Ein Mann steht in einer Hamburger Fußgängerzone mit einem Schild und der Aufschrift: „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“ Mit dieser Aktion wollte der Journalist Michel Abdollahi im Jahr 2015 mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Für diese Aktion sowie für die Dokumentation „Im Nazidorf“ erhielt er 2016 den Deutschen Fernsehpreis. Anfang des Jahres erschein sein Buch „Deutschland schafft mich. Als ich erfuhr, dass ich doch kein Deutscher bin“, in dem er auf die zunehmende Normalität von Rassismus, Hass und Gewalt in unserer Gesellschaft eingeht.
Michel Abdollahi wurde 1981 in Teheran geboren und kam im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Er wuchs in Hamburg auf, studierte Jura und Islamwissenschaft an der Uni Hamburg. Er ist heute als Reporter und Moderator für den NDR tätig und darüber hinaus begeisterter Poetry-Slammer.
Vielen Dank, Michel Abdollahi, für den humorvollen, aber vor allem mutigen Einsatz für unsere Demokratie!
Vor fünf Jahren haben Sie einen Monat lang in Jamel, einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern, gelebt und dort die Doku „Im Nazidorf“ gedreht. Wie kam es dazu? Und was haben Sie aus dieser Zeit für sich selbst mitgenommen?
Die Dokumentation „Im Nazidorf“ entstand im Rahmen der ARD-Themenwoche „Heimat“. Wir hatten in der Redaktion überlegt, wie wir Heimat, und damit war auch meine Heimat gemeint, abbilden und wie wir insbesondere mit Menschen in Kontakt treten, die mir die deutsche Heimat absprechen wollen. Jamel, mit seiner offen rechten Dorfgemeinschaft, dem Wegweiser nach Braunau am Inn und dem Nazi-Wandgemälde erschien uns als geeigneter Ort, um die Zelte aufzuschlagen und mit den Menschen dort zu sprechen.
Ich selbst habe aus der Zeit kaum etwas für mich mitgenommen, außer der Erkenntnis, dass man in Deutschland immer noch ernsthaft überrascht ist, wie tief Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Gesellschaft verankert sind.
„Tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft kann man oft erst mit ein wenig Abstand erkennen.“
Im Februar 2020 erschien Ihr Buch „Deutschland schafft mich. Als ich erfuhr, dass ich doch kein Deutscher bin“. Was war der Auslöser für dieses Buch?
Einen konkreten Auslöser gab es nicht, viel mehr die sich seit Jahren angestaute Wut gegen sich selbst, die man immer öfter und immer aggressiver auf andere projiziert, insbesondere auf die vermeintlichen Fremden. Tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft kann man oft erst mit ein wenig Abstand erkennen, wahrscheinlich war der Abstand irgendwann da und dann entstand das Buch.
Rassismus war nie weg und er ist auch nicht durch die zunehmende Zuwanderung seit 2015 aufgetaucht, sondern er ist nur aus seinem – wie Sie schreiben – „Winterschlaf“ erwacht. Vor allem in den 2000er Jahren war Deutschland ein offenes, buntes und vielfältiges Land. Was war zu der Zeit anders als jetzt?
Drei Worte hierzu: Sichtbarkeit, Akzeptanz, Aufmerksamkeit. Weder war er 2000 so sichtbar, noch haben war ihn damals akzeptiert und schon gar nicht den Rassisten diese immense Aufmerksamkeit geschenkt.
In dem Buch gehen Sie darauf ein, dass wir verlernt haben, zu widersprechen. Was meinen Sie damit genau?
Das bezieht sich auf meine Antwort auf Frage drei: Durch falsche Aufmerksamkeit und einer noch falscheren Akzeptanz scheint es zu einer Abstumpfung gekommen zu sein, dass ein Widersprechen gar nicht mehr notwendig erscheint. Genau das ist der Trugschluss und vor allem die Strategie der Rechten: Die Zermürbung der Anständigen.
„Einwanderung war immer schon da, aber integriert wurde nie wirklich. Das müssen wir endlich ändern.“
Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für Sie „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist Ihre „Lieblingsthese“?
These 7: „Einwanderung und Integration gehören zu unserer Geschichte“. Weil sie zum einen stimmt und zum anderen wieder nicht. Einwanderung war immer schon da, aber integriert wurde nie wirklich. Das müssen wir endlich ändern, in dem wir unsere Akzeptanz darauf richten, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist und wir die Vorzüge unserer Macht zusammen mit der ganzen Gesellschaft erwirtschaftet haben. Dazu zählen eben auch die Migrantinnen und Migranten. Solange wir ihnen die volle Anerkennung verweigern, wird es nie eine wirkliche Integration geben.
Vielen Dank!