Ein Ort der Ver­gan­gen­heit und der Zukunft

Das Zukunfts­zen­trum für Deut­sche Ein­heit und Euro­päi­sche Transformation

In 2019 und 2020 jähr­ten sich die Fried­li­che Revo­lu­tion und die Deut­sche Ein­heit zum 30. Mal. Die Bun­des­re­gie­rung setzte im April 2019 durch Kabi­netts­be­schluss die Kom­mis­sion „30  Jahre Fried­li­che Revo­lu­tion und Deut­sche Ein­heit“ unter Vor­sitz von Minis­ter­prä­si­dent a. D. Mat­thias Platz­eck ein. Ich gehörte die­ser Kom­mis­sion an. Durch die Coro­na­pan­de­mie konn­ten zwar in den Jubi­lä­ums­jah­ren viele der Begeg­nun­gen, Ver­an­stal­tun­gen und Erfah­rungs­aus­tau­sche nicht wie gedacht und geplant statt­fin­den, aber dass das statt­fin­den konnte, war eine gute Erfah­rung. Die Kom­mis­sion hat im Dezem­ber 2020 einen 224-sei­ti­gen Abschluss­be­richt zu den Jubi­lä­ums­jah­ren vor­ge­legt mit Vor­schlä­gen für die Bun­des­re­gie­rung, wie sie die Erfah­run­gen aus den Jubi­läen nut­zen kann. Einer der wich­tigs­ten und weit­rei­chends­ten Vor­schläge ist die Emp­feh­lung, ein „Zukunfts­zen­trum für Deut­sche Ein­heit und Euro­päi­sche Trans­for­ma­tion“ zu errichten.

Um diese Idee des Zukunfts­zen­trums zu ver­tie­fen und Vor­schläge für Inhalt, Auf­gabe, Größe und Anspruch an das neue Zen­trum zu kon­kre­ti­sie­ren, wurde eine Arbeits­gruppe aus acht Per­so­nen gegrün­det. Auch die­ser habe ich angehört.

Der Osten Deutsch­lands und Mit­tel-Ost­eu­ropa haben im Ergeb­nis der Fried­li­chen Revo­lu­tion in Ost­deutsch­land und der nicht über­all ganz so fried­li­chen Revo­lu­tio­nen im ehe­ma­li­gen soge­nann­ten Ost­block exis­ten­zi­elle Erfah­run­gen mit Struk­tur­brü­chen, Struk­tur­wan­del und Trans­for­ma­tion. Sie alle, wir alle haben Erfah­run­gen gemacht, die gerade mit Blick auf aktu­elle Kri­sen genutzt wer­den sollten.

Das neu ent­ste­hende „Zukunfts­zen­trum für Deut­sche Ein­heit und Euro­päi­sche Trans­for­ma­tion“ soll dabei auf drei Säu­len set­zen: Ers­tens sol­len die gesell­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen von Struk­tur­brü­chen tief­grei­fen­der und tief­grün­di­ger unter­sucht wer­den, eine neue und nach­hal­tige Form der Trans­for­ma­ti­ons­for­schung statt­fin­den. Zwei­tens soll es einen kon­ti­nu­ier­li­chen gesell­schaft­li­chen Dia­log zwi­schen Bür­ge­rin­nen und Bür­gern, zwi­schen unter­schied­li­chen Gesell­schafts­schich­ten, zwi­schen Ost und West, zwi­schen den ost- und mit­tel­eu­ro­päi­schen Län­dern und zwi­schen die­sen und Deutsch­land geben. Drit­tens wird ein Kul­tur­zen­trum ent­ste­hen, in dem mit­tels unter­schied­li­cher Kunst- und Kul­tur­for­mate über Trans­for­ma­tion, alte und neue Her­aus­for­de­run­gen eine gesell­schaft­li­che Debatte geführt wird und bes­ten­falls Ideen und Lösun­gen für die Her­aus­for­de­run­gen der heu­ti­gen Zeit gefun­den werden.

Eine der wich­tigs­ten Auf­ga­ben des neuen Zukunfts­zen­trums wird aber auch die Wür­di­gung der gesell­schaft­li­chen und indi­vi­du­el­len Lebens­leis­tun­gen der Men­schen sein, die die ver­gan­ge­nen Trans­for­ma­tio­nen und Brü­che der Gesell­schaft gestal­tet, gemeis­tert und zu oft auch erlit­ten haben.

Mit dem „Zukunfts­zen­trum für Deut­sche Ein­heit und Euro­päi­sche Trans­for­ma­tion“ soll ein Ort der inten­si­ven Aus­ein­an­der­set­zung mit gesell­schaft­li­cher Ver­än­de­rung ent­ste­hen. Es soll ein Ort für den wis­sen­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Aus­tausch, für nach vorn gerich­tete Debat­ten mit natio­na­lem wie euro­päi­schem Blick sein – ein Ort der Begeg­nung, der Dis­kus­sion und der Problemlösung.

Anfang Mai 2022 hat das Kabi­nett einen Beschluss zur Umset­zung und Aus­ge­stal­tung des Zukunfts­zen­trums gefasst und Mitte Mai hat der Deut­sche Bun­des­tag unter mei­ner Feder­füh­rung hierzu einen Begleit­an­trag beschlos­sen. Der Aus­schuss für Kul­tur und Medien wird das Thema eng beglei­ten. Der Stand­ort­wett­be­werb ist am 1. Juli 2022 gestar­tet. Eine Jury wird über den Stand­ort entscheiden.

Fest steht, dass das Zukunfts­zen­trum in einem ost­deut­schen Bun­des­land errich­tet wird. Dabei sol­len poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che und kul­tu­relle Bezüge und Erfah­run­gen zum Thema Trans­for­ma­tion und Deut­sche Ein­heit sowie Vor­stel­lun­gen, wie diese für das Zukunfts­zen­trum frucht­bar gemacht wer­den kön­nen, in die Kon­zep­tion Ein­gang finden.

Ein Bestand­teil des Zukunfts­zen­trums soll die „Gale­rie der Trans­for­ma­tion und Ein­heit“ wer­den, ein inter­dis­zi­pli­nä­rer Ort des Erin­nerns und des Aus­tauschs. Gale­rien und Aus­stel­lun­gen sind zen­trale Orte der Kul­tur und der Geschichte. Kunst und Kul­tur kön­nen Geschichte nah­bar, erfahr­bar machen und mit Unter­hal­tung ver­bin­den, auf Pro­bleme hin­wei­sen und Situa­tio­nen ver­ständ­li­cher machen.

Die „Gale­rie der Trans­for­ma­tion und Ein­heit“ soll Aus­stel­lun­gen kon­zi­pie­ren, die sowohl vor Ort als auch deutsch­land- und euro­pa­weit gezeigt wer­den. Dabei sol­len die vor­an­schrei­ten­den, gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Ver­än­de­rungs­pro­zesse gezeigt und dis­ku­tiert wer­den. Die Kennt­nis über den Ver­lauf und die Wür­di­gung gesell­schaft­li­cher und indi­vi­du­el­ler Lebens­leis­tun­gen in den Reform­pro­zes­sen nach 1990 in Ost­deutsch­land, aber auch anderswo in Mit­tel- und Ost­eu­ropa kön­nen und wer­den dabei ein ent­schei­den­der Aspekt sein. Die Struk­tur­brü­che, die mit der Gestal­tung der Deut­schen Ein­heit in Ost­deutsch­land ent­stan­den sind, wir­ken bis heute in die Gesell­schaft und sind fes­ter Bestand­teil der ost­deut­schen Kul­tur. Die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Thema soll sowohl in Ost­deutsch­land als auch in West­deutsch­land eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Ver­stän­di­gung bewir­ken. Dabei muss die Bedeu­tung der Fried­li­chen Revo­lu­tion für die Frei­heits- und Demo­kra­tie­ge­schichte Deutsch­lands vor dem Hin­ter­grund der Erfah­run­gen mit SED-Dik­ta­tur und frei­heit­li­cher Grund­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik gebüh­rend gewür­digt wer­den. Hier sind die bei­den ande­ren Säu­len des Zukunfts­zen­trums, Wis­sen­schaft und For­schung und Bür­ge­rin­nen- und Bür­ger­be­geg­nung, von ent­schei­den­der Bedeutung.

Für die Säule Kunst und Kul­tur gilt der Leit­ge­danke, dass immer die „All­tags­men­schen“ ange­spro­chen wer­den sol­len – jede und jeder, unab­hän­gig von Her­kunft oder Vor­bil­dung, soll mit den Aus­stel­lun­gen ange­spro­chen wer­den und sich in ihnen wie­der­fin­den. Die Kom­bi­na­tion aus Wis­sens­ver­mitt­lung, Kunst, Begeg­nung und Debatte und dem Nach­emp­fin­den sind dabei die Besonderheit.

Das Zukunfts­zen­trum ist eines der wich­tigs­ten und größ­ten Pro­jekte die­ser Legislaturperiode.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 10/2022.

Von |2023-03-02T14:28:35+01:00Oktober 4th, 2022|Heimat|Kommentare deaktiviert für

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Katrin Budde ist Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages.