Ute Fre­vert: Verfassungsgefühle

In ihrem Buch „Ver­fas­sungs­ge­fühle“ wid­met sich die His­to­ri­ke­rin Ute Fre­vert einem über­ra­schend wenig beleuch­te­ten Thema: der emo­tio­na­len Bezie­hung der Deut­schen zu ihren Ver­fas­sun­gen. Ihre Erkennt­nis, dass Ver­fas­sun­gen nicht nur juris­ti­sche Regel­werke, son­dern auch emo­tio­nale Anker des Staats­ge­fü­ges sind, macht ihre Ana­lyse ebenso erhel­lend wie hoch­ak­tu­ell. Sie zeigt auf, wie sehr Emo­tio­nen – Hoff­nung, Ent­täu­schung oder gar Gleich­gül­tig­keit – über die Akzep­tanz einer Ver­fas­sung ent­schei­den kön­nen. Fre­vert blickt auf über zwei Jahr­hun­derte zurück und beleuch­tet Ereig­nisse wie das Wart­burg­fest von 1817, als Ver­fas­sungs­wün­sche mit Auf­bruchs­stim­mung, aber auch mit staat­li­cher Repres­sion ein­her­gin­gen. Ebenso zeigt sie, wie die Ent­täu­schung über die Ver­fas­sung von 1871 oder die Gleich­gül­tig­keit gegen­über der Wei­ma­rer Ver­fas­sung poli­ti­sche Fehl­ent­wick­lun­gen begüns­tigte. Beson­ders ein­dring­lich ist ihre Ana­lyse des Natio­nal­so­zia­lis­mus: Wäh­rend die Wei­ma­rer Ver­fas­sung for­mal in Kraft blieb, setzte das NS-Regime auf eine emo­tio­nale Bin­dung an die Per­son Adolf Hit­lers – ein beun­ru­hi­gen­des Bei­spiel für die Macht emo­tio­na­ler Nar­ra­tive. Nach 1945 herrschte in Deutsch­land zunächst ein nüch­ter­ner Prag­ma­tis­mus gegen­über dem Grund­ge­setz. Ab den 1970er Jah­ren ent­wi­ckelt sich jedoch all­mäh­lich ein „Ver­fas­sungs­pa­trio­tis­mus“, der das Grund­ge­setz zu einem leben­di­gen Bestand­teil der poli­ti­schen Kul­tur machte. Den­noch mahnt Fre­vert, dass posi­tive Emo­tio­nen allein keine Garan­tie für den Schutz demo­kra­ti­scher Werte bie­ten – beson­ders ange­sichts aktu­el­ler popu­lis­ti­scher Strö­mun­gen. Das Buch ist ein Lehr­stück in poli­ti­scher Kul­tur­ge­schichte, das nicht nur his­to­ri­sche Ereig­nisse neu beleuch­tet, son­dern auch den Blick auf die Gegen­wart und Zukunft der Demo­kra­tie schärft.

Ute Fre­vert. Ver­fas­sungs­ge­fühle. Göt­tin­gen 2024

Yvonne de Andrés

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 4/2025

Von |2025-04-15T14:30:52+02:00April 15th, 2025|Rezension|Kommentare deaktiviert für Ute Fre­vert: Verfassungsgefühle
Yvonne de Andrés ist Kulturmanagerin und Co-Gründerin von „Power To Transform!“