Natan Szna­ider: Die Jüdi­sche Wunde

In Natan Szna­iders Buch über die „Jüdi­sche Wunde“ geht es um die Frage von Uni­ver­sa­lis­mus und Par­ti­ku­la­ri­tät. Szna­ider stellt den Pro­to­typ des eins­ti­gen als Jude erkenn­ba­ren „Ost­ju­den“ dem ange­pass­ten, auf­ge­klär­ten „uni­ver­sa­len“ Juden gegen­über, ver­kör­pert durch Les­sings Nathan den Wei­sen, pro­pa­giert von Moses Men­dels­sohn, dem wich­ti­gen jüdi­schen Auf­klä­rer des 18. Jahr­hun­derts, der für Assi­mi­la­tion des Jüdi­schen in der Dia­spora steht.

Die zen­trale Frage: Wie sicht­bar oder unsicht­bar sol­len Juden sein – wo auch immer sie leben? Die Auf­klä­rung als Start­punkt für Assi­mi­la­tion und Unsicht­bar­keit hat dem jüdi­schen Volk weder die gebo­tene Aner­ken­nung noch Gleich­stel­lung gebracht. Die Geschichte mit ihren Ghet­tos, Ver­trei­bun­gen, Ver­fol­gun­gen, Pogro­men bis zum Holo­caust im 20. Jahr­hun­dert zeigt dies mehr als deutlich.

Zwei Jüdin­nen, beide geflo­hen vor den Natio­nal­so­zia­lis­ten, sol­len nach dem Zusam­men­bruch des Deut­schen Rei­ches in Deutsch­land einen Preis bekom­men: Han­nah Are­ndt wird 1959 mit dem Les­sing­preis aus­ge­zeich­net. Ihre Hal­tung, ihre Rede bei der Preis­ver­lei­hung steht im Zen­trum des zwei­ten Teils von Szna­iders Buch. Und die Erkennt­nis: Die Kluft zwi­schen Juden und Deut­schen ist für sie nicht mehr zu über­win­den. Sie bleibt als Jüdin sicht­bar. Aber sie nimmt den Preis an – im Gegen­satz zu Mascha Kaléko, die den Ber­li­ner Kunst­preis für Lite­ra­tur ablehnt – weil ein ehe­ma­li­ger SS-Ange­hö­ri­ger der Jury ange­hört. Beide pro­mi­nente Exi­lan­tin­nen sehen sich der Frage gegen­über, wie mit Deutsch­land und den Deut­schen nach dem Holo­caust umzu­ge­hen ist.

Diese Frage stellt sich bis heute. Die über­le­ben­den Opfer der mons­trö­sen Ver­bre­chen gegen die Juden, so Szna­ider, wol­len sich als „Ver­söh­nungs­ver­wei­ge­rer“ ihr Recht auf Unver­söhn­lich­keit bewah­ren. Es sei ihre Auf­gabe, „nicht zu ver­ge­ben“. Das Buch ver­mit­telt unter­schied­li­che Aspekte der „jüdi­schen Frage“ nach Auto­no­mie oder Anpas­sung. Unsicht­bar­keit, so ler­nen wir, ist kein Mit­tel gegen Anti­se­mi­tis­mus. Der muss auf ande­ren Wegen bekämpft werden.

Natan Szna­ider. Die Jüdi­sche Wunde. Leben zwi­schen Anpas­sung und Auto­no­mie. Mün­chen 2024

Bar­bara Haack

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 2/2025

Von |2025-03-12T16:50:46+01:00März 12th, 2025|Rezension|Kommentare deaktiviert für Natan Szna­ider: Die Jüdi­sche Wunde
Barbara Haack ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.