Serpil Temiz Unvar ist Gründerin der „Bildungsinitiative Ferhat Unvar“. Sie wurde in Nusaybin in der Türkei geboren und lebte nach ihrer Schulzeit zunächst in Frankreich und zog dann nach Hanau, wo sie bis heute lebt. Sie verlor ihren ältesten Sohn Ferhat Unvar durch den rechtsextremen und rassistisch motivierten Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 und gründete daraufhin im November 2020 die nach ihrem Sohn benannte Initiative für antirassistische Bildung und Empowerment. Die „Bildungsinitiative Ferhat Unvar“ wurde 2021 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Um die Namen der Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau nicht zu vergessen und ein deutliches Zeichen gegen jegliche Form von Rassismus und Ausgrenzung zu setzen, wurde von Kulturstaatsministerin Claudia Roth und der Initiative kulturelle Integration der bundesweite Aktionstag Hanau ins Leben gerufen. Serpil Temiz Unvar war an dem Schultheaterprojekt „HANAU – Schultheater für Zusammenhalt in Vielfalt“ im Jahr 2023 beteiligt und eröffnete im Februar 2024 die Ausstellung „Junge Kunst für Hanau“ mit, die aus einem bundesweiten Schulwettbewerb entstand.
Welche Bedeutung hat das gemeinsame Gedenken an das Attentat in Hanau mit Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Schulkunstwettbewerbs „Junge Kunst für Hanau“?
Kunst kann wirkungsvoller gegen Diskriminierung angehen, da sie auch für die Zukunft nachhaltig bleibt. Oft vermag Kunst das auszudrücken, was wir mit Worten nicht erklären können. Aktuelle Ereignisse können so auf die Zukunft übertragen werden. Damit wir aus der Vergangenheit lernen, ist Kunst ein besonders wichtiges Instrument.
Während der Ausstellung habe ich mich mit vielen Schüler:innen ausgetauscht. Einige von ihnen hatten zuvor keine genaue Information über den Hanauer Anschlag und auch allgemein über Rassismus. Dieses Projekt hat die Jugendlichen motiviert, sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie möchten nicht nur für sich selbst, sondern auch für die gesamte Zukunft aktiv werden.
Rassismus betrifft nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern stört die meisten Menschen, die friedlich miteinander leben wollen. Menschlichkeit spielt hierbei eine zentrale Rolle!
Welche Entwicklungen haben Sie festgestellt, seitdem Sie mit Ihrer Bildungsarbeit begonnen haben? Mit welchen Herausforderungen sind Sie konfrontiert?
Seit unserer Gründung als Bildungsinitiative konnten wir sowohl positive als auch negative Entwicklungen feststellen. Die Erinnerungsarbeit zeigt besonders starke Wirkung bei den Jugendlichen, was uns natürlich sehr freut. Leider mangelt es uns am meisten an struktureller Unterstützung und Wahrnehmung, was unsere Fortschritte behindert.
Die Jugendlichen streben nach Veränderung und sind mit dem aktuellen Zustand unzufrieden. Unsere Workshops und Jugendlichen sowie natürlich unsere gesamte Öffentlichkeitsarbeit kommen bei anderen Jugendlichen gut an, da wir die Workshops mit Jugendlichen durchführen, die selbst von diesen Problemen betroffen sind. Dennoch sind strukturelle Veränderungen notwendig.
Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für Sie „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist Ihre „Lieblingsthese“?
Zusammenhalt in Vielfalt bedeutet für mich, dass wir nicht trotz, sondern mit unseren Unterschieden zusammenhalten sollten. Es geht um den Zusammenhalt für eine Gesellschaft und eine Zukunft, in der alle Menschen mit ihren kulturellen, ethnischen, sozialen etc. Unterschieden friedlich miteinander leben können.
Die 11. These ist sehr passend für unsere Bildungsinitiative. Schulen sind Orte, an denen Kinder und Jugendliche unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Ethnizität zusammenkommen. Diese Orte sollten wir für eine gemeinsame Zukunft nutzen und uns effektiv und sinnvoll engagieren.
Was muss in Deutschland getan werden, damit Zusammenhalt in Vielfalt weiterhin gelebt werden kann?
Leider gibt es noch viel zu tun, wie wir in aktuellen Debatten über Rechtsextremismus sehen können. Wir müssen eine Gesellschaft und ein Land ohne Vorurteile schaffen, da Vorurteile leider zu Hass führen können. Der Hass hat vor vier Jahren in Hanau tragische Folgen gezeigt. Es ist wichtig, nicht nur die aktuellen Auswirkungen zu bekämpfen, sondern auch die Ursachen von Rassismus zu adressieren. Dazu gehören politische, soziale und bildungspolitische Veränderungen, mit denen wir uns seit unserer Gründung beschäftigen. Es ist von großer Bedeutung, die Jugendlichen wahrzunehmen, da sie unsere Zukunft gestalten werden.
Vielen Dank!