Christiane Raabe 1. November 2019 Logo_Initiative_print.png

Mit Kin­der­bü­chern Brü­cken bauen

Die Inter­na­tio­nale Jugend­bi­blio­thek in München

Die Internationale Jugendbibliothek wurde 1949 von der jüdischen Emigrantin Jella Lepman im Geiste der Völkerverständigung gegründet. Mit Kinderbüchern sollten Brücken in die Welt gebaut und Kulturen miteinander ins Gespräch gebracht werden. Jella Lepman hoffte, dass in Frieden und Freiheit erzogene Kinder und Jugendliche eine bessere Weltordnung aufbauen würden. „Lassen Sie uns bei den Kindern anfangen, um diese gänzlich verwirrte Welt langsam wieder ins Lot zu bringen. Die Kinder werden den Erwachsenen den Weg zeigen.“ Sie bat ausländische Verleger um Buchspenden und trug innerhalb weniger Monate 4.000 Kinderbücher zusammen, die 1946 in der ersten internationalen Ausstellung der Nachkriegszeit im Haus der Kunst gezeigt wurden.

Diese Bücher bildeten den Gründungsbestand der Internationalen Jugendbibliothek, die 1949 ihre Türen in einer Münchner Villa öffnete. Kinder und Jugendliche hatten freien Zugang zu Büchern aus aller Welt, konnten Autoren interviewen, in Buchclubs über Neuerscheinungen diskutieren, in einer Jugend-UN über Kinderrechte debattieren, Theater spielen oder im Garten an Staffeleien malen. Nicht die Bücher, die jungen Nutzer standen im Mittelpunkt. Konsequent wurde das Recht der Kinder auf Selbst- und Mitbestimmung gefördert.

Seitdem sind 70 Jahre vergangen, die Bibliothek hat mittlerweile ihren Sitz in Schloss Blutenburg und ist eine Stiftung. Was als Experiment begann, entwickelte sich zur weltweit größten Spezialbibliothek für internationale Kinder- und Jugendliteratur mit einem Bestand von 650.000 Büchern in etwa 240 Sprachen, mit Schriftsteller-Nachlässen, historischen Sammlungen und internationaler Forschungsliteratur. Jährlich kommen etwa 10.000 Neuerscheinungen hinzu, ausschließlich Schenkungen. Die Buchbestände und Nachlässe sind heute eine einzigartige Ressource für die Kinderbuchforschung. Ein wissenschaftlicher Lesesaal wird rege genutzt, bis zu 15 ausländische Forscher verbringen als Stipendiaten des Auswärtigen Amts mehrere Monate zum Arbeiten in der Bibliothek. In Kooperation mit Universitäten finden Tagungen statt, Dozenten halten Seminare ab. Daneben können Kinder in einer Ausleihbibliothek aktuelle Neuerscheinungen der internationalen Kinderliteratur in 30 Sprachen ausleihen.

Obwohl sich die Kinderbuchvilla von einst in ein Bücherschloss gewandelt hat, ist die Vision Jella Lepmans von einer Kinderbuchbrücke, die zum Zusammenhalt der Welt beitragen soll, für die Aktivitäten der Bibliothek nach wie vor verpflichtend. Mit einem Jahresprogramm von Ausstellungen und Veranstaltungen setzt sie sich für den interkulturellen Dialog und für kulturelle Bildung ein. Besonders sichtbar in der Öffentlichkeit ist das White Ravens Festival für internationale Kinder- und Jugendliteratur, das seit 2010 alle zwei Jahre stattfindet und mit 90 Veranstaltungen an 50 Orten in München und Bayern 10.000 junge Besucher erreicht. Es ist eines der größten Kinderbuchfestivals in Deutschland und zeichnet sich dadurch aus, dass auch unbekannte Autoren, etwa aus Lateinamerika oder Asien, eingeladen werden.

Das Festival ist das wichtigste literaturvermittelnde Projekt der Internationalen Jugendbibliothek. Darüber hinaus bietet sie aber auch Ausstellungsworkshops, Schreibwerkstätten und Ferienkurse an. In Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Dachau hat sie beispielsweise eine Schreibwerkstatt entwickelt, in der Jugendliche über ihre Emotionen, die der Besuch der Gedenkstätte in ihnen ausgelöst hat, in einem „Brief aus Dachau“ schreiben. Diese Schreibwerkstatt macht den Weltbezug von Literatur deutlich und leistet einen Beitrag gegen Antisemitismus und Vergessen.

In ihren Ausstellungen nimmt die Bibliothek Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Themen oder zeigt einen kinderliterarischen Reichtum, den es hierzulande noch zu entdecken gibt. Gerade wurde eine Ausstellung mit Originalarbeiten von Bilderbuchkünstlern aus der arabischen Welt eröffnet. Die meisten Werke waren bisher noch nie in Europa zu sehen. Besonders erfolgreiche Ausstellungen wie „Guten Tag, lieber Feind! Bilderbücher für Frieden und Toleranz“ oder „Alles Familie! Familiendarstellungen in aktuellen Bilderbüchern“ gehen auf Wanderschaft und erreichen im In- und Ausland weite Verbreitung. Weiterhin werden Literaturpreise vergeben, Vorträge und Podien veranstaltet und Publikationen herausgegeben wie der sehr beliebte „Kinder Kalender. Mit 53 Gedichten um die Welt!“ oder ein internationaler Buchempfehlungskatalog, der jährlich auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert wird.

Die Stiftung Internationale Jugendbibliothek wird institutionell vom Bundesfamilienministerium, vom Freistaat Bayern und von der Landeshauptstadt München gefördert. Vor wenigen Wochen feierte sie ihren 70. Geburtstag mit einem Fest der Kinderkulturen, das sie mit zwölf auswärtigen Kulturinstituten organisierte. Es war eine internationale Kooperation, initiiert aus der festen Überzeugung, dass kulturelle Vielfalt die Welt reicher, lebendiger und friedlicher macht.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.

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