Hortensia Völckers 24. Mai 2017 Logo_Initiative_print.png

Spit­zen­för­de­rung in der Gesellschaft

Die Kul­tur­stif­tung des Bun­des för­dert die Öff­nung von Kulturinstitutionen

Forderungen oder Wünsche nach Integration basieren auf einer Diagnose, wenn sie selber nicht schon eine sind: Einige sind draußen, ausgeschlossen, „abgehängt“, die anderen sind „drin“ und wollen die anderen „reinholen“. „Integration“ soll eine soziale Kluft zum Verschwinden bringen.

„Integration“ ist ein schwieriger Begriff. Je eingehender man sich mit ihm beschäftigt, desto mehr entgleitet einem seine praktische Bedeutung. Wer ist es, der – wen – integriert? Woher nimmt er seine Legitimation? Welches Ziel wird mit welchen Integrationsmaßnahmen verfolgt? Sollte ein muslimischer Jugendlicher mit den Objekten des Berliner Bode Museums vertraut gemacht werden, die zum überwiegenden Teil der christlichen Ikonographie entstammen, wenn wir wissen, dass auch junge Menschen christlich-abendländischer Sozialisation damit kaum etwas verbinden? Nicht ausgeschlossen, dass sich der muslimische Jugendliche eines Tages zum Experten für Bereiche abendländischer Kultur entwickelt. Noch ist das die Ausnahme, wenn ich z. B. (unter anderem!) an den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Navid Kermani, denke. Aber vielleicht ist das irgendwann nicht mehr der Rede wert, jedenfalls nicht als Beispiel geglückter „Integration“. Soweit möge es bitte nicht kommen, dass sich in unseren Sprachgebrauch das Unwort „Integrierter“ einnistet!

Schon werden Rufe nach „Desintegration“ wie – z. B. vom Soziologen Armin Nassehi – laut, um dem hegemonialen Beigeschmack des Begriffs etwas entgegenzusetzen. Wenn Integration in eine Art Zwangsbeglückung mündet, dann ist Integration sicher nicht gelungen. Wie man am oben genannten Beispiel ablesen kann, ist „Integration“ eher eine Frage der Bildung als des kulturellen Hintergrunds. Schon deshalb beginnt „Integration“ avant la lettre bereits im Kita- und erst recht im Schulalltag, in dem Kinder ihre unterschiedlichen Talente in der Gemeinschaft erkennen, ihre Talente soziale Wertschätzung erfahren und sie dabei Freude an der Entwicklung ihrer musischen Fähigkeiten haben. Hinzukommen sollte dann die Erfahrung, dass es in unserer Kultur öffentliche Orte gibt, in denen genau diese Talente und Fähigkeiten zusätzliche Stimuli erfahren, Orte, die im buchstäblichen Sinn für viele attraktiv sind. Das ist der Grund, warum Kulturinstitutionen Exzellenzförderung verdienen und brauchen. Sie müssen außerordentlich gut sein, „Hochkultur“ nicht im elitären, sondern in einem qualitativen Sinn bieten. Der Qualitätsaspekt ist ein wesentliches Kriterium unserer Förderentscheidungen. Und die besten Projekte sind es, die der „Integration“ die meisten Möglichkeiten bieten, die die geringsten Hürden aufbauen. Diesen Eindruck haben meine vielfältigen und langjährigen Erfahrungen mit Kunst und Kultur immer wieder und immer mehr bestätigt.

Ich möchte zwei Begriffe ins Spiel bringen, ohne die ich mir „Integration“ im landläufig gebrauchten Sinn nicht vorstellen kann: Teilhabe und die Diversität. Das eine muss gewährleistet, das andere willkommen geheißen werden; das eine ist eine Forderung sozialer Gerechtigkeit, das andere eine Anerkennung unserer Wirklichkeit. Was die Kulturstiftung des Bundes mit sehr vielen und auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Programmen fördert, ist die Öffnung von kulturellen Einrichtungen für ein breites Publikum und insbesondere für das Publikum von morgen. D. h., dass die Institutionen Angebote für das gesamte gesellschaftlich diverse Spektrum der Stadtgesellschaft oder des ländlichen Raumes machen und dabei den demographischen Wandel berücksichtigen müssen. In einem Land, in dem die Kultureinrichtungen ganz wesentlich durch die öffentliche Hand finanziert werden, ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit und dürfte gar nicht eigens betont werden, dass Museen, Theater, Bibliotheken usw. der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen und auch von ihr genutzt werden können. Das lässt sich gar nicht anders als eine Win-win-Situation beschreiben. Die Frage ist also, wie können diese Räume an Attraktivität für jene gewinnen, die bisher von diesen Institutionen „keinen Gebrauch“ machen oder das Gefühl haben, sie müssten „draußen vor der Tür“ bleiben, weil sie die Sprache der Hochkultur nicht verstehen, weil die Eintrittspreise zu hoch sind, weil sie ihre Informationen nicht aus Büchern, sondern vorwiegend aus den digitalen Medien beziehen, weil sie noch nie in einem Theater gewesen sind usw.

Es wird nicht ohne eine Veränderung im Selbstverständnis und den Zielsetzungen der Kulturinstitutionen vonstattengehen. Noch sind sie zu großen Teilen öffentliche Orte der Begegnung und des Austauschs, der kulturellen Bildung und nicht zuletzt der Weitergabe kultureller und zivilgesellschaftlicher Kompetenzen. Damit das so bleibt und sie darüber hinaus auch eine Zukunftsperspektive haben, müssen die drei großen „P’s“: Programm, Personal, Publikum überdacht und justiert werden. Die Kulturstiftung des Bundes will mit ihrem mehrjährigen Programm „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ solche Prozesse unterstützen und reagiert in diesem Fall speziell auf die Anforderungen in einer Gesellschaft, in der der Anteil von Migranten wächst. Zu diesen Veränderungsprozessen gehört auch und nicht zuletzt, dass die Institutionen ihre Personalpolitik kritisch reflektieren, selbst die „Diversifizierung“ ihres Personals vorantreiben. Im Falle von Mitarbeitern mit Migrationsgeschichte ist zu erwarten, dass diese dann wiederum eine stärkere Vernetzung mit migrantischen Gesellschaftsschichten bewirken können und die Attraktivität ihres Hauses für eben jene erhöhen.

Integration, um noch einmal das ungeliebte Wort zu benutzen, wird nicht für andere gemacht, sondern mit ihnen, sie ist als Prozess der gemeinsamen, immer wieder neu auszuhandelnden Gestaltung der Zukunft zu verstehen. Ich stelle mir diesen Prozess im Übrigen als ziemlich mühselig und langwierig vor, der nicht ohne Konflikte abgehen und womöglich von Rückschlägen begleitet sein wird. Verfahren zu entwickeln und Erfahrungen zu sammeln, wie mit ihnen umzugehen ist, wird aber im Sinne einer humanen und kulturell entwickelten Gesellschaft allemal erfolgversprechender sein als alle Versuche, das Rad der Geschichte zurückzudrehen oder gegen den Strom der Zeit anzuschwimmen.

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