Wir dul­den kei­nen Judenhass

Jüdi­sches Leben in der Stadt Frank­furt am Main

Frank­furt am Main kann auf eine lange jüdi­sche Tra­di­tion zurück­bli­cken, die bis ins 12. Jahr­hun­dert n. Chr. zurück­reicht. Sei­nen jüdi­schen Bür­ge­rin­nen und Bür­gern ver­dankt die Stadt vie­les. Zu nen­nen wären etwa die Grün­dung der Goe­the-Uni­ver­si­tät oder die Her­aus­gabe der Frank­fur­ter Zei­tung – die Vor­läu­fe­rin der heu­ti­gen FAZ. Bedeu­tende jüdi­sche Unter­neh­mer wie Mayer Amschel Roth­schild, Arthur von Wein­berg oder Wil­helm Mer­ton begrün­de­ten erst die Rolle Frank­furts als moderne Han­dels­stadt. Den­ke­rin­nen und Den­ker wie Lud­wig Börne, Mar­tha Wert­hei­mer, Theo­dor Wie­sen­grund Adorno oder Paul Ehr­lich wer­den bis heute mit der Stadt ver­bun­den. Und auch in der Gegen­wart spielt die jüdi­sche Welt in Frank­furt mit einer der größ­ten Gemein­den in Deutsch­land, der kürz­lich begrün­de­ten Jüdi­schen Aka­de­mie sowie dem städ­tisch getra­ge­nen Jüdi­schen Museum eine bedeu­tende Rolle. Eine breit aus­dif­fe­ren­zierte und von der Zivil­ge­sell­schaft getra­gene Erin­ne­rungs­kul­tur mar­kiert dar­über hin­aus viele frü­here Orte jüdi­schen Lebens im Frank­fur­ter Stadt­raum und hält die Opfer der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen im städ­ti­schen Gedächtnis.

Gerade vor die­sem Hin­ter­grund ist es beson­ders erschre­ckend, wie bereit­wil­lig die Stadt die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ideo­lo­gie in die Tat umsetzte. Die Erzäh­lung, dass das welt­of­fene Frank­furt den Nazis skep­tisch gegen­über­ge­stan­den hätte, ist längst als Mythos wider­legt. Viel­mehr erzielte die NSDAP hier sogar über­pro­por­tio­nal hohe Wahl­er­geb­nisse. Auch die Stadt­ver­wal­tung spielte eine beschä­mende Rolle. Die soge­nann­ten „Ari­sie­run­gen“ wur­den mit gro­ßem admi­nis­tra­ti­vem Eifer vor­an­ge­trie­ben, um etwa die Stadt­kasse zu fül­len oder die Samm­lun­gen Frank­fur­ter Museen zu erweitern.

Nach dem Ende des Natio­nal­so­zia­lis­mus war das jüdi­sche Leben in Frank­furt nahezu voll­stän­dig aus­ge­löscht, und die Stadt ent­wi­ckelte einen ambi­va­len­ten Umgang mit der eige­nen Ver­gan­gen­heit. Die Betei­li­gung an kon­kre­ten Ver­bre­chen wurde ver­drängt und öffent­lich tot­ge­schwie­gen, ande­rer­seits war Frank­furt Schau­platz der Ausch­witz­pro­zesse, und Fritz Bauer stieß als hes­si­scher Gene­ral­staats­an­walt die juris­ti­sche Auf­ar­bei­tung der NS-Ver­bre­chen an.

Die Jüdi­sche Gemeinde avan­cierte spä­tes­tens in den 1980er Jah­ren wie­der zu einer bedeu­ten­den und selbst­be­wuss­ten Stimme im städ­ti­schen Dis­kurs. So enga­gier­ten sich 1985 Frank­fur­ter Jüdin­nen und Juden lei­den­schaft­lich und erfolg­reich gegen die Urauf­füh­rung des Thea­ter­stücks von Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der „Der Müll, die Stadt und der Tod“, des­sen Spiel mit anti­se­mi­ti­schen Ste­reo­ty­pen ihnen uner­träg­lich war. Wenig Jahre spä­ter pro­tes­tierte die Frank­fur­ter Zivil­ge­sell­schaft gegen die Über­bau­ung der ehe­ma­li­gen Juden­gasse und des Börn­eplat­zes durch ein Behör­den­zen­trum – gegen die Über­bau­ung jenes Ortes also, wo bis zur Pogrom­nacht 1938 eine der vier gro­ßen Frank­fur­ter Syn­ago­gen gestan­den hatte. Ergeb­nisse die­ses Pro­tes­tes waren unter ande­rem die Ein­rich­tung eines Muse­ums und einer Gedenk­stätte vor Ort.

Mit dem Bau des jüdi­schen Gemein­de­zen­trums 1986 bekannte sich die Gemeinde schließ­lich zu Frank­furt als dau­er­haf­tem Mit­tel­punkt jüdi­schen Lebens; ein vor dem Hin­ter­grund des Holo­caust his­to­risch ein­ma­li­ger und unver­dien­ter Glücks­fall für die Stadt wie für das ganze Land. Die Eröff­nung kom­men­tierte der Archi­tekt und lang­jäh­rige Vor­stands­vor­sit­zende der Jüdi­schen Gemeinde Salo­mon Korn mit einem berühmt gewor­de­nen Satz: „Wer ein Haus baut, will blei­ben, und wer blei­ben will, erhofft sich Sicherheit.“

Doch auch in Frank­furt war diese Sicher­heit nie voll­stän­dig gege­ben. Der Anti­se­mi­tis­mus blieb nach dem Ende des Natio­nal­so­zia­lis­mus eine per­ma­nente Bedro­hung. Mit dem 7. Okto­ber 2023 hat sich der Juden­hass jedoch auf eine bis dahin immer noch unvor­stell­bare Weise gestei­gert. Allein die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit The­men aus der jüdi­schen Welt sind heute Anlass für mas­sive Anfein­dun­gen, Bedro­hun­gen und Über­griffe. Die Hal­tung der Stadt Frank­furt dazu ist ein­deu­tig: Wir dul­den kei­nen Juden­hass, ste­hen fest an der Seite der Jüdi­schen Gemeinde und wer­den unsere Kul­tur­ein­rich­tun­gen und Museen als offene Räume und Orte des freien Dis­kur­ses erhal­ten und schüt­zen. Ganz kon­kret hat die Stadt ihren Insti­tu­ten eine ein­heit­li­che Leit­li­nie zum Umgang mit Anti­se­mi­tis­mus an die Hand gege­ben. Sie sieht unter ande­rem vor, Ver­an­stal­tun­gen mög­lichst auch bei sich abzeich­nen­den Kon­flik­ten nicht abzu­sa­gen, jedoch die Hal­tung der Stadt Frank­furt im Vor­feld ein­deu­tig zu kom­mu­ni­zie­ren, fer­ner die argu­men­ta­tive Her­aus­for­de­rung anzu­neh­men, zu wider­spre­chen und die his­to­risch-mora­li­sche Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands her­aus­zu­stel­len. Ande­rer­seits emp­fiehlt das Doku­ment, bei mas­si­ver Stö­rung des Dia­logs das Haus­recht zu nut­zen, bei deut­lich anti­se­mi­ti­schen Paro­len die Poli­zei zu rufen und Anzeige zu erstatten.

Die Tat­sa­che, dass sol­che Über­le­gun­gen über­haupt nötig sind, ver­deut­licht, dass wir uns mit­ten im Kampf um die plu­rale und welt­of­fene Gesell­schaft befin­den. Die Vor­be­rei­tung einer ange­mes­se­nen Reak­tion auf anti­se­mi­ti­sche Angriffe ist in die­ser Situa­tion uner­läss­lich, aber nicht aus­rei­chend. Viel­mehr sind Poli­tik, Kul­tur, Wis­sen­schaft und die enga­gierte Zivil­ge­sell­schaft auf­ge­ru­fen, aktiv Gegen­po­si­tion zu bezie­hen. Eine Auf­gabe, die orts­spe­zi­fi­sche Her­an­ge­hens­wei­sen ver­langt, die sich aber nicht nur in Frank­furt stellt.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 12/2024-1/2025.

Von |2024-11-29T12:03:19+01:00November 29th, 2024|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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Jüdi­sches Leben in der Stadt Frank­furt am Main

Ina Hartwig ist Stadträtin und Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt.