Es braucht eine auf­rich­tige Auseinandersetzung

Zwei Fra­gen an Daniel Botmann

Im Rah­men der Jah­res­ta­gung der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion dis­ku­tier­ten Panel-Teil­neh­mer über den Bei­trag, den kul­tu­relle Inte­gra­tion im Kampf gegen Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus leis­ten kann. Teil­neh­men­den des Panels haben wir jeweils zwei Fra­gen gestellt.

Wo sehen Sie aus Sicht des Zen­tral­rats der Juden aktu­ell die größ­ten Gefähr­dun­gen der Demo­kra­tie in Deutschland?

Was kön­nen Kunst und Kul­tur im Kampf gegen Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und grup­pen­be­zo­gene Men­schen­feind­lich­keit bewirken?

Vor weni­gen Tagen sind wie­der ein­mal die Zah­len anti­se­mi­ti­scher Gewalt­ta­ten ver­öf­fent­licht wor­den. Es ist für den Zen­tral­rat zu einer frus­trie­ren­den Übung gewor­den, auf die schon einige Zeit große Zahl hin­zu­wei­sen. Seit dem 7. Okto­ber 2023 erle­ben wir eine neue Dimen­sion der schie­ren Masse an juden­feind­li­chen Gewalt­ta­ten in unse­rem Land. Jeder Anti­se­mit ist auch ein Anti­de­mo­krat; er lehnt die frei­heit­li­chen Werte unse­rer offe­nen Gesell­schaft ab; er steht nicht auf dem Boden unse­rer Ver­fas­sung. Die Zah­len sind ein Spie­gel des anti­de­mo­kra­ti­schen Furors in Deutsch­land, der sich kürz­lich ein­mal mehr an tät­li­chen Angrif­fen auf Kom­mu­nal-, aber auch Spit­zen­po­li­ti­ker gezeigt hat.

Die Gefahr für unsere Demo­kra­tie ergibt sich nicht aus der einen Grup­pie­rung oder aus der einen Rich­tung, son­dern aus dem Zusam­men­spiel anti­de­mo­kra­ti­scher Strö­mun­gen. Das libe­rale Bewusst­sein in unse­rem Land droht in einem Deu­tungs­kampf der Extreme auf­ge­rie­ben zu wer­den. Wir sehen das an vie­len Stel­len, von der Debatte über Erin­ne­rungs­kul­tur bis hin zur ent­we­der ver­krampf­ten oder ent­hemm­ten Dis­kus­sion über Migra­ti­ons­po­li­tik. Rechts­extreme pla­nen den gewalt­sa­men Staats­streich, und der Links­extre­mis­mus geht ein unheil­vol­les Bünd­nis mit dem poli­ti­schen Isla­mis­mus ein. Kon­spi­ra­tiv bera­ten AfD-Ver­tre­ter gemein­sam mit rechts­extre­men Grup­pen die mas­sen­hafte Ver­schlep­pung deut­scher Staats­bür­ger mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Auf offe­ner Straße wird ein Kali­fat gefor­dert. Als Land, als Gesell­schaft fin­den wir nicht immer eine pas­sende Ant­wort dar­auf. Wir wir­ken damit häu­fig überfordert.

Das gilt auch für die Kul­tur­po­li­tik. In einem nai­ven Glau­ben an das Gute in der Welt wird im Kunst­be­trieb und von höchs­ter kul­tur­po­li­ti­scher Stelle kon­ti­nu­ier­lich auf die Selbst­re­gu­lie­rung der Kunst und Kul­tur ver­wie­sen. Diese Selbst­re­gu­lie­rung ist in der Ver­gan­gen­heit in wei­ten Tei­len kra­chend geschei­tert. Es ist mir unver­ständ­lich, wie die­ses Prin­zip den­noch immer wie­der bemüht wird. Auch die nächste Aus­gabe der docu­menta droht im Desas­ter zu enden. Bei wel­chem ande­ren Thema als bei Anti­se­mi­tis­mus wird sich so ekla­tant vor kla­ren Regeln gescheut. Diese Grund­li­nien sind not­wen­dig, vor allem in der Kulturförderung.

Der Deut­sche Bun­des­tag ringt zur­zeit mit einer kla­ren Ansage aus der Mitte des Par­la­ments zum Schutz jüdi­schen Lebens, bei der auch in der Frage der Imple­men­tie­rung der bereits von der Bun­des­re­gie­rung aner­kann­ten IHRA-Defi­ni­tion in die staat­li­che Kul­tur­för­de­rung keine Zwei­fel blei­ben soll­ten. Das wäre bit­ter nötig. In der Ver­gan­gen­heit wur­den immer wie­der Kon­se­quen­zen für anti­se­mi­ti­sche Grenz­über­schrei­tun­gen ange­kün­digt, die dann so nicht erfolgt sind. Im Nach­gang Bekennt­nisse auf Social Media zu pos­ten wie zuletzt bei der Ber­li­nale, hat kaum eine Bedeu­tung mehr oder gar Wir­kung. Es fehlt in der deut­schen Kul­tur­po­li­tik die Erkennt­nis, dass in einem Teil der Kunst­welt ein „zio­nis­ti­sches“ Feind­bild vor­herrscht, das als Folge die Nor­ma­li­sie­rung von Juden- und Isra­el­hass bis zum Aus­schluss jüdi­scher und israe­li­scher Künst­ler nach sich zieht.

Anti­zio­nis­mus ist keine Form legi­ti­mer Kri­tik an der Poli­tik des Staa­tes Israel. Kürz­lich haben jüdi­sche Stu­den­ten der Colum­bia Uni­ver­sity New York einen beein­dru­cken­den Text ver­öf­fent­licht, in dem sie Zio­nis­mus als einen Pfei­ler jüdi­scher Iden­ti­tät erklä­ren, ob reli­giös oder nicht, und ihre eigene Ent­mensch­li­chung durch die fana­ti­schen Akti­vis­ten an ihrer eige­nen Uni­ver­si­tät beschrei­ben. Juden­tum kann nicht von Israel getrennt wer­den – die­ses Ver­ständ­nis ist in künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Krei­sen nicht weit ver­brei­tet. Es braucht eine auf­rich­tige und ernst­hafte Aus­ein­an­der­set­zung in den kul­tu­rel­len Insti­tu­tio­nen und bei Kunst­schaf­fen­den mit die­sen The­men. Dies ist der ein­zige Weg, um nach­hal­tig Bes­se­rung zu schaf­fen und Juden als Teil die­ser Räume zu ver­ste­hen, anstatt sie als abwe­sende Pro­jek­ti­ons­flä­chen zu begreifen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2024.

Von |2024-06-06T14:55:10+02:00Juni 6th, 2024|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

Es braucht eine auf­rich­tige Auseinandersetzung

Zwei Fra­gen an Daniel Botmann

Daniel Botmann ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland.