Wo ist die rote Linie?

Über Richard Wag­ner, Anti­se­mi­tis­mus und Kunstfreiheit

„Frei im Wol­len. Frei im Thun. Frei im Genie­ßen.“ Ein Ban­ner mit die­sem Credo Richard Wag­ners hängt seit Jah­ren am Bal­kon des Fest­spiel­hau­ses von Bay­reuth, jeweils zur belieb­tes­ten und stets aus­ver­kauf­ten Pro­duk­tion: in die­sem Jahr Tobias Krat­zers Insze­nie­rung des „Tann­häu­ser“. Krat­zer setzt sich aus­ein­an­der mit Wag­ners Traum, als Künst­ler dich­ten, kom­po­nie­ren, schrei­ben und tun zu dür­fen, was immer ihm gefällt. Keine Frage, der Revo­lu­tio­när des Musik­thea­ters schuf Meis­ter­li­ches und Unsterb­li­ches. Für die­sen Kom­men­tar las­sen wir jedoch ein Gedan­ken­spiel zu und stel­len rein hypo­the­tisch die Frage: Dürfte Wag­ner auch heute ohne Ein­schrän­kung „frei im Wol­len und Thun“ und mit staat­li­cher Hilfe Par­ti­tu­ren schrei­ben und insze­nie­ren? Lebte er in unse­ren Jah­ren, wür­den staat­li­che Insti­tu­tio­nen seine Schaf­fens­kraft bedin­gungs­los finan­zi­ell unter­stüt­zen? Ein alber­nes Gedan­ken­spiel? Nicht unbe­dingt. Wag­ner ist seit 141 Jah­ren tot, daher machen wir es uns leicht und tren­nen seine musi­ka­li­schen Werke von sei­nen uner­träg­li­chen anti­se­mi­ti­schen Aus­fäl­len und Schrif­ten. Wir ver­wei­sen auf die vie­len jüdi­schen Wag­ner­an­hän­ger wie den Diri­gen­ten der „Parsifal“-Uraufführung, Her­mann Levi, auf Daniel Baren­boim, der Wag­ner in Israel diri­gierte, und viele andere. Und den­noch: Wag­ner war ein ent­setz­li­cher Juden­has­ser; wie wür­den wir heute auf ein Genie mit solch einer ver­ach­ten­den Welt­an­schau­ung reagie­ren? Diese Frage führt uns zum heik­len Thema der Kunst­frei­heit, die die Kul­tur­szene spä­tes­tens seit der docu­menta 2022 und seit dem 7. Okto­ber 2023 beson­ders inten­siv bewegt. Das Grund­ge­setz der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hat als Gegen­ent­wurf zum völ­kisch-ras­si­schen Kunst­be­griff der Nazis den Schutz der Kunst­frei­heit klar im Arti­kel 5 Absatz 3 gere­gelt. „Jeder hat das Recht, seine Mei­nung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu ver­brei­ten. (…) Eine Zen­sur fin­det nicht statt. (…) Kunst und Wis­sen­schaft, For­schung und Lehre sind frei.“ Nie wie­der soll­ten Bücher­ver­bren­nun­gen, Begriffe wie „Ent­ar­tete Kunst“, Ver­ban­nun­gen aus Aka­de­mien, die staat­lich ver­ord­nete Ver­nich­tung von Wer­ken und die Ver­fol­gung von Kul­tur­schaf­fen­den mög­lich sein, egal, wel­che Par­teien und wel­che Per­so­nen regie­ren. Die Kunst ist frei. So darf denn, durch­aus kon­tro­vers dis­ku­tiert und auch hart kri­ti­siert, ein Frosch am Kreuz hän­gen; Arti­kel 5 schützt auch Jan Böh­mer­manns Schmäh­ge­dicht gegen Erdoğan. Es gibt jedoch Gren­zen, defi­niert aus der deut­schen Geschichte. Der Arti­kel 1 des Grund­ge­set­zes schützt die Würde des Men­schen, die Würde aller Men­schen, gleich wel­cher Reli­gion, Haut­farbe oder Staatsangehörigkeit.

Per­so­nen mit Schlä­fen­lo­cken und SS-Runen, dazu ein Schwei­ne­kopf mit der Auf­schrift „Mos­sad“: Die docu­menta 15 hat mit anti­se­mi­ti­schen Bil­dern die Grenze über­schrit­ten. Fil­me­ma­cher, die auf der Ber­li­nale 2024 das Mas­sa­ker am 7. Okto­ber ver­schwie­gen und statt­des­sen Israel des Geno­zids bezich­tig­ten, haben die Grenze über­schrit­ten. Nur, wo genau ist sie zu zie­hen? Die Form pro­vo­ziert sel­te­ner, meist ist es der Inhalt. Soll der Staat Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen zum Bekennt­nis gegen Anti­se­mi­tis­mus ver­pflich­ten? Sol­len Städte und Kom­mu­nen ihre finan­zi­elle Unter­stüt­zung kul­tu­rel­ler Pro­jekte abhän­gig machen von der kla­ren Absage der Antrag­stel­ler an anti­se­mi­ti­sche Inhalte? Der Staat kann die Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen für kul­tu­relle Initia­ti­ven, sollte sich jedoch nicht in Inhalte ein­mi­schen – gilt das auch dann noch, wenn sich in der Gesell­schaft anti­se­mi­ti­sche Straf­ta­ten häu­fen? Wenn Jüdin­nen und Juden sich nicht mehr öffent­lich zu ihrer Reli­gion beken­nen kön­nen, weil Aus­gren­zung und Gewalt dro­hen? Wie kom­pli­ziert die juris­ti­sche Begrün­dung für eine Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­klau­sel bezüg­lich der Kul­tur­för­de­rung ist, zeigte der Vor­stoß von Ber­lins Kul­tur­se­na­tor Joe Chialo. Er musste sein Enga­ge­ment zurück­zie­hen. Es ist ein Dilemma. Einer­seits ist die Kunst­frei­heit ein hohes Gut, dies gilt es nicht anzu­tas­ten. Wir erle­ben aktu­ell in der bis­lang demo­kra­tisch ver­fass­ten Slo­wa­kei, wie Minis­ter­prä­si­dent Fico mit sei­nen dik­ta­to­ri­schen Allü­ren die Kul­tur­schaf­fen­den drang­sa­liert, und erin­nern ein ähn­lich selbst­herr­li­ches Ein­grei­fen in kul­tu­relle Inhalte aus Polen und aus Ungarn. Ande­rer­seits gilt es ohne jede Ein­schrän­kung, jüdi­sches Leben in Deutsch­land zu schüt­zen. Anti­se­mi­ti­sche und ras­sis­ti­sche Straf­ta­ten müs­sen ver­folgt wer­den. Juden­hass ist die rote Linie, die nicht über­schrit­ten wer­den darf. Wie lässt sich die­ses Dilemma zwi­schen Kunst­frei­heit einer­seits und Schutz für Min­der­hei­ten ande­rer­seits lösen? Das Ber­li­ner Museum Ham­bur­ger Bahn­hof hat sich selbst einen code of con­duct gegen Anti­se­mi­tis­mus, Ras­sis­mus etc. auf­er­legt. Dies ist vor­bild­lich. Die Auf­gabe des Staa­tes und der öffent­li­chen Hand muss es sein, kul­tu­relle Insti­tu­tio­nen in der­lei Bemü­hun­gen zu stär­ken, den Kul­tur­be­trieb zu sen­si­bi­li­sie­ren und bei gleich­zei­ti­ger Frei­heit der Kunst die Empa­thie für bedrohte Min­der­hei­ten zu för­dern. Dies ist ein her­aus­for­dern­des Ziel, das vie­ler Anstren­gun­gen bedarf, aber es ist der ein­zige Weg. Um zur Anfangs­frage zurück­zu­keh­ren: Wie soll­ten wir heute mit einem Juden­has­ser wie Wag­ner umge­hen? Nichts hinkt so sehr wie ein his­to­ri­scher Ver­gleich. Zu Wag­ners Zei­ten waren Res­sen­ti­ments gegen­über Juden nicht nur üblich, son­dern gewollt und geför­dert. Wer jedoch heute mit so viel Feind­se­lig­keit pole­mi­sie­ren würde wie Wag­ner, dürfte sich sei­ner Frei­heit im Tun und Genie­ßen nicht lange erfreuen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2024.

Von |2024-09-13T15:48:55+02:00September 13th, 2024|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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Über Richard Wag­ner, Anti­se­mi­tis­mus und Kunstfreiheit

Maria Ossowski ist freie Journalistin.