Katrin Budde 4. Oktober 2022 Logo_Initiative_print.png

Ein Ort der Ver­gan­gen­heit und der Zukunft

Das Zukunfts­zen­trum für Deut­sche Ein­heit und Euro­päi­sche Transformation

In 2019 und 2020 jährten sich die Friedliche Revolution und die Deutsche Einheit zum 30. Mal. Die Bundesregierung setzte im April 2019 durch Kabinettsbeschluss die Kommission „30  Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ unter Vorsitz von Ministerpräsident a. D. Matthias Platzeck ein. Ich gehörte dieser Kommission an. Durch die Coronapandemie konnten zwar in den Jubiläumsjahren viele der Begegnungen, Veranstaltungen und Erfahrungsaustausche nicht wie gedacht und geplant stattfinden, aber dass das stattfinden konnte, war eine gute Erfahrung. Die Kommission hat im Dezember 2020 einen 224-seitigen Abschlussbericht zu den Jubiläumsjahren vorgelegt mit Vorschlägen für die Bundesregierung, wie sie die Erfahrungen aus den Jubiläen nutzen kann. Einer der wichtigsten und weitreichendsten Vorschläge ist die Empfehlung, ein „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ zu errichten.

Um diese Idee des Zukunftszentrums zu vertiefen und Vorschläge für Inhalt, Aufgabe, Größe und Anspruch an das neue Zentrum zu konkretisieren, wurde eine Arbeitsgruppe aus acht Personen gegründet. Auch dieser habe ich angehört.

Der Osten Deutschlands und Mittel-Osteuropa haben im Ergebnis der Friedlichen Revolution in Ostdeutschland und der nicht überall ganz so friedlichen Revolutionen im ehemaligen sogenannten Ostblock existenzielle Erfahrungen mit Strukturbrüchen, Strukturwandel und Transformation. Sie alle, wir alle haben Erfahrungen gemacht, die gerade mit Blick auf aktuelle Krisen genutzt werden sollten.

Das neu entstehende „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ soll dabei auf drei Säulen setzen: Erstens sollen die gesellschaftlichen Auswirkungen von Strukturbrüchen tiefgreifender und tiefgründiger untersucht werden, eine neue und nachhaltige Form der Transformationsforschung stattfinden. Zweitens soll es einen kontinuierlichen gesellschaftlichen Dialog zwischen Bürgerinnen und Bürgern, zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, zwischen Ost und West, zwischen den ost- und mitteleuropäischen Ländern und zwischen diesen und Deutschland geben. Drittens wird ein Kulturzentrum entstehen, in dem mittels unterschiedlicher Kunst- und Kulturformate über Transformation, alte und neue Herausforderungen eine gesellschaftliche Debatte geführt wird und bestenfalls Ideen und Lösungen für die Herausforderungen der heutigen Zeit gefunden werden.

Eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Zukunftszentrums wird aber auch die Würdigung der gesellschaftlichen und individuellen Lebensleistungen der Menschen sein, die die vergangenen Transformationen und Brüche der Gesellschaft gestaltet, gemeistert und zu oft auch erlitten haben.

Mit dem „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ soll ein Ort der intensiven Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Veränderung entstehen. Es soll ein Ort für den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch, für nach vorn gerichtete Debatten mit nationalem wie europäischem Blick sein – ein Ort der Begegnung, der Diskussion und der Problemlösung.

Anfang Mai 2022 hat das Kabinett einen Beschluss zur Umsetzung und Ausgestaltung des Zukunftszentrums gefasst und Mitte Mai hat der Deutsche Bundestag unter meiner Federführung hierzu einen Begleitantrag beschlossen. Der Ausschuss für Kultur und Medien wird das Thema eng begleiten. Der Standortwettbewerb ist am 1. Juli 2022 gestartet. Eine Jury wird über den Standort entscheiden.

Fest steht, dass das Zukunftszentrum in einem ostdeutschen Bundesland errichtet wird. Dabei sollen politische, wirtschaftliche und kulturelle Bezüge und Erfahrungen zum Thema Transformation und Deutsche Einheit sowie Vorstellungen, wie diese für das Zukunftszentrum fruchtbar gemacht werden können, in die Konzeption Eingang finden.

Ein Bestandteil des Zukunftszentrums soll die „Galerie der Transformation und Einheit“ werden, ein interdisziplinärer Ort des Erinnerns und des Austauschs. Galerien und Ausstellungen sind zentrale Orte der Kultur und der Geschichte. Kunst und Kultur können Geschichte nahbar, erfahrbar machen und mit Unterhaltung verbinden, auf Probleme hinweisen und Situationen verständlicher machen.

Die „Galerie der Transformation und Einheit“ soll Ausstellungen konzipieren, die sowohl vor Ort als auch deutschland- und europaweit gezeigt werden. Dabei sollen die voranschreitenden, gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozesse gezeigt und diskutiert werden. Die Kenntnis über den Verlauf und die Würdigung gesellschaftlicher und individueller Lebensleistungen in den Reformprozessen nach 1990 in Ostdeutschland, aber auch anderswo in Mittel- und Osteuropa können und werden dabei ein entscheidender Aspekt sein. Die Strukturbrüche, die mit der Gestaltung der Deutschen Einheit in Ostdeutschland entstanden sind, wirken bis heute in die Gesellschaft und sind fester Bestandteil der ostdeutschen Kultur. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema soll sowohl in Ostdeutschland als auch in Westdeutschland eine gesamtgesellschaftliche Verständigung bewirken. Dabei muss die Bedeutung der Friedlichen Revolution für die Freiheits- und Demokratiegeschichte Deutschlands vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit SED-Diktatur und freiheitlicher Grundordnung der Bundesrepublik gebührend gewürdigt werden. Hier sind die beiden anderen Säulen des Zukunftszentrums, Wissenschaft und Forschung und Bürgerinnen- und Bürgerbegegnung, von entscheidender Bedeutung.

Für die Säule Kunst und Kultur gilt der Leitgedanke, dass immer die „Alltagsmenschen“ angesprochen werden sollen – jede und jeder, unabhängig von Herkunft oder Vorbildung, soll mit den Ausstellungen angesprochen werden und sich in ihnen wiederfinden. Die Kombination aus Wissensvermittlung, Kunst, Begegnung und Debatte und dem Nachempfinden sind dabei die Besonderheit.

Das Zukunftszentrum ist eines der wichtigsten und größten Projekte dieser Legislaturperiode.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.

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