Ein Aus­druck gesell­schaft­li­chen Wandels

Geschlech­ter­ge­rechte Sprache

Die öffent­li­che Dis­kus­sion um geschlech­ter­ge­rechte Spra­che hat in jüngs­ter Zeit eine beein­dru­ckende Dyna­mik ent­fal­tet und zu einer gro­ßen Spann­breite von Posi­tio­nie­run­gen geführt. Da sind einer­seits die­je­ni­gen, die das Bemü­hen um geschlech­ter­ge­rechte Spra­che nur als „Gen­der-Unfug“ oder „Gen­der-Gaga“ zu erfas­sen in der Lage sind. Auf der ande­ren Seite wächst die Zahl von Men­schen, die erken­nen, dass der gesell­schaft­li­che Fort­schritt in Bezug auf Gleich­be­rech­ti­gung bzw. auf den Abbau der Pri­vi­le­gie­rung von Män­nern auch in der Spra­che Aus­druck fin­den muss. Diese Erkennt­nis speist sich auch aus der umfang­rei­chen For­schung in zahl­rei­chen Dis­zi­pli­nen, wie z. B. Lin­gu­is­tik, Psy­cho­lin­gu­is­tik, Kogni­ti­ons­psy­cho­lo­gie, Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten, die kei­nen Zwei­fel daran lässt, dass die expli­zite sprach­li­che Reprä­sen­ta­tion direkt mit kogni­ti­ver Reprä­sen­ta­tion kor­re­liert. Gleich­be­rech­tigte Nen­nung ist Aus­druck von und Anspruch auf Gleichstellung.

Anders als man­che gerne behaup­ten, ist diese Debatte kein deut­sches Phä­no­men. Es han­delt sich um eman­zi­pa­to­ri­sche Ver­än­de­run­gen in allen moder­nen Demo­kra­tien. Allen gemein­sam sind das Stre­ben nach dem Abbau patri­ar­cha­ler Struk­tu­ren und Macht­ver­hält­nisse und das Bemü­hen um eine ange­mes­sene Sprach­kul­tur. Ver­schie­den sind – je nach den Beson­der­hei­ten der Ein­zel­spra­chen und der gesell­schaft­li­chen Sys­teme – die kon­kre­ten Wege der Umsetzung.

Die deut­sche Spra­che ist, wie alle ande­ren Spra­chen auch, in einer lan­gen, männ­lich domi­nier­ten Tra­di­tion geformt wor­den. Dies hat die Gram­ma­tik und den Wort­schatz fun­da­men­tal geprägt. Es stellt sich die Frage, in wel­cher Weise die­ses Sys­tem geschlech­ter­ge­recht ver­wen­det wer­den kann. Und damit geht es um Sprach­wan­del, d. h. die Ver­än­de­rung des Sprach­ge­brauchs und der Spra­che mit der Zeit.

Sprach­wan­del ist keine Stö­rung, kein Unfall, son­dern ein not­wen­di­ger Pro­zess. Ver­än­de­run­gen in der Gesell­schaft füh­ren zu neuen Aus­drucks­be­dürf­nis­sen. Neue mate­ri­elle Dinge müs­sen benannt wer­den, z. B. durch Meta­phern wie „Maus“ in der Bedeu­tung „Ein­ga­be­ge­rät für den Com­pu­ter“. Neue abs­trakte Kon­zepte ver­lan­gen nach Ver­sprach­li­chung: So ist der Aus­druck „Hirn­tod“ der sprach­li­che Nie­der­schlag einer neuen Kon­zep­tua­li­sie­rung der Sta­dien des mensch­li­chen Lebens durch die Medi­zin. Auch neue gesell­schaft­li­che Ord­nun­gen und ver­än­derte kom­mu­ni­ka­tive Prak­ti­ken ver­lan­gen nach pas­sen­den sprach­li­chen Aus­drucks­for­men. Dies sieht man deut­lich am Auf­kom­men und Ver­schwin­den von Titeln, Anre­de­for­men und ande­ren Kon­ven­tio­nen der Höf­lich­keit. Im uni­ver­si­tä­ren Kon­text war es noch vor eini­gen Jahr­zehn­ten gebo­ten, die Per­son, die eine Fakul­tät lei­tet, mit „Spek­ta­bi­lis“ zu adres­sie­ren, ein Aus­druck, der heute in der jün­ge­ren Gene­ra­tion kaum mehr bekannt ist.

Sprach­wan­del voll­zieht sich im kom­mu­ni­ka­ti­ven Aus­tausch. Alle, die die Spra­che ver­wen­den, sind betei­ligt – mehr oder weni­ger, je nach den sozia­len, sozio­lin­gu­is­ti­schen und poli­ti­schen Ver­hält­nis­sen. Auch die Bewusst­heit, mit der ein Wan­del wahr­ge­nom­men wird, ist ver­schie­den. Sie reicht von Ver­än­de­run­gen, die fast unbe­merkt von­stat­ten­ge­hen, wie z. B. der Ersatz unre­gel­mä­ßi­ger Ver­gan­gen­heits­for­men wie „buk“ durch regel­mä­ßige wie „backte“, zu Ver­än­de­run­gen, die lange und hit­zig in der Sprach­ge­mein­schaft dis­ku­tiert wer­den. Zu letz­te­ren gehört die Anrede „Fräu­lein“, die im Lauf der 1970er und 1980er Jahre des letz­ten Jahr­hun­derts auf­grund ent­schie­de­ner Ableh­nung durch femi­nis­ti­sche Akteu­rin­nen und nach inten­si­ven öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen als Stan­dard­an­rede ver­schwun­den ist.

Ob bewusst oder unbe­wusst, voll­zo­ge­ner Wan­del lässt sich dann fest­stel­len, wenn ein bestimm­ter Gebrauch eine gewisse Fre­quenz und Ver­brei­tung erlangt hat, wenn er also für einen gro­ßen Teil der Sprach­ge­mein­schaft zum gewohn­ten Bestand an Aus­drucks­mög­lich­kei­ten gehört.

Dies trifft für viele For­men geschlech­ter­ge­rech­ter Spra­che im Deut­schen heute zu. Beid­nen­nun­gen wie „Künst­le­rin­nen und Künst­ler“ und Neu­tra­li­sie­run­gen durch Par­ti­zi­pien wie „die Stu­die­ren­den“ oder Umschrei­bun­gen wie „künst­le­risch tätige Per­so­nen“ sind im schrift­li­chen und münd­li­chen Gebrauch inzwi­schen üblich und weit ver­brei­tet. Die rela­tive Leich­tig­keit der Ver­brei­tung die­ser For­men hängt damit zusam­men, dass sie bereits vor ihrer bewuss­ten Anwen­dung in der geschlech­ter­ge­rech­ten Sprach­pra­xis regu­läre For­men des Deut­schen waren. Die Bil­dung von Femin­in­for­men mit dem Suf­fix „-in“ zur Bezeich­nung von Frauen im Gegen­satz zu Män­nern, z. B. „Wäh­le­rin“ ver­sus „Wäh­ler“, ist eine sehr alte Tech­nik des Deut­schen; Glei­ches gilt für die Ver­wen­dung von sub­stan­ti­vier­ten Par­ti­zi­pien zur Per­so­nen­be­zeich­nung, wie „die Rei­sen­den“, „die Leben­den (und die Toten)“, „die Vor­sit­zen­den“, „die Vor­ge­setz­ten“ usw. Auch die Ver­wen­dung geschlechts­in­dif­fe­ren­ter Per­so­nen­be­zeich­nun­gen, z. B. „Leute“ wie in „Kauf­leute“, ist aus die­sem Grund unauf­fäl­lig und von den meis­ten leicht zu akzep­tie­ren. Kurz: Geschlech­ter­ge­rech­ter Sprach­ge­brauch kann zu einem gro­ßen Teil durch eine leicht ver­än­derte Nut­zung bereits vor­han­de­ner For­men und Mit­tel erzeugt wer­den. Durch diese nied­rig­schwel­li­gen Ver­än­de­run­gen des Gebrauchs kann die Akzep­tanz geschlech­ter­ge­rech­ter Spra­che wei­ter erhöht wer­den, da die häu­fig vor­ge­brach­ten Ein­wände der Inkor­rekt­heit, Unver­ständ­lich­keit und ästhe­ti­schen Man­gel­haf­tig­keit entfallen.

Wie gesell­schaft­li­cher Wan­del ist auch der Wan­del des Sprach­ge­brauchs und der Spra­che ein all­mäh­li­cher und nicht zum Ende kom­men­der Pro­zess. Ein end­gül­ti­ges und abge­schlos­se­nes Inven­tar „rich­ti­ger“ For­men kann es nicht geben.

Die­ser Bei­trag ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2019.

Von |2019-09-12T12:37:11+02:00September 12th, 2019|Sprache|Kommentare deaktiviert für

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Geschlech­ter­ge­rechte Sprache

Gabriele Diewald ist Professorin für germanistische Linguistik an der Leibniz Universität Hannover und Autorin von Ratgebern und Artikeln zur geschlechtergerechten Sprache.