Ronald Grätz 15. Mai 2020 Logo_Initiative_print.png

Gemein­sam gegen die Neue Rechte

Zur Zukunft der Aus­wär­ti­gen Kul­tur- und Bil­dungs­po­li­tik in Europa

Die liberale Demokratie und ihre Botschaft von Individualität und Freiheit stehen unter extremem Druck. In der weltweiten Neuen Rechten gilt „liberal“ nicht nur als naiv gestrig und hilflos schwach, sondern das liberale Denken befindet sich abseits der eigentlichen globalen Machtstrukturen, die sich politisch nicht durch Partizipation im offenen Diskurs, sondern durch Populismus und Despotismus auszeichnen.

Der liberalen Demokratie geht es um die Menschen, die „in gleicher Freiheit und freier Gleichheit“, so Roger de Weck (2020), leben, in der freie und faire Wahlen stattfinden, in der die Menschenrechte eingehalten und die Gewaltenteilung des demokratischen Rechtsstaats garantiert werden – und in der die Freiheit von Wissenschaft, Meinung und Kunst herrschen. Diese gesellschaftliche Organisationsform garantiert auch der Opposition – Parteien, Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen und dem Einzelnen – politische Teilhabe, d. h. Öffentlichkeit und Gehör.

Aber die Neue Rechte wird stärker – schleichend und zersetzend mit der Bauernfängerei von Menschen und der Besetzung von zunächst peripheren, dann zentralen Strukturen, mit holzschnittartig einfachen und verführerischen Identitätsversprechen und Größenwahnfantasien, die Macht verheißen in einer Gefühlswelt der Ohnmacht. Ebenso beobachten wir ein Schwinden von Mut, Innovationskraft und Vision, die diesen Tendenzen entgegentreten könnten – es gibt sogar eine Kompatibilitätsdynamik nach rechts. Deshalb müssen die liberalen Kräfte Strategien entwickeln, die Demokratie zu sichern und zu bewahren. Wir müssen dies, wenn wir an die populistischen Trittbrettfahrer der Corona-Pandemie denken, die nun den eigenen Machtzuwachs durch Eingrenzung der Freiheit anderer  zu mehren versuchen, offensiv angehen. „Wir sind die, auf die wir gewartet haben“, so auch de Weck (2020).

Wie soll das gehen? Wir brauchen einen neuen, nachhaltigen Fortschrittsbegriff – Lernen von den Vorstellungen eines gelingenden Lebens von der Generation Greta –, die Idee einer wirklichen europäischen Union der Identitäten und Regionen nach dem derzeitigen Verbund von interessengeleiteten Nationalstaaten – als Föderation, Republik oder wie auch immer – und ein erweitertes Verständnis von Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik nach Willi Brandt. Kulturpolitik ist auch Friedenspolitik – und Kulturdialog ist auch Demokratiebildung. Vielleicht ist Kultur der zur-
zeit wichtigste Verständigungs- und Aushandlungsmodus, ein neues Europa zu denken. Eine Vertreterin dieses Ansatzes ist Ulrike Guérot. Sie tritt ein für ein Europa nicht nur gleichberechtigter Konsumenten von Produkten mit einheitlich geltenden Normierungen und verbindlichen Konsumregulierungen, sondern ein Europa gleicher Bürger in Bezug auf Wahlrecht und soziale Absicherung, ein Europa als eine Nation, d.h. eine organisierte Solidargemeinschaft – nach der Definition von Marcel Mauss – mit vielen Kulturen. Aus dem Europa der Konsumenten muss ein Europa der Bürger werden – eine wirkliche Demokratie, eine europäische Kultur im Sinne eines Europa der Kulturen. Zur Unterstützung dieser „Vision“ brauchen wir eine Strategie der Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik (AKBP) auch Deutschlands, die in neue Richtungen denkt:

  1. Vision: Innen- und Außenkulturpolitik

Die Zivilgesellschaft in Deutschland ist der Hauptakteur Auswärtiger Kulturbeziehungen. Die Mittlerorganisationen der AKBP müssen deshalb mit ihr in den innerdeutschen Kulturdiskurs eingreifen und dürfen die begriffliche Hoheit und die Verständigung um unsere gesellschaftliche Zukunft nicht der Neuen Rechten überlassen. Siegrid Weigel hat in ihrer 2019 erschienenen ifa-Studie „Transnationale Auswärtige Kulturpolitik – Jenseits der Nationalkultur“ gezeigt, wie problematisch die Trennung von Innen und Außen ist.

  1. Vision: Arbeiten in der digitalen Welt

Arbeiten in der digitalen Welt ist ein weit komplexeres Vorhaben als die Digitalisierung von Objekten oder die Kommunikation über soziale Netzwerke. Es bedeutet vielmehr, auf Plattformen zu agieren und virtuelle Räume zu bilden und zu bespielen. Da geht zunehmend weniger in der Form singulärer Organisationen, sondern nur in Netzwerken. Wir müssen die Strukturen der AKBP flexibler gestalten, die Zusammenarbeit von Organisationen integraler organisieren und die Mittlerlandschaft als sich permanent verändernde und gegenseitig beeinflussende Gruppe sehen. Die Martin-Roth-Initiative von ifa und Goethe-Institut zeigt in diese Richtung. Temporär gemeinsame Strukturen, flexible gemeinsame Arbeitseinheiten – wünschenswert auch mit Institutionen der Innenkulturpolitik, aber auch den Kirchen, politischen Stiftungen, dem Sport und vielen anderen.

  1. Vision: Kulturpolitik ist Demokratiepolitik

AKBP meint nicht mehr nur Kunst und Kultur – sofern nicht alles im Prinzip Kultur ist, außer unberührter Natur –, sondern muss sich Themen wie globaler Ungerechtigkeit, Klima, Vorstellungen vom guten Leben und dem Verhältnis Mensch-Natur annehmen. Die neuen gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozesse finden dabei nicht mehr vorrangig in traditionellen Institutionen wie Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften statt, sondern artikulieren sich in Bewegungen, z. B. in gelben Westen protestierend, freitags für das Klima demonstrierend, Unabhängigkeit fordernd – kollektiv, kreativ und mit großer Kraft. Die Vision einer AKBP als eine solche öffentliche Bewegung wäre eine Bewegung gegen die Neue Rechte und für die liberale Demokratie – eine Bewegung für Freiheit, Verantwortung und Nachhaltigkeit. Dann ist AKBP noch wirkungsvoller und nachhaltiger Friedenspolitik. Sie wäre eine neue Art Institution, die nicht nur Instrumente und Technologien einsetzt, sondern neuen Sinn stiftet, indem sie Gegenwelten zum Populismus entwickeln hilft: Empowerment.

  1. Vision: Europa

Die AKBP sollte ihre Aufgabe auch in der Bildung eines Europa der Kulturen sehen, eines Europa, nach dem Nationalstaat, eines wirklich vereinten Europa mit Bürgern gleicher Rechte und Möglichkeiten, eines Europa
als eine Nation und Wertegemeinschaft mit vielen verschiedenen Kulturen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2020.

Copyright: Alle Rechte bei Initiative kulturelle Integration

Adresse: https://www.kulturelle-integration.de/2020/05/15/gemeinsam-gegen-die-neue-rechte/