Die Vorgänge beim rbb haben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem in Deutschland einen schweren Schaden zugefügt. Sie sind restlos aufzuklären und dabei aufgetretene systemische Mängel sind zu beheben. Ich hoffe, dass bei allen Beteiligten, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als relevanten Player im Meinungsmarkt erhalten möchten, nun die Alarmglocken läuten und echte Reformen mehrheitsfähig werden“, das erklärte Reiner Haseloff, Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, am 27. September in einem Interview gegenüber der FAZ. Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, dass in einer Zeit, in der viele Leute nicht wissen, wie sie den hohen Energiepreis bezahlen sollen, eine Debatte über eine mögliche Beitragserhöhung geführt werde. „Eine Beitragserhöhung ist auf absehbare Zeit nicht vermittelbar“, so der CDU-Politiker.
Nathanael Liminski, Minister und Chef der Staatskanzlei in NRW sagte: „Man kann die Reichweite und Tiefe dieser Krise kaum überschätzen, denn es sind schwerwiegende Vorwürfe, die derzeit gegen Teile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhoben werden. Das ist vor dem Hintergrund seiner Finanzierung durch Pflichtbeiträge hochsensibel. Die bekannt gewordenen Missstände sind weder rechtlich noch politisch noch ethisch zu akzeptieren.“ Jetzt sei die Stunde der Intendanten. Ihr Reformpapier dürfe nicht nur den Handlungsbedarf adressieren, sondern müsse auch konkrete Vorschläge machen, wie die Probleme gelöst werden können.
Es ist ungewöhnlich, dass sich führende Landespolitiker so prononciert und kritisch zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk äußern. Aber das, was über die Verschwendung von Beitragsmitteln, unzureichende Compliance-Regeln und mangelnde Kontrolle offenbar wurde, ist nicht „gewöhnlich“, es geht bis ins Mark des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
„Business Insider“ hatte Ende Juni mit den ersten Vorwürfen gegen die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger und die Sender-Leitung eine Lawine losgetreten, die sich mit immer neu bekannt gewordenen Missständen auch in anderen ARD-Anstalten innerhalb weniger Monate zu einer Krise des öffentlich-rechtlichen Systems ausgewachsen hat. Die Vorgänge bei einigen ARD-Anstalten haben die Politik aufgeschreckt, zwingen aber auch die ARD-Intendanten zum Handeln. Haben sie bislang immer auf die Politik verwiesen und behauptet, sie könnten nur die Vorgaben aus den Medienstaatsverträgen oder jeweiligen Landesrundfunkgesetzen umsetzen, sehen sie sich jetzt unter Zugzwang, eigene Reformvorschläge vorzulegen.
Was müssten die Anstalten jetzt unternehmen? Drei Bereiche erscheinen vorrangig und realistisch:
Einheitliche Compliance-Regeln und stärkere Kontrolle durch die Gremien
Die ARD-Intendanten haben den Schaden unterschätzt und viel Zeit für notwendige Reformen verloren. Am 20. August hatten acht ARD-Intendanten der amtierenden Geschäftsleitung des neunten Senders, des rbb, das Vertrauen entzogen. Diese für Aufsehen sorgende Entscheidung ist aber bisher die einzige konkrete Schlussfolgerung, die der Verbund der regionalen Anstalten mit einem jährlichen Budget von nahezu 7 Milliarden Euro 2021, aus den mutmaßlichen Vorwürfen um Verschwendung, Vorteilsnahme und Vetternwirtschaft gezogen hat. Erst nach dem Rücktritt von Patricia Schlesinger hat sich die juristische Kommission der ARD mit der Frage befasst, obes in allen Anstalten einen Compliance-Beauftragten gibt. Der Mitteldeutsche Rundfunk etablierte bereits 2012, nach den Betrugsfällen beim KiKA und durch Udo Foth, eine eigene unabhängige Compliance-Beauftragte. Der Sender verfügt zudem seit Jahren über ein internes Whistleblower-System und ein „Hinweisgebersystem“, was nun auch für den rbb gefordert wird. Nach der Dienstanweisung Compliance und dem Mitarbeiter-Kodex sind Beschäftigte des MDR ebenso wie Vertragspartner bei Hinweisen auf Regel- und Rechtsverstöße verpflichtet, sich an die Compliance-Beauftragte oder die externe Ombudsfrau des MDR zu wenden. Die Ombudsfrau ist eine unabhängige Rechtsanwältin und per Gesetz zur Verschwiegenheit verpflichtet. Keine andere ARD-Anstalt besitzt ein solch verbindliches Netzwerk gegen Korruption und Vorteilsnahme. Solche Regeln müssten, das hat auch die Rundfunkkommission am 22. September in ihrem Beschluss bekräftigt, ARD-weit die gleichen sein. Ebenso müssten überall einheitliche Grundsätze für die Finanzierung und Ausstattung der Gremienbüros gelten und die Aufsichtsgremien müssen bessere fachliche und medienrechtliche Unterstützung erhalten.
Selbstverpflichtungserklärung zu zusätzlichen Sparmaßnahmen
2017 hatten sich ARD und ZDF angesichts einer drohenden überbordenden Beitragserhöhung ab 2021 zu einem freiwilligen Sparpaket von 1,2 Milliarden Euro über acht Jahre verpflichtet. Vor allem bei den IT-Kosten, dem Rechnungswesen, der technischen Beschaffung und der Vermeidung von Doppelberichterstattungen sollte gespart werden. Ein solches Bündel konkreter Maßnahmen ist jetzt wieder erforderlich, um steigende Energiekosten und die hohen Inflationsraten abzufedern. Sicher ist es schwieriger geworden, ein zweites Sparpaket in dem Umfang zu schnüren, aber inzwischen bestehen bessere technische Möglichkeiten und mehr Erfahrungen für Kooperationen. Die Selbstverpflichtungserklärung sollte eine Selbstbeschränkung bei digitalen Angeboten – dazu gehören auch Podcasts – enthalten sowie bei digitalen Innovationen, wie einer Kulturplattform, gemeinsame Projekte von ARD und ZDF vorsehen. So würde durch die Vermeidung von Doppelinvestitionen Geld gespart. Natürlich könnten sich die Intendanten auch auf eine Deckelung der Gehälter bei nichttarifgebundenen Führungskräften verständigen. Sollte die ARD ganz mutig werden, wären auch Fusionen des Saarländischen Rundfunks mit dem SWR und von Radio Bremen mit dem NDR denkbar. Eine solche strukturelle Reform würde zu deutlichen Einspareffekten führen.
Vielfalt bei Meinungen, Mitarbeitern und im Programm
Ein wichtiger Aspekt für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen ist die Vielfalt und damit verbunden auch die Widerspiegelung der unterschiedlichen Meinungen und Bewertungen gesellschaftlicher Themen im Programm. Noch mehr gendern, das die öffentlich-rechtlichen Programme durchzieht und sogar bei fiktionalen Produktionen zu hören ist, ist damit aber nicht gemeint. Eine von der Öffentlichkeit wahrgenommene oder real nicht vorhandene Vielfalt führt gegenwärtig zu viel Kritik. Sei es bei der Widergabe differierender Meinungen im politischen Diskurs, einer unzureichenden Widerspiegelung der Wirklichkeit, der Zusammensetzung der Redaktionen, mangelnder Partizipation der beitragszahlenden Bürger oder auch das Gendern, das eine große Mehrheit der Bevölkerung ablehnt. Eine Konferenz öffentlich-rechtlicher Sender aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie von ARTE, initiiert vom MDR, hat sich jüngst mit der Frage befasst, wie Gemeinwohl durch Vielfalt in den Medien entstehen kann und welche Rolle öffentlich-rechtliche Medien dabei spielen. Die Bedeutung der Vielfalt für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betonte auch MDR-Intendantin Karola Wille. Diese hätten eine „integrative Aufgabe, eine ›public balance‹-Aufgabe“. Sie bestehe darin, gesellschaftliche Vielfalt sichtbar zu machen und einzuordnen. Dies gelte unter anderem für Themen, Akteure, Meinungen, Erfahrungen, Werthaltungen und Perspektiven in zeitgemäßen Angebotsformen und vielfältigen Genres. Denn der Wert öffentlich-rechtlicher Medien für die Gesellschaft entstehe „im Auge des Betrachters, des Bürgers als Individuum und als Teil der Gesellschaft“. Diese Erkenntnis muss jedoch Alltag in den öffentlich-rechtlichen Anstalten werden.
Länder tragen mit den Staatsverträgen Mitverantwortung
Die öffentlich-rechtlichen Sender können jedoch nicht alle Fehlstellen bei der Kontrolle und Verwendung der Beitragsmittel, die der Fall Schlesinger offenbart, selbst beseitigen. Hier ist ebenso die Politik gefragt, die sich seit Jahren vor einer wirklichen Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks drückt. In den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Sender sitzen nach Berechnungen des Dresdner Instituts für Medien, Bildung und Beratung (DIMBB) vier Ministerpräsidenten, zehn Chefs von Staatskanzleien, vier Medienstaatssekretäre, 13 weitere Minister bzw. Staatssekretäre. Diese könnten beispielsweise eine „Profilschärfung der Programme“ und ein „stärkeres Kostenbewusstsein“ einfordern und über die Gremien kontrollieren, wie es Rainer Robra, Minister für Kultur und Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt, forderte. Seine Idee, anstelle des Intendanten einen an das Aktienrecht angelehnten Vorstand zu etablieren, kann allerdings nur durch eine Änderung des Medienstaatsvertrages umgesetzt werden, also unter Mitwirkung seines Bundeslandes. Auch die diskutierte Ersetzung der Rundfunk- und Verwaltungsräte durch Expertenkommissionen oder die Kompetenzerweiterung der Beitragskommission KEF müssen von allen Ländern gebilligt werden. Bei den Staatsverträgen oder Mediengesetzen zu den einzelnen Landesrundfunkanstalten, für die die Länder unmittelbar zuständig sind, könnten wesentliche Reformen, wie z. B. eine Deckelung der Intendanten- und Direktorengehälter oder fachliche Vorgaben für die Besetzung der Verwaltungs- und Rundfunkräte, relativ schnell berücksichtigt werden. Das forderten die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU aus Bund, Ländern und Europaparlament in einem Positionspapier. Thüringen und Sachsen-Anhalt hatten beispielsweise beim jüngsten MDR-Staatsvertrag 2021 vorgeschlagen, das Gehalt der Führungsspitze der Rundfunkanstalt an der Besoldung der Bundesverfassungsrichter auszurichten. Dieser Vorschlag wurde von Sachsen abgelehnt. Eine ähnliche Überlegung existiert jetzt beim neuen rbb-Staatsvertrag, über den Berlin und Brandenburg gegenwärtig verhandeln. Auch mögliche Fusionen zu Mehrländeranstalten, werden letztendlich von den jeweiligen Landtagen beschlossen.
Teilweise unrealistische und inkompetente Vorschläge aus der Politik
Aufklärung und Veränderung, das fordern Politikerinnen und Politiker fraktionsübergreifend. Nicht alle sind verfassungsrechtlich oder medienrechtlich realistisch. Die SPD sieht Reformbedarf, etwa bei einem funktionierenden Compliance-System. Die Linken wiederum fordern eine Reformkommission für die Öffentlich-Rechtlichen – in der z. B. Beraterverträge offengelegt werden könnten. Friedrich Merz (CDU) und andere Bundespolitiker nutzen die Debatte, um weitere Punkte einzubringen, etwa den Vorwurf, dass die Öffentlich-Rechtlichen kein breites Meinungsspektrum abdeckten oder zu viel gegendert werde. Der Bundesfinanzmister und FDP-Chef Christian Lindner hat eine Deckelung der Gebühren gefordert. Die AfD und Teile der FDP plädieren für die Zusammenlegung von ARD und ZDF oder auch die komplette Abschaffung des Rundfunkbeitrages.
Am 22. September reagierte auf den großen öffentlichen Druck auch die Rundfunkkommission der Länder. Die sorgsame, verantwortungsvolle und transparente Verwendung von Beitragsmitteln sei eine Grundlage für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, heißt es dazu in einem Beschluss. Die Länder fordern von den öffentlich-rechtlichen Sendern „finanzwirksame Selbstverpflichtungserklärungen“, also anscheinend bindende Zusagen für Einsparungen und Kostensenkungen. Die Rundfunkkommission verlangt zudem von allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Überprüfung ihrer internen Aufsichts- und Compliance-Strukturen. Für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk müsse es einheitliche, hohe Standards bei Transparenz- und Compliance-Fragen geben. Die Länder wollen darüber hinaus Anpassungen der gesetzlichen Bestimmungen prüfen. Ein wichtiger Punkt bei der Aufsicht und Kontrolle sind für die Rundfunkkommission die Rundfunk- und Verwaltungsräte, die mit dem 3. Medienänderungsstaatsvertrag im Bereich der Finanzkontrolle sowie des Qualitätsmanagements gestärkt werden sollen. So ist vorgesehen, dass sie für die Rundfunkanstalten Qualitäts- und Programmrichtlinien aufstellen und Maßstäbe für eine wirtschaftliche und sparsame Haushaltsführung festlegen. Die Rundfunkanstalten stünden in der Pflicht, für eine angemessene Ausstattung der Gremienbüros zu sorgen. Auch bei dieser Frage wollen die Länder die gesetzlichen Rahmenbedingungen prüfen. Mit diesem einmütigen Beschluss wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk von allen 16 Ländern stärker als bisher in die Verantwortung genommen, dringend Veränderungen vorzunehmen und seine Sparanstrengungen zu verstärken. Der Entwurf des Medienstaatsvertrages wird aber von den Regierungschefinnen und -chefs wohl nicht mehr geändert und soll im Frühjahr nächsten Jahres in Kraft treten. Dazu ist allerdings die Zustimmung aller 16 Landesparlamente notwendig.