Simone Kucher: Die lich­ten Sommer

Flüch­tig wie eine leichte Som­mer­brise zie­hen die Jahre an Nevenka und Liz vor­bei. Wäh­rend die Erin­ne­run­gen an ihre Kind­heit und den Krieg die Mut­ter so fest im Griff haben, dass sie nie wirk­lich in der Gegen­wart anzu­kom­men scheint, spürt die Toch­ter diese Last der Ver­gan­gen­heit so schwer auf ihren Schul­tern, dass sie die­ser Gegen­wart augen­blick­lich ent­kom­men möchte. Als Geflüch­tete kam Nevenka nach dem Zwei­ten Welt­krieg aus einem mäh­ri­schen Dorf nach Süd­deutsch­land. Ihre Toch­ter Liz wird Anfang der 1950er Jahre gebo­ren, hei­ra­tet blut­jung einen Bau­ern­sohn aus einem benach­bar­ten Dorf und bekommt mit ihm drei Kin­der. Und so ste­cken beide Frauen fest in die­ser Rolle der Ehe­frau und Mut­ter, in die­ser Zeit, die so schnell ver­geht und doch kaum Ver­än­de­run­gen mit sich bringt.

Nevenka flüch­tet sich aus ihrem tris­ten All­tag in Bücher und in die Geschichte der eige­nen Kind­heit, die gefüllt ist mit Erin­ne­run­gen an all jene Frauen, die wie mar­morne Säu­len bis zuletzt die Struk­tur der Dorf­ge­mein­schaft vor dem Ein­sturz bewahr­ten. Liz ver­spürt all­ge­gen­wär­tig das Gefühl, immer noch kein wirk­li­cher Teil der Gesell­schaft zu sein. Weil ihre Eltern ver­trie­bene Deut­sche aus der ehe­ma­li­gen Tsche­cho­slo­wa­kei sind. Weil sie in den Bara­cken auf­ge­wach­sen ist. Weil die alt­deut­sche Aus­spra­che der Mut­ter ihr unan­ge­nehm ist. Und doch hält sie an der Vor­stel­lung einer bes­se­ren Zukunft fest, wenn­gleich Tod und Ver­zweif­lung für sie und ihre Mut­ter immer mehr zu stän­di­gen Beglei­tern des Lebens wer­den. Simone Kucher ver­webt in ihrem Debüt­ro­man „Die lich­ten Som­mer“ die Geschich­ten der bei­den Frauen kunst­voll zu einem Gan­zen, das doch beson­ders an sei­nen Leer­stel­len genauer betrach­tet wer­den will. Denn so emp­find­sam die Leben der Prot­ago­nis­tin­nen im Buch ent­fal­tet wer­den, so klar ersicht­lich sind die Aus­spa­run­gen der Gewalt und des trans­ge­ne­ra­tio­na­len Trau­mas, die eben­falls Kon­stan­ten der bei­den Bio­gra­fien sind. Und wäh­rend das Unsag­bare zwi­schen Mut­ter und Toch­ter unge­sagt bleibt, erzählt „Die lich­ten Som­mer“ von die­sem so uner­zähl­ten Kapi­tel der deut­schen Geschichte.

Anna Göbel

Simone Kucher. Die lich­ten Som­mer. Mün­chen 2024

Von |2024-06-13T15:31:28+02:00Juni 13th, 2024|Rezension|Kommentare deaktiviert für Simone Kucher: Die lich­ten Sommer