Mai-Phuong Kollath ist studierte Erziehungswissenschaftlerin. Sie wurde 1963 in Hanoi, Vietnam geboren und kam 1981 als Vertragsarbeiterin in die damalige DDR. Im August 1992 musste sie leider die rassistisch motovierten Ausschreitungen im „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen miterleben. Die Diplom-Pädagogin leitete 16 Jahre hauptamtlich die Migrationsberatungsstelle in Rostock und leistete aktive Vorstandsarbeit bei dem deutsch-vietnamesischen Verein „Diên Hông“. Heute arbeitet sie als Coach, interkulturelle Beraterin sowie Familientherapeutin in Berlin.
Vielen Dank, Mai-Phuong Kollath, für das Engagement für ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben.
Im Jahr 1981 kamen Sie als Vertragsarbeiterin aus Vietnam in die damalige DDR und wohnten im „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen, wo Sie im August 1992 leider die rassistisch motovierten Ausschreitungen miterlebten. Sie engagierten sich daraufhin in dem neu gegründeten Verein „Diên Hông – Gemeinsam unter einem Dach e.V.“, der sich seitdem für ein friedliches Zusammenleben einsetzt. Was hat sich 30 Jahre nach diesem Pogrom in Deutschland verändert? Und was muss noch geschehen?
Die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen symbolisieren für mich nicht nur 30 Jahre kontinuierlicher rassistischer Gewalt, sondern vor allem auch das Versagen von Staat und Polizei. Ich bin fassungslos, in welchem gravierenden Maße politische Entscheidungsträger und deutsche Sicherheitsbehörden versagt haben. Dies bildet bis heute eine alarmierende Kontinuität. Die Verharmlosung und Vertuschung rechter Gewalt geht auch nach Rostock-Lichtenhagen weiter, wie sich das zum Beispiel bei den NSU-Morden gezeigt hat. Es ist nicht verwunderlich, dass Anschläge (siehe Halle, Hanau) nicht aufhören.
Rostock-Lichtenhagen darf nicht als singulärer Moment der rechten Gewalt in Nachkriegsdeutschland gesehen werden. Solche Anschläge gehören nicht der Vergangenheit an.
„Die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen symbolisieren für mich nicht nur 30 Jahre kontinuierlicher rassistischer Gewalt, sondern vor allem auch das Versagen von Staat und Polizei.“
Wir brauchen eine lückenlose und kontinuierliche Aufklärung rechter Gewalt sowie effektive Maßnahmen, damit es gar nicht zu Anschlägen kommt. Wir brauchen Berichte, die das Gesagte und Ungesagte dieses Pogrom endlich aus der Perspektive der Überlebenden erzählen und bewerten. Ein vietnamesisches Narrativ muss her, dokumentarisch und künstlerisch. Das kann neue Informationen liefern über das, was damals geschah. Rostock-Lichtenhagen ist auch ein Teil der Geschichte Deutschlands.
Heute sind Sie als Interkulturelle Beraterin und Diversity-Trainerin für migrationspolitische Gremien, Parteien und Institutionen tätig. Wie sind Sie dazu gekommen?
Die Vorgänge von Rostock-Lichtenhagen führten dazu, dass ich mich bis heute, für eine stärkere Integration und Teilhabe der Vietnames*innen am öffentlichen Leben einsetzte. Denn ich sprach nach den rassistischen Ausschreitungen mit vielen Landsleuten, die im „Sonnenblumenhaus“ eingeschlossen waren. Dabei stellte ich immer wieder fest, dass bei ihnen die schrecklichen Erlebnisse tiefe Spuren hinterlassen hatten. Viele sind bis heute auch noch nicht bereit, über die Ereignisse zu sprechen. Sie wollen nicht mehr an das tragische Geschehen erinnert werden, und für die meisten von ihnen ist es sehr unangenehm, als Vietnamese*in im Zusammenhang mit dem Geschehen wieder im öffentlichen Fokus zu stehen.
„Die Vorgänge von Rostock-Lichtenhagen haben mich geprägt, mich gezwungen, überzeugt, mein ehrenamtliches, politisches Engagement aktiv in der Stadt, in dem Land, mitzugestalten.“
Die Vorgänge von Rostock-Lichtenhagen haben mich geprägt, mich gezwungen, überzeugt, mein ehrenamtliches, politisches Engagement aktiv in der Stadt, in dem Land, mitzugestalten. Sie führten dazu, dass ich mich bis heute für eine stärkere Integration und Teilhabe der Vietnames*innen am öffentlichen Leben einsetze. Denn hier will ich mit meiner Familie dauerhaft leben.
Im Oktober 2016 waren Sie in dem Stück „Atlas des Kommunismus“ im Maxim-Gorki-Theater zu sehen. Worum ging es in dem Stück?
Es handelt sich hierbei um ein politisches Dokumentartheater, das auf die Menschen in der DDR zurückblickt. Die Protagonist*innen erzählen aus ihrem Leben und ihren Erfahrungen mit dem sozialistischen-kommunistischen System aus unterschiedlichen Perspektiven.
Seit Beginn der Coronapandemie haben rassistische Angriffe auf asiatisch gelesene Menschen leider erneut stark zugenommen, allerdings scheint die mediale Resonanz dessen nach kurzer Zeit deutlich abgeschwächt. Wie kann für dieses Problem mehr Aufmerksamkeit geschaffen werden?
Diese Erfahrung verweist auf eine rassistische Stereotypisierung, unabhängig von den persönlichen Migrationsgeschichten und geografischen Bezügen, und kann Menschen treffen, die in der dritten Generation in Deutschland leben, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
Die Folge sind Ausschlüsse, die auch nach der Migration, der Ankunft und der Integration in Bildungsinstitutionen, in Arbeits- und Wohnungsmärkte, weiterhin bestehen und anhalten – und im Zuge der Corona-Pandemie offen stattfinden.
Für diese Problematik kann mehr Aufmerksamkeit geschaffen werden, indem in geschützten Räumen Asiatische Deutsche sich zu bereits vorhandenen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung im Gruppenprozess austauschen und diese öffentlichkeitswirksam kommunizieren; mit dem besonderen Anliegen hierbei das Sichtbarmachen der eigenen Stärken, Ressourcen und Potenziale für die Gesellschaft zu stärken.
Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für Sie „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist Ihre „Lieblingsthese“?
Meine Lieblingsthese ist These 14: „Erwerbsarbeit ist wichtig für Teilhabe, Identifikation und sozialen Zusammenhalt“.
Ich bin der Meinung, dass Werte, Rechtsverhältnisse, das Bekenntnis zur Verfassung und ein deutscher Pass wichtige formale Voraussetzungen sind, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.
„Meine Lieblingsthese ist These 14: „Erwerbsarbeit ist wichtig für Teilhabe, Identifikation und sozialen Zusammenhalt“.“
Aber es gehört auch eine emotionale Verbindung der Einwanderer*innen zu ihrer Gesellschaft, ihrer „Heimat“ in Deutschland dazu, etwas, das wir im alltäglichen Leben spüren: Anerkennung in der Schule, Erfolg in der Wirtschaft, Aufstiegsmöglichkeiten im Arbeitsleben, soziale und kulturelle Gleichberechtigung, Akzeptanz durch die deutsche Aufnahmegesellschaft. Das sind essenzielle Voraussetzungen für Zugehörigkeit und Identifikation.
Vielen Dank!