Spit­zen­för­de­rung in der Gesellschaft

Die Kul­tur­stif­tung des Bun­des för­dert die Öff­nung von Kulturinstitutionen

For­de­run­gen oder Wün­sche nach Inte­gra­tion basie­ren auf einer Dia­gnose, wenn sie sel­ber nicht schon eine sind: Einige sind drau­ßen, aus­ge­schlos­sen, „abge­hängt“, die ande­ren sind „drin“ und wol­len die ande­ren „rein­ho­len“. „Inte­gra­tion“ soll eine soziale Kluft zum Ver­schwin­den bringen.

„Inte­gra­tion“ ist ein schwie­ri­ger Begriff. Je ein­ge­hen­der man sich mit ihm beschäf­tigt, desto mehr ent­glei­tet einem seine prak­ti­sche Bedeu­tung. Wer ist es, der – wen – inte­griert? Woher nimmt er seine Legi­ti­ma­tion? Wel­ches Ziel wird mit wel­chen Inte­gra­ti­ons­maß­nah­men ver­folgt? Sollte ein mus­li­mi­scher Jugend­li­cher mit den Objek­ten des Ber­li­ner Bode Muse­ums ver­traut gemacht wer­den, die zum über­wie­gen­den Teil der christ­li­chen Iko­no­gra­phie ent­stam­men, wenn wir wis­sen, dass auch junge Men­schen christ­lich-abend­län­di­scher Sozia­li­sa­tion damit kaum etwas ver­bin­den? Nicht aus­ge­schlos­sen, dass sich der mus­li­mi­sche Jugend­li­che eines Tages zum Exper­ten für Berei­che abend­län­di­scher Kul­tur ent­wi­ckelt. Noch ist das die Aus­nahme, wenn ich z. B. (unter ande­rem!) an den Frie­dens­preis­trä­ger des Deut­schen Buch­han­dels, Navid Ker­mani, denke. Aber viel­leicht ist das irgend­wann nicht mehr der Rede wert, jeden­falls nicht als Bei­spiel geglück­ter „Inte­gra­tion“. Soweit möge es bitte nicht kom­men, dass sich in unse­ren Sprach­ge­brauch das Unwort „Inte­grier­ter“ einnistet!

Schon wer­den Rufe nach „Des­in­te­gra­tion“ wie – z. B. vom Sozio­lo­gen Armin Nas­sehi – laut, um dem hege­mo­nia­len Bei­geschmack des Begriffs etwas ent­ge­gen­zu­set­zen. Wenn Inte­gra­tion in eine Art Zwangs­be­glü­ckung mün­det, dann ist Inte­gra­tion sicher nicht gelun­gen. Wie man am oben genann­ten Bei­spiel able­sen kann, ist „Inte­gra­tion“ eher eine Frage der Bil­dung als des kul­tu­rel­len Hin­ter­grunds. Schon des­halb beginnt „Inte­gra­tion“ avant la lettre bereits im Kita- und erst recht im Schul­all­tag, in dem Kin­der ihre unter­schied­li­chen Talente in der Gemein­schaft erken­nen, ihre Talente soziale Wert­schät­zung erfah­ren und sie dabei Freude an der Ent­wick­lung ihrer musi­schen Fähig­kei­ten haben. Hin­zu­kom­men sollte dann die Erfah­rung, dass es in unse­rer Kul­tur öffent­li­che Orte gibt, in denen genau diese Talente und Fähig­kei­ten zusätz­li­che Sti­muli erfah­ren, Orte, die im buch­stäb­li­chen Sinn für viele attrak­tiv sind. Das ist der Grund, warum Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen Exzel­lenz­för­de­rung ver­die­nen und brau­chen. Sie müs­sen außer­or­dent­lich gut sein, „Hoch­kul­tur“ nicht im eli­tä­ren, son­dern in einem qua­li­ta­ti­ven Sinn bie­ten. Der Qua­li­täts­aspekt ist ein wesent­li­ches Kri­te­rium unse­rer För­der­ent­schei­dun­gen. Und die bes­ten Pro­jekte sind es, die der „Inte­gra­tion“ die meis­ten Mög­lich­kei­ten bie­ten, die die gerings­ten Hür­den auf­bauen. Die­sen Ein­druck haben meine viel­fäl­ti­gen und lang­jäh­ri­gen Erfah­run­gen mit Kunst und Kul­tur immer wie­der und immer mehr bestätigt.

Ich möchte zwei Begriffe ins Spiel brin­gen, ohne die ich mir „Inte­gra­tion“ im land­läu­fig gebrauch­ten Sinn nicht vor­stel­len kann: Teil­habe und die Diver­si­tät. Das eine muss gewähr­leis­tet, das andere will­kom­men gehei­ßen wer­den; das eine ist eine For­de­rung sozia­ler Gerech­tig­keit, das andere eine Aner­ken­nung unse­rer Wirk­lich­keit. Was die Kul­tur­stif­tung des Bun­des mit sehr vie­len und auf den ers­ten Blick sehr unter­schied­li­chen Pro­gram­men för­dert, ist die Öff­nung von kul­tu­rel­len Ein­rich­tun­gen für ein brei­tes Publi­kum und ins­be­son­dere für das Publi­kum von mor­gen. D. h., dass die Insti­tu­tio­nen Ange­bote für das gesamte gesell­schaft­lich diverse Spek­trum der Stadt­ge­sell­schaft oder des länd­li­chen Rau­mes machen und dabei den demo­gra­phi­schen Wan­del berück­sich­ti­gen müs­sen. In einem Land, in dem die Kul­tur­ein­rich­tun­gen ganz wesent­lich durch die öffent­li­che Hand finan­ziert wer­den, ist es eigent­lich eine Selbst­ver­ständ­lich­keit und dürfte gar nicht eigens betont wer­den, dass Museen, Thea­ter, Biblio­the­ken usw. der gesam­ten Bevöl­ke­rung zur Ver­fü­gung ste­hen und auch von ihr genutzt wer­den kön­nen. Das lässt sich gar nicht anders als eine Win-win-Situa­tion beschrei­ben. Die Frage ist also, wie kön­nen diese Räume an Attrak­ti­vi­tät für jene gewin­nen, die bis­her von die­sen Insti­tu­tio­nen „kei­nen Gebrauch“ machen oder das Gefühl haben, sie müss­ten „drau­ßen vor der Tür“ blei­ben, weil sie die Spra­che der Hoch­kul­tur nicht ver­ste­hen, weil die Ein­tritts­preise zu hoch sind, weil sie ihre Infor­ma­tio­nen nicht aus Büchern, son­dern vor­wie­gend aus den digi­ta­len Medien bezie­hen, weil sie noch nie in einem Thea­ter gewe­sen sind usw.

Es wird nicht ohne eine Ver­än­de­rung im Selbst­ver­ständ­nis und den Ziel­set­zun­gen der Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen von­stat­ten­ge­hen. Noch sind sie zu gro­ßen Tei­len öffent­li­che Orte der Begeg­nung und des Aus­tauschs, der kul­tu­rel­len Bil­dung und nicht zuletzt der Wei­ter­gabe kul­tu­rel­ler und zivil­ge­sell­schaft­li­cher Kom­pe­ten­zen. Damit das so bleibt und sie dar­über hin­aus auch eine Zukunfts­per­spek­tive haben, müs­sen die drei gro­ßen „P’s“: Pro­gramm, Per­so­nal, Publi­kum über­dacht und jus­tiert wer­den. Die Kul­tur­stif­tung des Bun­des will mit ihrem mehr­jäh­ri­gen Pro­gramm „360° – Fonds für Kul­tu­ren der neuen Stadt­ge­sell­schaft“ sol­che Pro­zesse unter­stüt­zen und reagiert in die­sem Fall spe­zi­ell auf die Anfor­de­run­gen in einer Gesell­schaft, in der der Anteil von Migran­ten wächst. Zu die­sen Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen gehört auch und nicht zuletzt, dass die Insti­tu­tio­nen ihre Per­so­nal­po­li­tik kri­tisch reflek­tie­ren, selbst die „Diver­si­fi­zie­rung“ ihres Per­so­nals vor­an­trei­ben. Im Falle von Mit­ar­bei­tern mit Migra­ti­ons­ge­schichte ist zu erwar­ten, dass diese dann wie­derum eine stär­kere Ver­net­zung mit migran­ti­schen Gesell­schafts­schich­ten bewir­ken kön­nen und die Attrak­ti­vi­tät ihres Hau­ses für eben jene erhöhen.

Inte­gra­tion, um noch ein­mal das unge­liebte Wort zu benut­zen, wird nicht für andere gemacht, son­dern mit ihnen, sie ist als Pro­zess der gemein­sa­men, immer wie­der neu aus­zu­han­deln­den Gestal­tung der Zukunft zu ver­ste­hen. Ich stelle mir die­sen Pro­zess im Übri­gen als ziem­lich müh­se­lig und lang­wie­rig vor, der nicht ohne Kon­flikte abge­hen und womög­lich von Rück­schlä­gen beglei­tet sein wird. Ver­fah­ren zu ent­wi­ckeln und Erfah­run­gen zu sam­meln, wie mit ihnen umzu­ge­hen ist, wird aber im Sinne einer huma­nen und kul­tu­rell ent­wi­ckel­ten Gesell­schaft alle­mal erfolg­ver­spre­chen­der sein als alle Ver­su­che, das Rad der Geschichte zurück­zu­dre­hen oder gegen den Strom der Zeit anzuschwimmen.

Von |2019-06-10T17:33:53+02:00Mai 24th, 2017|Einwanderungsgesellschaft|Kommentare deaktiviert für

Spit­zen­för­de­rung in der Gesellschaft

Die Kul­tur­stif­tung des Bun­des för­dert die Öff­nung von Kulturinstitutionen

Hortensia Völckers ist künstlerische Leiterin der Kulturstiftung des Bundes.