Christoph Wenzel & Stefan Wieczorek 5. Februar 2021 Logo_Initiative_print.png

Ein poe­ti­scher Grenzverkehr

Das Über­set­zungs­pro­jekt und zwei­spra­chige Lyrik­ma­ga­zin TRIMARAN

Im Jahr 2016 waren die Niederlande und Flandern gemeinsam Ehrengäste der Frankfurter Buchmesse. Ihr Motto lautete „Dies ist, was wir teilen“ und damit waren, bei allen kulturellen und politischen Unterschieden zwischen Flandern und den Niederlanden, nicht nur die gemeinsame Nordseeküste oder die gemeinsame Sprache, das Niederländische, gemeint. Man präsentierte sich als eine vielfältige Literaturregion, deren Unterschiedlichkeiten geradezu der Garant für literarische Vielfalt sind. „Dies ist, was wir teilen“ meinte aber auch „dies ist, was wir mit euch teilen möchten“ – als Einladung zum Austausch über gesellschaftliche und kulturelle Themen.

Damit das Publikum an diesem Austausch teilhaben und die Literatur der Gastländer und -regionen intensiv kennenlernen kann, wurden Hunderte Übersetzungen und Veröffentlichungen finanziell unterstützt; für die niederländischsprachige Literatur sind hier die beiden staatlich geförderten Stiftungen Flanders Literature und der Nederlands Letterenfonds federführend aktiv. Beim Gastlandauftritt Flanderns und der Niederlande 2016 fiel nun besonders auf, dass eine große Zahl an zeitgenössischen Lyrikerinnen und Lyrikern übersetzt wurden. Auch die Autoren dieses Beitrags haben sich in diesem Zusammenhang bemüht, die junge niederländischsprachige Poesie ausschnitthaft und zweisprachig zu kartieren, unter anderem mit der 2016 im [SIC]-Literaturverlag erschienenen Anthologie „Polderpoesie“. Die gegenwärtige Poesielandschaft unserer Nachbarn wurde so für ein deutschsprachiges Publikum sicht- und lesbar und es offenbarte sich ein vielfältiges Feld innovativer, moderner und ausgesprochen heutiger lyrischer Stimmen.

Um nachhaltige Verbindungen zu stiften – zwischen den literarischen-poetischen Sprachräumen des Niederländischen und des Deutschen, zwischen den zumeist völlig separat voneinander agierenden Poesieszenen, zwischen einzelnen Lyrikerinnen und Lyrikern, zwischen den verschiedenen Leserschaften – haben die Kunststiftung NRW, Flanders Literature und der Nederlands Letterenfonds ein besonderes Projekt ins Leben gerufen: TRIMARAN. Benannt nach dem Boot mit den drei parallelen Rümpfen, stiftet das zweisprachige und aus drei Ländern angetriebene Magazin TRIMARAN einen grenz- und sprachübergreifenden Vernetzungsverkehr und präsentiert Begegnungen und wechselseitige Übertragungen von Dichterinnen und Dichtern. Jeweils ein deutsch-flämisches und ein deutsch-niederländisches Dichterpaar treffen aufeinander, lernen sich kennen und übersetzen gegenseitig ausgewählte Gedichte. Das geschieht auf Basis sogenannter Interlinearübersetzungen, also paraphrasierender Basisübersetzungen, und mit Unterstützung moderierender Sprach- und Kulturmittler. Das bedeutet auch, dass die Dichterinnen und Dichter die Sprache ihres poetischen Partners oder ihrer poetischen Partnerin nicht beherrschen müssen, es ist explizit nicht notwendig. Diese Übersetzungsmethode bietet dabei einen großen Möglichkeitsraum jenseits herkömmlicher Übersetzungen und führt mitunter zu überraschenden poetischen Übertragungen eigener Ordnung. Den Auftakt für diese Begegnungen bildet in der Regel ein Workshop im Europäischen Übersetzerkollegium Straelen – zuletzt wegen Corona online –, zu dem wir die vier Dichterinnen und Dichter einladen. Dort stellen sie einander die eigenen Gedichte vor, geben Einblicke in ihre dichterische Werkstatt und arbeiten an gegenseitigen Übertragungen ihrer Gedichte. Die Ergebnisse, die als eine Art Heft im Heft im TRIMARAN-Magazin präsentiert werden, reichen aber schließlich weit über das Workshop-Wochenende hinaus: In porträtierenden Essays und einem eigens entwickelten gemeinsamen Projekt dokumentieren sich poetische und mitunter auch sehr persönliche, grenzüberschreitende Begegnungen, die auch über die Dauer der Projektarbeit noch anhalten.

Der poetische Innenteil des Magazins wird ummantelt von Essays und Lyrikempfehlungen, in denen Kennerinnen und Kenner der Lyriklandschaften Flanderns, der Niederlande und Deutschlands zweisprachig über neueste Entwicklungen, Ereignisse und prägende Dichterinnen und Dichter in den drei Ländern berichten. Im aktuellen Heft führt beispielsweise Janita Monna vor Augen, wie die niederländische Poesie teil hat an aktuellen gesellschaftlichen Debatten um etwa (Post-)Kolonialismus, #MeToo und Klimawandel. So werden dem Lesepublikum, aber auch Verlagen und Literaturveranstaltern auf allen Seiten der Grenzen repräsentative Fenster in die jeweils anderen Literaturräume geöffnet.

Damit ist der TRIMARAN auch in der Reihe der bereits existierenden europäischen literarischen Übersetzungsprojekte durchaus einzigartig. Trotz direkter geografischer Nachbarschaft, die gerade in den Grenzregionen augenfällig wird, wo die beteiligten Länder unmittelbar aneinandergrenzen, wissen wir gesellschaftlich und kulturell doch oft überraschend wenig übereinander. Der TRIMARAN stiftet so nicht nur längerfristige, bestenfalls nachhaltige Verbindungen zwischen den Literaturszenen, sondern lädt mit seinen durchgehend zweisprachigen Einblicken in das Lyrikgeschehen gleichzeitig auch das Lesepublikum dies- und jenseits der Grenzen zum Betreten neuer Erfahrungsräume ein. Denn Poesie spiegelt auch immer sehr konkret und zugleich bildhaft die Lebenswirklichkeit der Dichterinnen und Dichter und die gesellschaftlichen Diskurse, mit denen sie sich auseinandersetzen, wider.

Am 29. April 2021 wird die zweite Ausgabe des TRIMARAN mit den Dichterinnen und Dichtern Maria Barnas und Sonja vom Brocke sowie Jürgen Nendza und Peter Holvoet-Hanssen um 19.30 Uhr in der Vertretung des Landes NRW beim Bund in Berlin vorgestellt. Hanns Zischler moderiert die Veranstaltung. Die dritte TRIMARAN-Ausgabe ist aktuell in Vorbereitung.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2021.

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