Gemein­sam gegen die Neue Rechte

Zur Zukunft der Aus­wär­ti­gen Kul­tur- und Bil­dungs­po­li­tik in Europa

Die libe­rale Demo­kra­tie und ihre Bot­schaft von Indi­vi­dua­li­tät und Frei­heit ste­hen unter extre­mem Druck. In der welt­wei­ten Neuen Rech­ten gilt „libe­ral“ nicht nur als naiv gest­rig und hilf­los schwach, son­dern das libe­rale Den­ken befin­det sich abseits der eigent­li­chen glo­ba­len Macht­struk­tu­ren, die sich poli­tisch nicht durch Par­ti­zi­pa­tion im offe­nen Dis­kurs, son­dern durch Popu­lis­mus und Des­po­tis­mus auszeichnen.

Der libe­ra­len Demo­kra­tie geht es um die Men­schen, die „in glei­cher Frei­heit und freier Gleich­heit“, so Roger de Weck (2020), leben, in der freie und faire Wah­len statt­fin­den, in der die Men­schen­rechte ein­ge­hal­ten und die Gewal­ten­tei­lung des demo­kra­ti­schen Rechts­staats garan­tiert wer­den – und in der die Frei­heit von Wis­sen­schaft, Mei­nung und Kunst herr­schen. Diese gesell­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­ons­form garan­tiert auch der Oppo­si­tion – Par­teien, Zivil­ge­sell­schaft, Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und dem Ein­zel­nen – poli­ti­sche Teil­habe, d. h. Öffent­lich­keit und Gehör.

Aber die Neue Rechte wird stär­ker – schlei­chend und zer­set­zend mit der Bau­ern­fän­ge­rei von Men­schen und der Beset­zung von zunächst peri­phe­ren, dann zen­tra­len Struk­tu­ren, mit holz­schnitt­ar­tig ein­fa­chen und ver­füh­re­ri­schen Iden­ti­täts­ver­spre­chen und Grö­ßen­wahn­fan­ta­sien, die Macht ver­hei­ßen in einer Gefühls­welt der Ohn­macht. Ebenso beob­ach­ten wir ein Schwin­den von Mut, Inno­va­ti­ons­kraft und Vision, die die­sen Ten­den­zen ent­ge­gen­tre­ten könn­ten – es gibt sogar eine Kom­pa­ti­bi­li­täts­dy­na­mik nach rechts. Des­halb müs­sen die libe­ra­len Kräfte Stra­te­gien ent­wi­ckeln, die Demo­kra­tie zu sichern und zu bewah­ren. Wir müs­sen dies, wenn wir an die popu­lis­ti­schen Tritt­brett­fah­rer der Corona-Pan­de­mie den­ken, die nun den eige­nen Macht­zu­wachs durch Ein­gren­zung der Frei­heit ande­rer  zu meh­ren ver­su­chen, offen­siv ange­hen. „Wir sind die, auf die wir gewar­tet haben“, so auch de Weck (2020).

Wie soll das gehen? Wir brau­chen einen neuen, nach­hal­ti­gen Fort­schritts­be­griff – Ler­nen von den Vor­stel­lun­gen eines gelin­gen­den Lebens von der Gene­ra­tion Greta –, die Idee einer wirk­li­chen euro­päi­schen Union der Iden­ti­tä­ten und Regio­nen nach dem der­zei­ti­gen Ver­bund von inter­es­sen­ge­lei­te­ten Natio­nal­staa­ten – als Föde­ra­tion, Repu­blik oder wie auch immer – und ein erwei­ter­tes Ver­ständ­nis von Kul­tur­po­li­tik als Gesell­schafts­po­li­tik nach Willi Brandt. Kul­tur­po­li­tik ist auch Frie­dens­po­li­tik – und Kul­tur­dia­log ist auch Demo­kra­tie­bil­dung. Viel­leicht ist Kul­tur der zur-
zeit wich­tigste Ver­stän­di­gungs- und Aus­hand­lungs­mo­dus, ein neues Europa zu den­ken. Eine Ver­tre­te­rin die­ses Ansat­zes ist Ulrike Gué­rot. Sie tritt ein für ein Europa nicht nur gleich­be­rech­tig­ter Kon­su­men­ten von Pro­duk­ten mit ein­heit­lich gel­ten­den Nor­mie­run­gen und ver­bind­li­chen Kon­sum­re­gu­lie­run­gen, son­dern ein Europa glei­cher Bür­ger in Bezug auf Wahl­recht und soziale Absi­che­rung, ein Europa als eine Nation, d.h. eine orga­ni­sierte Soli­dar­ge­mein­schaft – nach der Defi­ni­tion von Mar­cel Mauss – mit vie­len Kul­tu­ren. Aus dem Europa der Kon­su­men­ten muss ein Europa der Bür­ger wer­den – eine wirk­li­che Demo­kra­tie, eine euro­päi­sche Kul­tur im Sinne eines Europa der Kul­tu­ren. Zur Unter­stüt­zung die­ser „Vision“ brau­chen wir eine Stra­te­gie der Aus­wär­ti­gen Kul­tur-und Bil­dungs­po­li­tik (AKBP) auch Deutsch­lands, die in neue Rich­tun­gen denkt:

  1. Vision: Innen- und Außenkulturpolitik 

Die Zivil­ge­sell­schaft in Deutsch­land ist der Haupt­ak­teur Aus­wär­ti­ger Kul­tur­be­zie­hun­gen. Die Mitt­ler­or­ga­ni­sa­tio­nen der AKBP müs­sen des­halb mit ihr in den inner­deut­schen Kul­tur­dis­kurs ein­grei­fen und dür­fen die begriff­li­che Hoheit und die Ver­stän­di­gung um unsere gesell­schaft­li­che Zukunft nicht der Neuen Rech­ten über­las­sen. Sie­grid Weigel hat in ihrer 2019 erschie­ne­nen ifa-Stu­die „Trans­na­tio­nale Aus­wär­tige Kul­tur­po­li­tik – Jen­seits der Natio­nal­kul­tur“ gezeigt, wie pro­ble­ma­tisch die Tren­nung von Innen und Außen ist.

  1. Vision: Arbei­ten in der digi­ta­len Welt 

Arbei­ten in der digi­ta­len Welt ist ein weit kom­ple­xe­res Vor­ha­ben als die Digi­ta­li­sie­rung von Objek­ten oder die Kom­mu­ni­ka­tion über soziale Netz­werke. Es bedeu­tet viel­mehr, auf Platt­for­men zu agie­ren und vir­tu­elle Räume zu bil­den und zu bespie­len. Da geht zuneh­mend weni­ger in der Form sin­gu­lä­rer Orga­ni­sa­tio­nen, son­dern nur in Netz­wer­ken. Wir müs­sen die Struk­tu­ren der AKBP fle­xi­bler gestal­ten, die Zusam­men­ar­beit von Orga­ni­sa­tio­nen inte­gra­ler orga­ni­sie­ren und die Mitt­ler­land­schaft als sich per­ma­nent ver­än­dernde und gegen­sei­tig beein­flus­sende Gruppe sehen. Die Mar­tin-Roth-Initia­tive von ifa und Goe­the-Insti­tut zeigt in diese Rich­tung. Tem­po­rär gemein­same Struk­tu­ren, fle­xi­ble gemein­same Arbeits­ein­hei­ten – wün­schens­wert auch mit Insti­tu­tio­nen der Innen­kul­tur­po­li­tik, aber auch den Kir­chen, poli­ti­schen Stif­tun­gen, dem Sport und vie­len anderen.

  1. Vision: Kul­tur­po­li­tik ist Demokratiepolitik 

AKBP meint nicht mehr nur Kunst und Kul­tur – sofern nicht alles im Prin­zip Kul­tur ist, außer unbe­rühr­ter Natur –, son­dern muss sich The­men wie glo­ba­ler Unge­rech­tig­keit, Klima, Vor­stel­lun­gen vom guten Leben und dem Ver­hält­nis Mensch-Natur anneh­men. Die neuen gesell­schaft­li­chen Selbst­ver­stän­di­gungs­pro­zesse fin­den dabei nicht mehr vor­ran­gig in tra­di­tio­nel­len Insti­tu­tio­nen wie Par­teien, Kir­chen oder Gewerk­schaf­ten statt, son­dern arti­ku­lie­ren sich in Bewe­gun­gen, z. B. in gel­ben Wes­ten pro­tes­tie­rend, frei­tags für das Klima demons­trie­rend, Unab­hän­gig­keit for­dernd – kol­lek­tiv, krea­tiv und mit gro­ßer Kraft. Die Vision einer AKBP als eine sol­che öffent­li­che Bewe­gung wäre eine Bewe­gung gegen die Neue Rechte und für die libe­rale Demo­kra­tie – eine Bewe­gung für Frei­heit, Ver­ant­wor­tung und Nach­hal­tig­keit. Dann ist AKBP noch wir­kungs­vol­ler und nach­hal­ti­ger Frie­dens­po­li­tik. Sie wäre eine neue Art Insti­tu­tion, die nicht nur Instru­mente und Tech­no­lo­gien ein­setzt, son­dern neuen Sinn stif­tet, indem sie Gegen­wel­ten zum Popu­lis­mus ent­wi­ckeln hilft: Empowerment.

  1. Vision: Europa 

Die AKBP sollte ihre Auf­gabe auch in der Bil­dung eines Europa der Kul­tu­ren sehen, eines Europa, nach dem Natio­nal­staat, eines wirk­lich ver­ein­ten Europa mit Bür­gern glei­cher Rechte und Mög­lich­kei­ten, eines Europa
als eine Nation und Wer­te­ge­mein­schaft mit vie­len ver­schie­de­nen Kulturen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 05/2020.

Von |2021-08-31T17:04:45+02:00Mai 15th, 2020|Heimat, Meinungsfreiheit, Menschenrechte|Kommentare deaktiviert für

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Ronald Grätz ist Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen.