Con­di­tio Humana

Jan­nis Ball­mann, Ricky Nguyen, Lenn­art Picha

Das Still­le­ben zeigt auf einer dunk­len Ober­flä­che ein Arran­ge­ment ver­schie­de­ner Gegen­stände, die mit dem Atten­tat von Hanau am 19.02.2020 in Ver­bin­dung ste­hen. Begin­nend mit der Licht­re­gie, die sich an Vani­tas-Still­le­ben ori­en­tiert und wel­che die Gegen­stände erst sicht­bar macht, wird der Betrach­ter auf die Ver­gäng­lich­keit des Lebens hingewiesen.

Die Uhr – der Stun­den­zei­ger auf der Neun, der Minu­ten­zei­ger auf der Fünf – fun­giert als Meta­pher für die neun Leben, die wäh­rend des Atten­tats inner­halb von fünf Minu­ten ver­lo­ren gin­gen. Hier­bei ist zudem das Kon­zept „memento mori“ von Rele­vanz. Es soll den Rezi­pi­en­ten dazu anre­gen, ein Bewusst­sein der Sterb­lich­keit zu ent­wi­ckeln, die­ses mit der Unmit­tel­bar­keit des Atten­tats zu ver­bin­den und somit die eigene Betrof­fen­heit mit dem Thema zu reflek­tie­ren. Die höl­zerne Glie­der­puppe zeigt keine erkenn­bare Mimik, wodurch hin­sicht­lich der Ges­tik ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis ent­steht. Einer Schuss­hal­tung steht die Hal­tung beim Hän­de­schüt­teln gegen­über. Dar­aus resul­tiert der Dua­lis­mus zwi­schen Schuld und Sühne auf der einen sowie Offen­heit und Will­kom­mens­kul­tur auf der ande­ren Seite. Durch die Abs­trak­tion des Men­schen in Rich­tung des „Pup­pen­haf­ten“ soll zudem meta­pho­risch der Abgrund der mensch­li­chen Seele sowie die viel­schich­ti­gen Ebe­nen mensch­li­cher Schat­ten­sei­ten dar­ge­stellt wer­den. Auch ver­bild­licht die Puppe mit Blick auf den gegen­über­ste­hen­den Spie­gel die Zer­stö­rungs­kraft eines ein­zel­nen Individuums.

Der mit Scher­ben über­säte Spie­gel, ein Vani­tas-Motiv, wird hier zum Sym­bol für die zer­split­terte Rea­li­tät sowie eine frag­men­tierte Mensch­lich­keit. Er ver­deut­licht die Unzu­frie­den­heit des Täters sowohl mit sich selbst als auch mit der ihn umge­ben­den Rea­li­tät. Dar­über hin­aus weißt er auf die Zuflucht aus die­ser Rea­li­tät in Rich­tung Abschot­tung, Hass und Anti­se­mi­tis­mus hin. Die Kon­fron­ta­tion mit einem Spie­gel eig­net sich eben­falls zur Aus­ein­an­der­set­zung mit Täter- und Opferrollen.

Die rote Wachs­rose, in ihrer vol­len kon­ser­vier­ten Blüte prä­sen­tiert, fun­giert als Sym­bol für Liebe, Hin­gabe und Ver­gäng­lich­keit. Die untere Hälfte der Rose ist ange­schmol­zen, sodass Wachs­trop­fen auf das Papier gefal­len sind. Auch die Kon­ser­vie­rung ist also nicht von Ewig­keit. Die tief­rote Farbe erin­nert an das ver­gos­sene Blut, aber auch an Brief­sie­gel und somit an eine gewisse Ver­trau­lich­keit und Innigkeit.

Die Blu­men in der glä­ser­nen Vase sind als Trau­er­mo­tiv inter­pre­tier­bar, neh­men aber zugleich eine Dop­pel­rolle ein. Sie sind nicht nur Aus­druck der kol­lek­ti­ven Trauer, son­dern auch ein Zeug­nis für die Wider­stands­fä­hig­keit des gemein­schaft­li­chen Geis­tes, der trotz des ver­gos­se­nen Blu­tes und der Trä­nen, auf­recht steht. Eben­je­ner Bei­stand wird durch die Ein­heit der eben­falls roten Farbe unter­stri­chen. Die Dar­stel­lung von Blu­men reiht sich in die Tra­di­tion der Blu­men­stü­cke ein. Hier hat der sym­bo­li­sche Ein­satz zudem eine tran­szen­den­tale Qua­li­tät, die über das Tra­gi­sche hin­aus­weist und auf den Auf­stieg der Opfer in über­ir­di­sche Dimen­sio­nen hin­weist. Gerade im Hin­blick auf unter­schied­li­che Glau­bens­an­sätze bie­tet sich die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem mensch­li­chen Nach­le­ben an. Die Kerze, an wel­cher die Rose ange­lehnt ist, scheint zwar soeben erlo­schen, der Rauch wird ver­flie­gen, aber die Mate­rie wird nach wie vor prä­sent sein. Damit ver­deut­licht der Ker­zen­rauch die Gedan­ken an Dies­seits und Jenseits.

Das Zeich­nung auf dem Papier zeigt das Gebrü­der-Grimm-Denk­mal in Hanau und ist als Ver­weis auf den Ort des Anschlags, aber eben auch als Sym­bol des Geden­kens im posi­ti­ven Sinne zu sehen. Die ver­lau­fene Tinte aus dem Füll­fe­der­hal­ter erin­nert erneut an das Ver­gos­sene Blut und sym­bo­li­siert dar­über hin­aus die Ver­wi­schung von Wahr­heit und Wirk­lich­keit, die in der Ideo­lo­gie des Täters herrsch­ten. In Form des Tin­ten­flecks ist die Abs­trak­tion eines Ober­kör­pers erkenn­bar. An der Stelle des Her­zens fehlt jedoch die Tinte, wodurch sich ein Loch in der Ober­flä­che ergibt, was für die Eigen­schaft der Herz­lo­sig­keit sowie der Abge­stumpft­heit und steht.

Der mit einem Tuch ver­hüllte Beton­so­ckel, in sei­ner phy­si­schen Sta­bi­li­tät ruhend, wird zu einer Alle­go­rie für die Kon­traste inner­halb des mensch­li­chen Han­delns. Beton als Bau­ma­te­rial für Mau­ern, wel­che als Grenze vor Neuem schein­bar schüt­zen sol­len, kon­tras­tiert hier mit der meta­pho­ri­schen Bedeu­tung von Beton als Grund­lage für Brü­cken und Ver­bin­dun­gen zwi­schen Men­schen und Gemein­schaf­ten. Diese sym­bo­li­sche Pola­ri­tät wirft Fra­gen nach der mensch­li­chen Natur, den Bedin­gun­gen des Mensch­seins („Con­di­tio Humana“) auf und regt zum Nach­den­ken über die Rolle von Iso­la­tion und Gemein­schaft an.

Das weiße Sei­den­tuch, wel­ches den Beton­so­ckel ver­hüllt, greift die Tra­di­tion der Toten­be­de­ckung auf und ist ein Sym­bol des Respekts und der Ehr­furcht. Es dient als Mah­nung und Erin­ne­rung an die Opfer, die durch blin­den Hass ihr Leben ver­lo­ren haben, und for­dert gleich­zei­tig zur kol­lek­ti­ven Refle­xion der Tat auf.

Mit der auf dem Tuch lie­gen­den gol­de­nen Kugel soll die Asso­zia­tion mit unse­rem Pla­ne­ten im Rezi­pi­en­ten geweckt wer­den. Sie hat, wie auch Seide, einen hohen phy­si­schen Wert und ergänzt die Anti­these des Beton­so­ckels als Brü­cken­bau­ele­ment, um die Wich­tig­keit der glo­ba­len Zusam­men­ar­beit über Gren­zen hin­weg. Diese Gren­zen kön­nen räum­li­cher, aber auch völ­lig geis­ti­ger Natur sein. Dem Aus­tausch von Natio­nen und Men­schen in Respekt, Friede und Aner­ken­nung kommt damit eine uner­läss­li­che Bedeu­tung zu, die durch die Kunst rea­li­sier­bar ist.

Jan­nis Ball­mann, Ricky Nguyen, Lenn­art Picha
Con­di­tio Humana

2023
digi­ta­les 3D-Ren­de­ring, digi­tale Zeich­nung, (Druck auf Papier)
70 x 100 cm
Gym­na­sium im PAMINA-Schul­zen­trum Herxheim
Klas­sen­stufe 13

Von |2024-02-12T11:28:53+01:00Februar 13th, 2024|Allgemein|Kommentare deaktiviert für

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Jan­nis Ball­mann, Ricky Nguyen, Lenn­art Picha