Deutschland war in den 2000er Jahren ein buntes, offenes und gemeinschaftliches Land, wozu das Fußball-Sommermärchen 2006 sicherlich maßgeblich beitrug. Doch mit Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ kam 2010 wieder an die Oberfläche, was scheinbar nur einen Winterschlaf machte. In „Deutschland schafft mich. Als ich erfuhr, dass ich doch kein Deutscher bin“ spricht der Journalist Michel Abdollahi darüber, wie Rassismus und rechtes Denken in Deutschland immer präsent waren – mal unterschwelliger, mal offensichtlicher –; es gibt sie aber definitiv nicht erst seit der „Flüchtlingskrise“ von 2015.
Michel Abdollahi kam in den 1980er Jahren als Fünfjähriger mit seiner Familie aus dem Iran nach Deutschland. Chronologisch legt er in seinem Buch dar, wie Rassismus und auch Antisemitismus in den vergangenen drei Jahrzehnten stark zugenommen haben. Das auf einen Haufen schieben verschiedener Probleme – Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel, zunehmende Kriminalität etc. –, das Suchen nach einem Schuldigen für die eigene Ohnmacht wird verstärkt bei Migranten gesucht. Eine „Zweite Wiedervereinigung“ zwischen Deutschen erster und zweiter Klasse, die durch bestimmte Gruppierungen der Gesellschaft, durch Stigmatisierung dorthin gedrängt wurden, sei dringend notwendig. Ziel sollte es sein, das Abrutschen in den Extremismus – egal in welche Richtung – aufgrund von Perspektivlosigkeit aufzuhalten. Insbesondere seit dem Erstarken der Neuen Rechten befinden wir uns in der Defensive, stellt Abdollahi kritisch fest. Das Führen einer sachlichen Debatte muss wieder erlernt werden, erst recht in Zeiten von Twitter und Co. Denn Internet und Smartphone beschleunigen die Verbreitung von Hass und Hetze wie nie zuvor.
Ein lesenswertes Buch, mit humorvollen sowie Augen öffnenden Momenten. Am Ende hat sich Michel Abdollahi als alles Mögliche in Deutschland gefühlt, jedoch nie als Deutscher. Dies muss sich ändern – und zwar sofort!
Kristin Braband