tern Maria Bar­nas und Sonja vom Bro­cke sowie Jür­gen Nendza und Peter Hol­voet-Hans­sen um 19.30 Uhr in der Ver­tre­tung des Lan­des NRW beim Bund in Ber­lin vor­ge­stellt. Hanns Zisch­ler mode­riert die Ver­an­stal­tung. Die dritte TRI­MA­RAN-Aus­gabe ist aktu­ell in Vorbereitung.

Die­ser Bei­trag ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 02/2021.

Von |2021-02-05T15:27:03+01:00Februar 5th, 2021|Sprache|Kommentare deaktiviert für

Ein poe­ti­scher Grenzverkehr

Das Über­set­zungs­pro­jekt und zwei­spra­chige Lyrik­ma­ga­zin TRIMARAN

Christoph Wenzel arbeitet als Autor und Herausgeber. Stefan Wieczorek ist Literaturwissenschaftler und Übersetzer. Gemeinsam leiten sie die Redaktion des TRIMARAN.