D.I.Y. (Do it yourself)

Teil der Lösung: Die Neuen Deut­schen Organisationen

Thilo Sar­ra­zins Buch „Deutsch­land schafft sich ab“ ist mit 1,5 Mil­lio­nen Exem­pla­ren das meist­ver­kaufte Sach­buch der deut­schen Nach­kriegs­zeit. Die Debat­ten, die die­ses Buch aus­löste, waren ein Schock für poli­tisch enga­gierte Men­schen mit Ein­wan­de­rungs­ge­schichte und die gesamte migran­ti­sche Bevöl­ke­rung. Den ras­sis­ti­schen und anti-isla­mi­schen The­sen Sar­ra­zins wurde viel Platz ein­ge­räumt und Frem­den­feind­lich­keit wurde plötz­lich öffent­lich ver­tret­bar. Erneut wurde über Abstam­mung und Her­kunft dis­ku­tiert und die Zuge­hö­rig­keit von Ein­ge­wan­der­ten und ihren Nach­kom­men zu Deutsch­land infrage gestellt.

Eben diese Zuge­hö­rig­keit zu Deutsch­land bean­spru­chen die als Reak­tion dar­auf gegrün­de­ten Ver­eine und Initia­ti­ven der zwei­ten und drit­ten Ein­wan­de­rer­ge­nera­tion oft schon im Ver­eins­na­men für sich. Die Mit­glie­der von Ver­ei­nen wie den Neuen Deut­schen Medi­en­ma­chern, Typisch Deutsch oder Deut­scher Sol­dat ver­bin­det keine gemein­same Her­kunft, son­dern ihr zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment. Sie sind alle in unter­schied­lichs­ten gesell­schaft­li­chen Berei­chen aktiv und tre­ten für die Viel­falt und die Plu­ra­li­tät Deutsch­lands und deren Aner­ken­nung ein. Schon seit über 50 Jah­ren ist Deutsch­land ein Ein­wan­de­rungs­land. Ein­ge­wan­derte und ihre Nach­kom­men gestal­ten die Gesell­schaft mit.

Die domi­nan­ten Dis­kurse und offi­zi­el­len Nar­ra­tive sind jedoch immer noch die eines homo­ge­nen Lan­des, zu dem Bür­ger mit soge­nann­tem „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“ nur am Rande gehö­ren. Mit den jüngs­ten Flucht­be­we­gun­gen nach Europa und der Ent­ste­hung von Pegida und der AfD, kochen die iden­ti­tä­ren Debat­ten in Deutsch­land von neuem hoch und wie­der fehlt es an star­ken Stim­men, um wirk­sam für ein plu­ra­les Deutsch­land ein­zu­tre­ten. Über 100 die­ser jun­gen Ver­eine und Initia­ti­ven von Men­schen mit Ein­wan­de­rungs­ge­schichte haben sich im Februar 2015 zu den Neuen Deut­schen Orga­ni­sa­tio­nen (NDO) zusam­men­ge­schlos­sen. Ihr Ziel ist es, gemein­sam eine sol­che Stimme zu bil­den: gegen Ras­sis­mus und Aus­gren­zung, und für eine Gesell­schaft, die ihre Viel­falt als Chance wahrnimmt.

Der erste Bun­des­kon­gress und Grün­dungs­mo­ment der NDO stand unter dem Titel „Deutsch­land neu den­ken“ und stellte unmiss­ver­ständ­lich klar, dass die heu­tige Gene­ra­tion von Men­schen mit Ein­wan­de­rungs­ge­schichte Teil der deut­schen Gesell­schaft ist und diese Teil­habe laut ein­for­dert und reprä­sen­tiert sehen will. Die­ses selbst­be­wusste Ein­tre­ten für die eigene Zuge­hö­rig­keit unter­schei­det die NDO von her­kömm­li­chen Migran­ten­selbst­or­ga­ni­sa­tio­nen. Aller­dings wäre das Enga­ge­ment der ein­zel­nen Ver­eine und die Trag­weite der NDO nicht denk­bar, hätte es nicht die jahr­zehn­te­lange Arbeit die­ser Orga­ni­sa­tio­nen gege­ben. Noch bis 1991 wurde in der Bun­des­re­pu­blik der „Tag des Aus­län­di­schen Mit­bür­gers“ gefei­ert. Auch wenn in man­chen Bun­des­län­dern auch heute noch „Aus­län­der­be­auf­tragte“ die Inter­es­sen der Bür­ger mit Ein­wan­de­rungs­ge­schichte ver­tre­ten: Vom Aus­län­der zum Bür­ger mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ist schon ein wich­ti­ger Schritt getan worden.

Die NDO gehen wei­ter und set­zen sich dafür ein, dass das deut­sche Selbst­ver­ständ­nis end­lich die vor­han­dene Plu­ra­li­tät der eige­nen Bevöl­ke­rung aner­kennt und in seine Nar­ra­tio­nen auf­nimmt. Die aktu­el­len Debat­ten um Inte­gra­tion und Inte­gra­ti­ons­maß­nah­men sind in die­sem Kon­text zu sehen: Neu­an­kömm­linge tref­fen heute kei­nes­falls auf eine ein­heit­li­che, homo­gene Gesell­schaft, die vor­her nie mit Ein­wan­de­rung in Berüh­rung gekom­men ist. Ganz im Gegen­teil gilt es, hier einen Schritt zurück­zu­tre­ten und zu sehen, dass die For­de­rung nach Inte­gra­tion seit Jahr­zehn­ten an Men­schen gerich­tet wird, die schon über 50 Jahre in Deutsch­land leben.

Damit zeigt sich einer­seits, dass diese Gesell­schaft reich an Mög­lich­kei­ten und Instru­men­ten ist, die sie über viele Jahre ent­wi­ckelt hat, um mit ihrer eige­nen Plu­ra­li­tät umzu­ge­hen. Ander­seits lässt sich dann auch nicht leug­nen, dass Ras­sis­mus nicht jetzt erst ent­steht, son­dern auch in Deutsch­land schon lange Bestand hat und struk­tu­rell und insti­tu­tio­nell ver­an­kert ist. Gerade bei zivil­ge­sell­schaft­li­chen und (kultur-)politischen Maß­nah­men im Umgang mit der neuen Ein­wan­de­rung, sollte nicht alles noch ein­mal von vorne begon­nen, soll­ten alte Feh­ler ver­mie­den wer­den. Dafür braucht es ein kla­res Bekennt­nis zur Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft und eine Zusam­men­ar­beit auf Augen­höhe mit den Neuankömmlingen.

Die aus­tra­li­sche Geflüch­te­ten­selbst­or­ga­ni­sa­tion RISE hat unter dem Titel „Wir sind nicht dein nächs­tes Kunst­pro­jekt“ eine Zehn-Punkte-Liste für Künst­ler ver­fasst, die mit Geflüch­te­ten arbei­ten wol­len. Der sechste Punkt lau­tet: „Nur weil du das sagst, ist dies kein geschütz­ter Raum. Dazu bedarf es lan­ger Basis­ar­beit, Soli­da­ri­tät und Hin­gabe“. Ebenso ist ein Deutsch­kurs keine umfas­sende Inte­gra­ti­ons­maß­nahme, nur weil er als sol­che ange­prie­sen wird. Das Ankom­men, genauso wie der Auf­bau eines Schutz­rau­mes, braucht Zeit und Ver­trauen, und das von bei­den Sei­ten: vom Ankom­men­den und von der Auf­nah­me­ge­sell­schaft. Defi­zit-ori­en­tierte Inte­gra­ti­ons­maß­nah­men, die sich aus­schließ­lich an die Geflüch­te­ten rich­ten und nicht die gesamt­ge­sell­schaft­li­che Situa­tion in Betracht zie­hen, haben schon in der Ver­gan­gen­heit Ein­ge­wan­der­ten die Teil­habe an der Gesell­schaft erschwert und Vor­ur­teile ihnen gegen­über bestärkt.

Statt einer Inte­gra­ti­ons­po­li­tik for­dern die NDO daher eine Gesell­schafts­po­li­tik, die sich an die gesamte Bevöl­ke­rung rich­tet und Maß­nah­men gegen Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung beinhal­tet, damit sich die Fron­ten nicht wei­ter ver­här­ten. Es gibt heute in Deutsch­land viele gut aus­ge­bil­dete, zivil­ge­sell­schaft­lich aktive Men­schen mit Ein­wan­de­rungs­ge­schichte, die auch Teil der Auf­nah­me­ge­sell­schaft sind. Wür­den sie als sol­che ernst­ge­nom­men, könn­ten sie einen kon­struk­ti­ven Bei­trag zu den Her­aus­for­de­run­gen leis­ten, vor denen die­ses Land heute steht, denn sie, oder ihre Eltern oder Groß­el­tern, haben Erfah­rung mit der Ein­wan­de­rung nach Deutsch­land. Es ist höchste Zeit, dass sie nicht mehr als Teil des Pro­blems dar­ge­stellt wer­den, son­dern als Teil der Lösung. Dafür müss­ten sich aller­dings die deut­schen Insti­tu­tio­nen der gesell­schaft­li­chen Viel­falt öff­nen. Es reicht nicht, Appelle, Gesprächs­an­ge­bote oder Pro­gramme an Men­schen mit „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“ zu rich­ten. Bei jeder öffent­li­chen Insti­tu­tion, wel­che die Bür­ger und Bür­ge­rin­nen die­ses Lan­des reprä­sen­tiert, sei es in der Kul­tur, der Poli­tik oder der Zivil­ge­sell­schaft, muss gefragt wer­den: Wie spie­gelt sie in ihren Struk­tu­ren die Viel­falt der Gesell­schaft wider? Wo öff­net sie sich wirk­lich und wo wir­ken Aus­gren­zungs­me­cha­nis­men, die dazu füh­ren, dass diese Viel­falt bis­lang kaum sicht­bar ist? Es braucht gesteu­erte Pro­zesse, die von innen und grund­le­gend Dis­kri­mi­nie­rung und Ras­sis­mus adres­sie­ren und Räume für Enga­ge­ment von allen öff­nen. Denn die begon­nene Ent­wick­lung hin zu einer plu­ra­len Gesell­schaft kann nicht aus­schließ­lich auf dem Rücken der Ein­zel­nen aus­ge­tra­gen wer­den, son­dern muss öffent­lich ver­tre­ten wer­den. Indem sie bewusst die Teil­habe von Men­schen mit Ein­wan­de­rungs­ge­schichte for­dern, betrei­ben die NDO viel­leicht Selbst-othe­ring. Aller­dings bleibt diese For­de­rung so lange not­wen­dig, wie das Selbst­ver­ständ­nis von Deutsch­land nicht der eige­nen Rea­li­tät als viel­fäl­ti­ges, plu­ra­les Ein­wan­de­rungs­land ent­spricht. Erfolg­reich wären die NDO erst, wenn die Viel­falt Deutsch­lands über­all sicht­bar wäre und sie sich damit selbst abge­schafft hät­ten. Bis dahin aber müs­sen wir uns alle gemein­sam dar­über ver­stän­di­gen, wie wir zusam­men­le­ben wollen.

Der Text ist zuerst in Kul­tur bil­det. Nr. 9 erschienen.

Von |2019-06-17T11:27:00+02:00Januar 12th, 2017|Einwanderungsgesellschaft|Kommentare deaktiviert für

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Breschkai Ferhad ist Kulturmanagerin und leitet die Koordinationsstelle der Neuen Deutschen Organisationen bei den Neuen Deutschen Medienmachern.