Von Gesin­nungs­kitsch bis Agitprop

Der Kunst­schau fehlt es auch an Kunst

„Das ist die wirk­lich bedeu­tendste docu­menta, die es je gege­ben hat – für die Situa­tion der Welt“, resü­mierte der Kul­tur­kri­ti­ker Bazon Brock im Deutsch­land­funk. Es ist der klügste und der bit­terste Ver­riss der Kas­se­ler Kunst­schau, weil er scho­nungs­los offen­legt, dass die anti­se­mi­ti­schen Ent­glei­sun­gen keine sind, son­dern diese Aus­stel­lung mit Voll­dampf auf den Schie­nen fährt, für die die Macher die Wei­chen gestellt haben. Was ich bei mei­nem Besuch der docu­menta mehr gespürt als erkannt habe, das Feh­len von Kunst auf der Kunst­schau, der kluge Alt­meis­ter Bazon Brock spricht es laut und unüber­hör­bar aus. Er warnt vor der Ent­mach­tung des künst­le­ri­schen Indi­vi­du­ums durch die Herr­schaft der Kol­lek­tive. Wohin die Ver­wechs­lung von Kul­tur mit Kunst führt, das Ergeb­nis des Kul­tu­ra­lis­mus also, der sich in sei­nem Kern jeder Kri­tik ent­zieht, weil alles nur im kul­tu­rel­len Kon­text gese­hen wer­den darf und damit per se legi­ti­miert ist – das zeigt die docu­menta fif­teen. Das Ergeb­nis ist nie­der­schmet­ternd. Zu sehen sind nun: Gesin­nungs­kitsch, aus­ge­stellte Sozi­al­ar­beit, Agit­prop von Künst­ler­grup­pen, die sich fürst­lich ali­men­tiert in rebel­li­scher post­ko­lo­nia­ler Pose sprei­zen – beson­ders beliebt sind dabei pau­schale Atta­cken auf das Land einer seit Jahr­tau­sen­den ver­folg­ten Min­der­heit. Der große Zuspruch in der Kul­tur­szene ist garan­tiert, ebenso die mediale Auf­merk­sam­keit. Diese Glei­chung ging auch bei der docu­menta fif­teen auf. Ein wohl gesetz­ter Pau­ken­schlag zu Beginn eröff­nete den Rei­gen: als Kunst ver­bräm­ter Juden­hass mit­ten im Zen­trum Kas­sels. Das künst­le­ri­sche Lei­tungs­kol­lek­tiv ruan­grupa prä­sen­tierte das rie­sige Ban­ner „People’s Jus­tice“ der indo­ne­si­schen Künst­ler­gruppe Taring Padi mit dem jüdi­schen Schweins­ge­sicht und der Gleich­set­zung von Mos­sad und SS. So weit, so übel, so vor­her­seh­bar. Schon im Vor­feld der Schau hatte es Kri­tik an der bedenk­li­chen BDS-Nähe eini­ger Ver­ant­wort­li­cher sowie Künst­le­rin­nen und Künst­ler gege­ben – ein kla­rer Ver­stoß gegen den Bun­des­tags­be­schluss von 2019: keine staat­li­chen Gel­der mehr für die anti­se­mi­ti­sche BDS-Bewe­gung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den jüdi­schen Staat poli­tisch, wirt­schaft­lich und kul­tu­rell (!) zu iso­lie­ren und letzt­lich zu besei­ti­gen. Es gibt Gründe, den Beschluss falsch zu fin­den, ihn aber scham­los zu igno­rie­ren, ist unde­mo­kra­tisch und skan­da­lös. Aus­ge­rech­net eine Kunst­aus­stel­lung redu­ziert indi­vi­du­elle Per­sön­lich­kei­ten auf ihre Kol­lek­tiv­zu­ge­hö­rig­keit, grenzt israe­li­sche Künst­le­rin­nen und Künst­ler aus als Ver­tre­tung des ver­hass­ten Juden­staats. Kunst, also die Kraft der Fan­ta­sie, des mensch­li­chen Geis­tes, wird miss­braucht als ideo­lo­gi­sches Schlacht­feld der Kul­tu­ra­lis­ten. Und ganz in der Tra­di­tion des Juden­has­ses, bei dem das Selbst­ver­ständ­nis der als Juden Ange­grif­fe­nen keine Rolle spielt, ist auch die poli­ti­sche Hal­tung der israe­li­schen Künst­le­rin­nen und Künst­ler völ­lig uner­heb­lich. Sie gehö­ren dem fal­schen Kol­lek­tiv an. „Welt­of­fen­heit“ schrie­ben sich die Macher auf die Fah­nen und sperr­ten „das Andere“ zur Abwechs­lung nicht ein, son­dern aus, prak­ti­zier­ten Kunst- und Denk­ver­bote. Jeden begrün­de­ten Ver­dacht, dass es so anti­se­mi­tisch kom­men würde, wie es kam, wies das Lei­tungs­kol­lek­tiv empört als Ras­sis­mus zurück. Und als der ent­hüllte Juden­hass dann zu sehen war, erklärte die docu­menta-Lei­tung, dass die „anti­se­mi­ti­sche Les­art“ keine Absicht gewe­sen sei und nur in Deutsch­land so wirke. Das Kunst­werk müsse „im Kon­text des ›Glo­ba­len Südens‹ ver­stan­den“ wer­den – als ob es irgend­ei­nen kul­tu­rel­len Kon­text geben könne, in dem Juden durch die Dar­stel­lung als Schweine nicht belei­digt wür­den. Bei der anti­se­mi­ti­schen Schnit­zel­jagd stie­ßen auf­merk­same, meist jüdi­sche Besu­cher auf immer neue Bei­spiele juden­feind­li­cher Agi­ta­tion. Die docu­menta fif­teen aber blieb sich auch unter dem neuen Inte­rims-Geschäfts­füh­rer Alex­an­der Faren­holtz, Nach­fol­ger der geschei­ter­ten Geschäfts­füh­re­rin, treu: Nicht der Juden­hass ist das Pro­blem, son­dern jene, die sich daran stö­ren. „Wir bedau­ern, dass die his­to­ri­schen Bil­der und Zeich­nun­gen, die um das Jahr 1988 ent­stan­den sind, für einige Besucher*innen nicht ver­ständ­lich sind und es daher zu Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen gekom­men ist“, belehrt nun eine Tafel vor einem wei­te­ren anti­se­mi­ti­schen Agit­prop­werk. Die docu­menta-Päd­ago­gik gibt sich red­lich Mühe, den Anschluss an den unge­hemm­ten kol­lek­ti­ven Anti­se­mi­tis­mus des „Glo­ba­len Südens“ zu fin­den, der hier­zu­lande dank­bar auf­ge­nom­men wird. Selbst die Gleich­set­zung der israe­li­schen Armee mit der deut­schen Wehr­macht ging auf die­ser Schau anstands­los durch. „Gaza Guer­nica“ nannte das paläs­ti­nen­si­sche Kol­lek­tiv sei­nen Bei­trag. Da war es nur noch ein klei­ner Schritt bis zur Rela­ti­vie­rung des Holo­caust. Der folgte prompt mit dem Auf­tritt des lange nicht mehr gewähl­ten, selbst ermäch­tig­ten Paläs­ti­nen­ser­prä­si­den­ten Mah­moud Abbas im Kanz­ler­amt und sei­ner skan­da­lö­sen Behaup­tung von 50 Holo­causts an den Paläs­ti­nen­sern. Die Empö­rung über ihn und den schwei­gend neben ihm ver­har­ren­den Kanz­ler war groß und fol­gen­los. Anstands­los wur­den Hilfs­zu­sa­gen über 340 Mil­lio­nen Euro frei­ge­ge­ben, die in die paläs­ti­nen­si­schen Gebiete flie­ßen ohne echte Kon­trolle, dass sie nicht für Ter­ro­ris­ten­ren­ten und anti­se­mi­ti­sche Hetze ver­wen­det wer­den. Doch weder die Schecks aus Ber­lin noch die häss­li­chen Bil­der aus Kas­sel ver­bes­sern das Leben der Paläs­ti­nen­ser. Sie sind nichts als mensch­li­che Schutz­schilde im ideo­lo­gi­schen Kampf gegen den Juden­staat. Wider­spruch hat das inter­na­tio­nale Kol­lek­tiv der Selbst­ge­rech­ten dabei kaum zu befürch­ten. Wer mag schon als Kul­tur­ba­nause oder Ras­sist gel­ten? Selbst Hamja Ahsan, ein Künst­ler, der offen den „Tod Isra­els“ for­derte, wurde pro­blem­los zur docu­menta fif­teen ein­ge­la­den, erst als er Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz als „Faschis­ten­schwein“ belei­digte, regte sich empör­ter Wider­spruch. Und so fällt den selbst­ge­rech­ten Post­ko­lo­nia­lis­ten auch nie­mand ins Wort, wenn sie sich anma­ßen, für alle einst kolo­nial Unter­drück­ten von Asien über Afrika bis Süd­ame­rika zu spre­chen. Wer im übri­gen Teil des „Glo­ba­len Süden“ ist, auch das fällt selbst­re­dend in die Deu­tungs­ho­heit der Kul­tu­ra­lis­ten. Israel jeden­falls, anders als die umge­ben­den Län­der, gehört nicht dazu, auch wenn kein Volk eine län­gere Unter­drü­ckungs­ge­schichte vor­zu­wei­sen hat als das jüdi­sche. Auf his­to­ri­sche Fein­hei­ten aber haben radi­kale Gro­biane noch nie Rück­sicht genommen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2022.
Von |2023-03-02T15:20:06+01:00September 5th, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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Der Kunst­schau fehlt es auch an Kunst

Esther Schapira ist freie Journalistin, Publizistin und Moderatorin.