Breschkai Ferhad 12. Januar 2017 Logo_Initiative_print.png

D.I.Y. (Do it yourself)

Teil der Lösung: Die Neuen Deut­schen Organisationen

Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ ist mit 1,5 Millionen Exemplaren das meistverkaufte Sachbuch der deutschen Nachkriegszeit. Die Debatten, die dieses Buch auslöste, waren ein Schock für politisch engagierte Menschen mit Einwanderungsgeschichte und die gesamte migrantische Bevölkerung. Den rassistischen und anti-islamischen Thesen Sarrazins wurde viel Platz eingeräumt und Fremdenfeindlichkeit wurde plötzlich öffentlich vertretbar. Erneut wurde über Abstammung und Herkunft diskutiert und die Zugehörigkeit von Eingewanderten und ihren Nachkommen zu Deutschland infrage gestellt.

Eben diese Zugehörigkeit zu Deutschland beanspruchen die als Reaktion darauf gegründeten Vereine und Initiativen der zweiten und dritten Einwanderergeneration oft schon im Vereinsnamen für sich. Die Mitglieder von Vereinen wie den Neuen Deutschen Medienmachern, Typisch Deutsch oder Deutscher Soldat verbindet keine gemeinsame Herkunft, sondern ihr zivilgesellschaftliches Engagement. Sie sind alle in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen aktiv und treten für die Vielfalt und die Pluralität Deutschlands und deren Anerkennung ein. Schon seit über 50 Jahren ist Deutschland ein Einwanderungsland. Eingewanderte und ihre Nachkommen gestalten die Gesellschaft mit.

Die dominanten Diskurse und offiziellen Narrative sind jedoch immer noch die eines homogenen Landes, zu dem Bürger mit sogenanntem „Migrationshintergrund“ nur am Rande gehören. Mit den jüngsten Fluchtbewegungen nach Europa und der Entstehung von Pegida und der AfD, kochen die identitären Debatten in Deutschland von neuem hoch und wieder fehlt es an starken Stimmen, um wirksam für ein plurales Deutschland einzutreten. Über 100 dieser jungen Vereine und Initiativen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte haben sich im Februar 2015 zu den Neuen Deutschen Organisationen (NDO) zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, gemeinsam eine solche Stimme zu bilden: gegen Rassismus und Ausgrenzung, und für eine Gesellschaft, die ihre Vielfalt als Chance wahrnimmt.

Der erste Bundeskongress und Gründungsmoment der NDO stand unter dem Titel „Deutschland neu denken“ und stellte unmissverständlich klar, dass die heutige Generation von Menschen mit Einwanderungsgeschichte Teil der deutschen Gesellschaft ist und diese Teilhabe laut einfordert und repräsentiert sehen will. Dieses selbstbewusste Eintreten für die eigene Zugehörigkeit unterscheidet die NDO von herkömmlichen Migrantenselbstorganisationen. Allerdings wäre das Engagement der einzelnen Vereine und die Tragweite der NDO nicht denkbar, hätte es nicht die jahrzehntelange Arbeit dieser Organisationen gegeben. Noch bis 1991 wurde in der Bundesrepublik der „Tag des Ausländischen Mitbürgers“ gefeiert. Auch wenn in manchen Bundesländern auch heute noch „Ausländerbeauftragte“ die Interessen der Bürger mit Einwanderungsgeschichte vertreten: Vom Ausländer zum Bürger mit Migrationshintergrund ist schon ein wichtiger Schritt getan worden.

Die NDO gehen weiter und setzen sich dafür ein, dass das deutsche Selbstverständnis endlich die vorhandene Pluralität der eigenen Bevölkerung anerkennt und in seine Narrationen aufnimmt. Die aktuellen Debatten um Integration und Integrationsmaßnahmen sind in diesem Kontext zu sehen: Neuankömmlinge treffen heute keinesfalls auf eine einheitliche, homogene Gesellschaft, die vorher nie mit Einwanderung in Berührung gekommen ist. Ganz im Gegenteil gilt es, hier einen Schritt zurückzutreten und zu sehen, dass die Forderung nach Integration seit Jahrzehnten an Menschen gerichtet wird, die schon über 50 Jahre in Deutschland leben.

Damit zeigt sich einerseits, dass diese Gesellschaft reich an Möglichkeiten und Instrumenten ist, die sie über viele Jahre entwickelt hat, um mit ihrer eigenen Pluralität umzugehen. Anderseits lässt sich dann auch nicht leugnen, dass Rassismus nicht jetzt erst entsteht, sondern auch in Deutschland schon lange Bestand hat und strukturell und institutionell verankert ist. Gerade bei zivilgesellschaftlichen und (kultur-)politischen Maßnahmen im Umgang mit der neuen Einwanderung, sollte nicht alles noch einmal von vorne begonnen, sollten alte Fehler vermieden werden. Dafür braucht es ein klares Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den Neuankömmlingen.

Die australische Geflüchtetenselbstorganisation RISE hat unter dem Titel „Wir sind nicht dein nächstes Kunstprojekt“ eine Zehn-Punkte-Liste für Künstler verfasst, die mit Geflüchteten arbeiten wollen. Der sechste Punkt lautet: „Nur weil du das sagst, ist dies kein geschützter Raum. Dazu bedarf es langer Basisarbeit, Solidarität und Hingabe“. Ebenso ist ein Deutschkurs keine umfassende Integrationsmaßnahme, nur weil er als solche angepriesen wird. Das Ankommen, genauso wie der Aufbau eines Schutzraumes, braucht Zeit und Vertrauen, und das von beiden Seiten: vom Ankommenden und von der Aufnahmegesellschaft. Defizit-orientierte Integrationsmaßnahmen, die sich ausschließlich an die Geflüchteten richten und nicht die gesamtgesellschaftliche Situation in Betracht ziehen, haben schon in der Vergangenheit Eingewanderten die Teilhabe an der Gesellschaft erschwert und Vorurteile ihnen gegenüber bestärkt.

Statt einer Integrationspolitik fordern die NDO daher eine Gesellschaftspolitik, die sich an die gesamte Bevölkerung richtet und Maßnahmen gegen Rassismus und Diskriminierung beinhaltet, damit sich die Fronten nicht weiter verhärten. Es gibt heute in Deutschland viele gut ausgebildete, zivilgesellschaftlich aktive Menschen mit Einwanderungsgeschichte, die auch Teil der Aufnahmegesellschaft sind. Würden sie als solche ernstgenommen, könnten sie einen konstruktiven Beitrag zu den Herausforderungen leisten, vor denen dieses Land heute steht, denn sie, oder ihre Eltern oder Großeltern, haben Erfahrung mit der Einwanderung nach Deutschland. Es ist höchste Zeit, dass sie nicht mehr als Teil des Problems dargestellt werden, sondern als Teil der Lösung. Dafür müssten sich allerdings die deutschen Institutionen der gesellschaftlichen Vielfalt öffnen. Es reicht nicht, Appelle, Gesprächsangebote oder Programme an Menschen mit „Migrationshintergrund“ zu richten. Bei jeder öffentlichen Institution, welche die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes repräsentiert, sei es in der Kultur, der Politik oder der Zivilgesellschaft, muss gefragt werden: Wie spiegelt sie in ihren Strukturen die Vielfalt der Gesellschaft wider? Wo öffnet sie sich wirklich und wo wirken Ausgrenzungsmechanismen, die dazu führen, dass diese Vielfalt bislang kaum sichtbar ist? Es braucht gesteuerte Prozesse, die von innen und grundlegend Diskriminierung und Rassismus adressieren und Räume für Engagement von allen öffnen. Denn die begonnene Entwicklung hin zu einer pluralen Gesellschaft kann nicht ausschließlich auf dem Rücken der Einzelnen ausgetragen werden, sondern muss öffentlich vertreten werden. Indem sie bewusst die Teilhabe von Menschen mit Einwanderungsgeschichte fordern, betreiben die NDO vielleicht Selbst-othering. Allerdings bleibt diese Forderung so lange notwendig, wie das Selbstverständnis von Deutschland nicht der eigenen Realität als vielfältiges, plurales Einwanderungsland entspricht. Erfolgreich wären die NDO erst, wenn die Vielfalt Deutschlands überall sichtbar wäre und sie sich damit selbst abgeschafft hätten. Bis dahin aber müssen wir uns alle gemeinsam darüber verständigen, wie wir zusammenleben wollen.

Der Text ist zuerst in Kultur bildet. Nr. 9 erschienen.

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