Im Kul­tur­be­reich ist Platz für alle

Bar­rie­ren müs­sen wei­ter abge­baut werden

Deutsch­land hat erfreu­li­cher­weise und nicht zuletzt bedingt durch den Föde­ra­lis­mus eine große Dichte an Kul­tur­ange­bo­ten. Für seine jüngste Erhe­bung aus dem Jahr 2022 konnte das Insti­tut für Muse­ums­for­schung 6.808 Museen und 509 Aus­stel­lungs­häu­ser anschrei­ben. Für das Jahr 2022, einem Jahr, das noch durch Ein­schrän­kun­gen auf­grund der Coro­na­pan­de­mie geprägt war, mel­de­ten die Museen zusam­men­ge­nom­men mehr als 81 Mil­lio­nen Besu­che­rin­nen und Besu­cher. Sta­tis­tisch gese­hen war jeder in Deutsch­land lebende Mensch 2022 ein­mal im Museum. Die 8.800 öffent­li­chen und wis­sen­schaft­li­chen Biblio­the­ken wur­den, laut Deut­schem Biblio­theks­ver­band, im Jahr 2023 166 Mil­lio­nen Mal besucht, 312 Mil­lio­nen Medien wur­den ent­lie­hen. In der Spiel­zeit 2022/23 waren an den deut­schen Thea­tern, laut Werk­sta­tis­tik des Deut­schen Büh­nen­ver­eins, 6.773 Insze­nie­run­gen in fast 74.000 Auf­füh­run­gen zu sehen. Sie wur­den von mehr als 18,5 Mil­lio­nen Men­schen besucht. Auch die Spiel­zeit 2022/23 war noch von den Nach­we­hen der Coro­na­pan­de­mie betrof­fen. Die 883 Volks­hoch­schu­len boten im Jahr 2023 knapp 500.000 Kurse mit fast 14,5 Mil­lio­nen Unter­richts­stun­den an. Auch wenn davon zwei Drit­tel auf Ange­bote aus den Berei­chen Gesund­heit und Spra­chen ent­fal­len, fin­det auch das Kurs­an­ge­bot in Kul­tur und Gestal­ten regen Zuspruch – ins­be­son­dere bei Frauen, die rund 82 Pro­zent der Nut­ze­rin­nen und Nut­zer aus­ma­chen. Rund 14 Mil­lio­nen Men­schen machen in ihrer Frei­zeit in Chö­ren oder Orches­tern Musik. An den 932 Musik­schu­len, die dem Ver­band deut­scher Musik­schu­len ange­hö­ren, wur­den im Jahr 2023 fast 1,5 Mil­lio­nen Schü­le­rin­nen und Schü­ler in mehr als 450.000 Kur­sen unterrichtet.

Das sind nur einige wenige Zah­len, die aber ein­drucks­voll bele­gen, wie groß die Zahl der Kul­tur­ein­rich­tun­gen, deren Ange­bot und die Besu­che­rin­nen- und Besu­cher­zah­len in Deutsch­land sind. Viele Daten lie­ßen sich zu sozio­kul­tu­rel­len Zen­tren, Kinos, Ama­teur­thea­tern, Musi­cals, Ange­bo­ten der freien Szene, Lesun­gen in Buch­hand­lun­gen, Jugend­kunst­schu­len und zahl­rei­chen Anbie­tern noch hinzufügen.

Das Kul­tur­ange­bot ist glück­li­cher­weise groß und viel­ge­stal­tig. Es wird von öffent­li­chen Kul­tur­ein­rich­tun­gen, von Kul­tur­ver­ei­nen, von Kul­tur­stif­tun­gen oder von Kul­tur­un­ter­neh­men ver­ant­wor­tet. Es ist tra­di­tio­nell, avant­gar­dis­tisch, expe­ri­men­tell, mund­art­sprach­lich, inter­na­tio­nal. Es ist zum Lachen, zum Nach­den­ken, zum Ärgern, zum Mit­füh­len, zum Reflek­tie­ren. Es spricht die ver­schie­de­nen Sinne an. Lädt zum Ver­wei­len oder auch zum Mit­ma­chen ein.

Eines ist das Kul­tur­ange­bot in Deutsch­land aber ganz sicher nicht: Leit­kul­tur. Dafür ist es zu ver­schie­den­ar­tig. Es ist viel­mehr ein Zei­chen der kul­tu­rel­len Viel­falt, die durch die Men­schen, die in Deutsch­land leben, egal ob lange, dau­er­haft, kurz oder vor­über­ge­hend, geprägt wird.

Kul­tur­anbie­ter wol­len mög­lichst viele, am liebs­ten alle Men­schen mit ihren Ange­bo­ten anspre­chen. Die­je­ni­gen, die Pro­gramme ent­wi­ckeln, die­je­ni­gen, die Kunst machen, sind fest davon über­zeugt, dass eigent­lich jeder­mann begeis­tert sein müsste.

Den­noch man­gelt es eini­gen Ein­rich­tun­gen nach wie vor an Bar­rie­re­frei­heit, bestehen wei­ter­hin Hür­den, Insti­tu­tio­nen zu besu­chen. Seien es finan­zi­elle Hür­den, Sprach­bar­rie­ren oder weil das Ange­bot nicht anspre­chend ist. Es ist wich­tig und rich­tig, bestehende Hür­den abzu­bauen. Der Zugang zu Kul­tur ist ein Men­schen­recht, d. h. jeder, der Inter­esse hat, muss sich an Kunst und Kul­tur erfreuen kön­nen. Ohne Aus­nahme, alle.

Wenn man die Dis­kus­sio­nen um Teil­habe ver­folgt, kann aller­dings der Ein­druck ent­ste­hen, dass alle Besu­che­rin­nen und Besu­cher will­kom­men sind bis auf die­je­ni­gen, die schon da sind. Beson­ders oft hört man das Schlag­wort, wir wol­len die Stadt­ge­sell­schaft ein­bin­den, was sich erst ein­mal gut anhört. Fragt man dann nach, wird oft deut­lich, dass man eine sehr exklu­sive Vor­stel­lung von die­ser „Stadt­ge­sell­schaft“ hat. Die Alten, die weni­ger Diver­sen, die ohne Hoch­schul­ab­schluss gehö­ren oft nicht dazu.

Kul­tur­anbie­ter ste­hen gerade mit Blick auf Teil­habe vor der Qua­dra­tur des Krei­ses, die nicht neu ist: Sie müs­sen das bestehende Publi­kum wei­ter­hin bin­den und zugleich ein neues gewin­nen. Die Kul­tur­po­li­tik und die Kul­tur­ver­wal­tung sind ins­be­son­dere gefor­dert, die Kul­tur­land­schaft vor Ort in den Blick zu neh­men. Abge­se­hen von der Anfor­de­rung der phy­si­schen Bar­rie­re­frei­heit, also Zugangs­mög­lich­keit mit dem Roll­stuhl, Induk­ti­ons­schleife, Audio­deskrip­tion, bar­rie­re­freie Leit­sys­teme usw., der alle nach­kom­men soll­ten, soll­ten Kul­tur­anbie­ter auch die Mög­lich­keit haben, sich an ein klei­nes, beson­ders inter­es­sier­tes Publi­kum zu rich­ten. Ins­be­son­dere wenn es um die öffent­li­che Kul­tur­för­de­rung geht, die daran fest­hal­ten sollte, „zu för­dern, was es schwer hat“.

In Son­der­heit öffent­lich geför­derte Kul­tur­ein­rich­tun­gen haben nicht nur die Mög­lich­keit, son­dern gera­dezu die Pflicht, auch jener Kunst Raum zu bie­ten, die nur wenige Men­schen anspricht. Kunst ist nicht leicht kon­su­mier­bar, und Kunst braucht nicht immer die päd­ago­gi­sche Ver­mitt­lung. In grö­ße­ren Gemein­den besteht die Chance, dass auf­grund der zumeist vor­han­de­nen unter­schied­li­chen Kul­tur­ein­rich­tun­gen, die einen sich eher an ein brei­tes Publi­kum rich­ten und die ande­ren ziel­grup­pen­spe­zi­fisch agie­ren. Bei­des recht­fer­tigt öffent­li­che Kul­tur­för­de­rung, bei­des ermög­licht Pro­fi­lie­rung, bei­des fin­det sei­nen Platz und bei­des bie­tet Platz für alle.

Teil­habe von Kul­tur oder auch „Kul­tur für alle“ heißt nicht, dass jeder alles mögen und nut­zen muss. Wesent­lich ist, dass alle Men­schen die Chance haben, ein Kul­tur­ange­bot in Anspruch zu neh­men. Dazu zählt, dass sie davon erfah­ren, also die Öffent­lich­keits­ar­beit und das Ange­bot inklu­siv sind. Dazu gehört, dass sie es sich leis­ten kön­nen müs­sen, also Ermä­ßi­gun­gen bei den Ein­tritts­prei­sen ange­bo­ten wer­den. Wer dann bereit ist, sich über­ra­schen zu las­sen, wird fest­stel­len, dass im Kul­tur­be­reich Platz für alle ist.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 3/2025.

Von |2025-04-24T15:02:59+02:00April 24th, 2025|lnklusion, Teilhabe|Kommentare deaktiviert für

Im Kul­tur­be­reich ist Platz für alle

Bar­rie­ren müs­sen wei­ter abge­baut werden

Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur.