Mit Kin­der­bü­chern Brü­cken bauen

Die Inter­na­tio­nale Jugend­bi­blio­thek in München

Die Inter­na­tio­nale Jugend­bi­blio­thek wurde 1949 von der jüdi­schen Emi­gran­tin Jella Lep­man im Geiste der Völ­ker­ver­stän­di­gung gegrün­det. Mit Kin­der­bü­chern soll­ten Brü­cken in die Welt gebaut und Kul­tu­ren mit­ein­an­der ins Gespräch gebracht wer­den. Jella Lep­man hoffte, dass in Frie­den und Frei­heit erzo­gene Kin­der und Jugend­li­che eine bes­sere Welt­ord­nung auf­bauen wür­den. „Las­sen Sie uns bei den Kin­dern anfan­gen, um diese gänz­lich ver­wirrte Welt lang­sam wie­der ins Lot zu brin­gen. Die Kin­der wer­den den Erwach­se­nen den Weg zei­gen.“ Sie bat aus­län­di­sche Ver­le­ger um Buch­spen­den und trug inner­halb weni­ger Monate 4.000 Kin­der­bü­cher zusam­men, die 1946 in der ers­ten inter­na­tio­na­len Aus­stel­lung der Nach­kriegs­zeit im Haus der Kunst gezeigt wurden.

Diese Bücher bil­de­ten den Grün­dungs­be­stand der Inter­na­tio­na­len Jugend­bi­blio­thek, die 1949 ihre Türen in einer Münch­ner Villa öff­nete. Kin­der und Jugend­li­che hat­ten freien Zugang zu Büchern aus aller Welt, konn­ten Autoren inter­viewen, in Buch­clubs über Neu­erschei­nun­gen dis­ku­tie­ren, in einer Jugend-UN über Kin­der­rechte debat­tie­ren, Thea­ter spie­len oder im Gar­ten an Staf­fe­leien malen. Nicht die Bücher, die jun­gen Nut­zer stan­den im Mit­tel­punkt. Kon­se­quent wurde das Recht der Kin­der auf Selbst- und Mit­be­stim­mung gefördert.

Seit­dem sind 70 Jahre ver­gan­gen, die Biblio­thek hat mitt­ler­weile ihren Sitz in Schloss Blu­ten­burg und ist eine Stif­tung. Was als Expe­ri­ment begann, ent­wi­ckelte sich zur welt­weit größ­ten Spe­zi­al­bi­blio­thek für inter­na­tio­nale Kin­der- und Jugend­li­te­ra­tur mit einem Bestand von 650.000 Büchern in etwa 240 Spra­chen, mit Schrift­stel­ler-Nach­läs­sen, his­to­ri­schen Samm­lun­gen und inter­na­tio­na­ler For­schungs­li­te­ra­tur. Jähr­lich kom­men etwa 10.000 Neu­erschei­nun­gen hinzu, aus­schließ­lich Schen­kun­gen. Die Buch­be­stände und Nach­lässe sind heute eine ein­zig­ar­tige Res­source für die Kin­der­buch­for­schung. Ein wis­sen­schaft­li­cher Lese­saal wird rege genutzt, bis zu 15 aus­län­di­sche For­scher ver­brin­gen als Sti­pen­dia­ten des Aus­wär­ti­gen Amts meh­rere Monate zum Arbei­ten in der Biblio­thek. In Koope­ra­tion mit Uni­ver­si­tä­ten fin­den Tagun­gen statt, Dozen­ten hal­ten Semi­nare ab. Dane­ben kön­nen Kin­der in einer Aus­leih­bi­blio­thek aktu­elle Neu­erschei­nun­gen der inter­na­tio­na­len Kin­der­li­te­ra­tur in 30 Spra­chen ausleihen.

Obwohl sich die Kin­der­buch­villa von einst in ein Bücher­schloss gewan­delt hat, ist die Vision Jella Lep­mans von einer Kin­der­buch­brü­cke, die zum Zusam­men­halt der Welt bei­tra­gen soll, für die Akti­vi­tä­ten der Biblio­thek nach wie vor ver­pflich­tend. Mit einem Jah­res­pro­gramm von Aus­stel­lun­gen und Ver­an­stal­tun­gen setzt sie sich für den inter­kul­tu­rel­len Dia­log und für kul­tu­relle Bil­dung ein. Beson­ders sicht­bar in der Öffent­lich­keit ist das White Ravens Fes­ti­val für inter­na­tio­nale Kin­der- und Jugend­li­te­ra­tur, das seit 2010 alle zwei Jahre statt­fin­det und mit 90 Ver­an­stal­tun­gen an 50 Orten in Mün­chen und Bay­ern 10.000 junge Besu­cher erreicht. Es ist eines der größ­ten Kin­der­buch­fes­ti­vals in Deutsch­land und zeich­net sich dadurch aus, dass auch unbe­kannte Autoren, etwa aus Latein­ame­rika oder Asien, ein­ge­la­den werden.

Das Fes­ti­val ist das wich­tigste lite­ra­tur­ver­mit­telnde Pro­jekt der Inter­na­tio­na­len Jugend­bi­blio­thek. Dar­über hin­aus bie­tet sie aber auch Aus­stel­lungs­work­shops, Schreib­werk­stät­ten und Feri­en­kurse an. In Koope­ra­tion mit der KZ-Gedenk­stätte Dachau hat sie bei­spiels­weise eine Schreib­werk­statt ent­wi­ckelt, in der Jugend­li­che über ihre Emo­tio­nen, die der Besuch der Gedenk­stätte in ihnen aus­ge­löst hat, in einem „Brief aus Dachau“ schrei­ben. Diese Schreib­werk­statt macht den Welt­be­zug von Lite­ra­tur deut­lich und leis­tet einen Bei­trag gegen Anti­se­mi­tis­mus und Vergessen.

In ihren Aus­stel­lun­gen nimmt die Biblio­thek Bezug auf aktu­elle gesell­schaft­li­che The­men oder zeigt einen kin­der­li­te­ra­ri­schen Reich­tum, den es hier­zu­lande noch zu ent­de­cken gibt. Gerade wurde eine Aus­stel­lung mit Ori­gi­nal­ar­bei­ten von Bil­der­buch­künst­lern aus der ara­bi­schen Welt eröff­net. Die meis­ten Werke waren bis­her noch nie in Europa zu sehen. Beson­ders erfolg­rei­che Aus­stel­lun­gen wie „Guten Tag, lie­ber Feind! Bil­der­bü­cher für Frie­den und Tole­ranz“ oder „Alles Fami­lie! Fami­li­en­dar­stel­lun­gen in aktu­el­len Bil­der­bü­chern“ gehen auf Wan­der­schaft und errei­chen im In- und Aus­land weite Ver­brei­tung. Wei­ter­hin wer­den Lite­ra­tur­preise ver­ge­ben, Vor­träge und Podien ver­an­stal­tet und Publi­ka­tio­nen her­aus­ge­ge­ben wie der sehr beliebte „Kin­der Kalen­der. Mit 53 Gedich­ten um die Welt!“ oder ein inter­na­tio­na­ler Buch­emp­feh­lungs­ka­ta­log, der jähr­lich auf der Frank­fur­ter Buch­messe prä­sen­tiert wird.

Die Stif­tung Inter­na­tio­nale Jugend­bi­blio­thek wird insti­tu­tio­nell vom Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rium, vom Frei­staat Bay­ern und von der Lan­des­haupt­stadt Mün­chen geför­dert. Vor weni­gen Wochen fei­erte sie ihren 70. Geburts­tag mit einem Fest der Kin­der­kul­tu­ren, das sie mit zwölf aus­wär­ti­gen Kul­tur­in­sti­tu­ten orga­ni­sierte. Es war eine inter­na­tio­nale Koope­ra­tion, initi­iert aus der fes­ten Über­zeu­gung, dass kul­tu­relle Viel­falt die Welt rei­cher, leben­di­ger und fried­li­cher macht.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 11/2019.

Von |2019-11-27T16:24:55+01:00November 1st, 2019|Sprache|Kommentare deaktiviert für

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Die Inter­na­tio­nale Jugend­bi­blio­thek in München

Christiane Raabe ist Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek.