Esther Schapira 5. September 2022 Logo_Initiative_print.png

Von Gesin­nungs­kitsch bis Agitprop

Der Kunst­schau fehlt es auch an Kunst

„Das ist die wirklich bedeutendste documenta, die es je gegeben hat – für die Situation der Welt“, resümierte der Kulturkritiker Bazon Brock im Deutschlandfunk. Es ist der klügste und der bitterste Verriss der Kasseler Kunstschau, weil er schonungslos offenlegt, dass die antisemitischen Entgleisungen keine sind, sondern diese Ausstellung mit Volldampf auf den Schienen fährt, für die die Macher die Weichen gestellt haben. Was ich bei meinem Besuch der documenta mehr gespürt als erkannt habe, das Fehlen von Kunst auf der Kunstschau, der kluge Altmeister Bazon Brock spricht es laut und unüberhörbar aus. Er warnt vor der Entmachtung des künstlerischen Individuums durch die Herrschaft der Kollektive. Wohin die Verwechslung von Kultur mit Kunst führt, das Ergebnis des Kulturalismus also, der sich in seinem Kern jeder Kritik entzieht, weil alles nur im kulturellen Kontext gesehen werden darf und damit per se legitimiert ist – das zeigt die documenta fifteen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Zu sehen sind nun: Gesinnungskitsch, ausgestellte Sozialarbeit, Agitprop von Künstlergruppen, die sich fürstlich alimentiert in rebellischer postkolonialer Pose spreizen – besonders beliebt sind dabei pauschale Attacken auf das Land einer seit Jahrtausenden verfolgten Minderheit. Der große Zuspruch in der Kulturszene ist garantiert, ebenso die mediale Aufmerksamkeit. Diese Gleichung ging auch bei der documenta fifteen auf. Ein wohl gesetzter Paukenschlag zu Beginn eröffnete den Reigen: als Kunst verbrämter Judenhass mitten im Zentrum Kassels. Das künstlerische Leitungskollektiv ruangrupa präsentierte das riesige Banner „People’s Justice“ der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi mit dem jüdischen Schweinsgesicht und der Gleichsetzung von Mossad und SS. So weit, so übel, so vorhersehbar. Schon im Vorfeld der Schau hatte es Kritik an der bedenklichen BDS-Nähe einiger Verantwortlicher sowie Künstlerinnen und Künstler gegeben – ein klarer Verstoß gegen den Bundestagsbeschluss von 2019: keine staatlichen Gelder mehr für die antisemitische BDS-Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den jüdischen Staat politisch, wirtschaftlich und kulturell (!) zu isolieren und letztlich zu beseitigen. Es gibt Gründe, den Beschluss falsch zu finden, ihn aber schamlos zu ignorieren, ist undemokratisch und skandalös. Ausgerechnet eine Kunstausstellung reduziert individuelle Persönlichkeiten auf ihre Kollektivzugehörigkeit, grenzt israelische Künstlerinnen und Künstler aus als Vertretung des verhassten Judenstaats. Kunst, also die Kraft der Fantasie, des menschlichen Geistes, wird missbraucht als ideologisches Schlachtfeld der Kulturalisten. Und ganz in der Tradition des Judenhasses, bei dem das Selbstverständnis der als Juden Angegriffenen keine Rolle spielt, ist auch die politische Haltung der israelischen Künstlerinnen und Künstler völlig unerheblich. Sie gehören dem falschen Kollektiv an. „Weltoffenheit“ schrieben sich die Macher auf die Fahnen und sperrten „das Andere“ zur Abwechslung nicht ein, sondern aus, praktizierten Kunst- und Denkverbote. Jeden begründeten Verdacht, dass es so antisemitisch kommen würde, wie es kam, wies das Leitungskollektiv empört als Rassismus zurück. Und als der enthüllte Judenhass dann zu sehen war, erklärte die documenta-Leitung, dass die „antisemitische Lesart“ keine Absicht gewesen sei und nur in Deutschland so wirke. Das Kunstwerk müsse „im Kontext des ›Globalen Südens‹ verstanden“ werden – als ob es irgendeinen kulturellen Kontext geben könne, in dem Juden durch die Darstellung als Schweine nicht beleidigt würden. Bei der antisemitischen Schnitzeljagd stießen aufmerksame, meist jüdische Besucher auf immer neue Beispiele judenfeindlicher Agitation. Die documenta fifteen aber blieb sich auch unter dem neuen Interims-Geschäftsführer Alexander Farenholtz, Nachfolger der gescheiterten Geschäftsführerin, treu: Nicht der Judenhass ist das Problem, sondern jene, die sich daran stören. „Wir bedauern, dass die historischen Bilder und Zeichnungen, die um das Jahr 1988 entstanden sind, für einige Besucher*innen nicht verständlich sind und es daher zu Fehlinterpretationen gekommen ist“, belehrt nun eine Tafel vor einem weiteren antisemitischen Agitpropwerk. Die documenta-Pädagogik gibt sich redlich Mühe, den Anschluss an den ungehemmten kollektiven Antisemitismus des „Globalen Südens“ zu finden, der hierzulande dankbar aufgenommen wird. Selbst die Gleichsetzung der israelischen Armee mit der deutschen Wehrmacht ging auf dieser Schau anstandslos durch. „Gaza Guernica“ nannte das palästinensische Kollektiv seinen Beitrag. Da war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Relativierung des Holocaust. Der folgte prompt mit dem Auftritt des lange nicht mehr gewählten, selbst ermächtigten Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas im Kanzleramt und seiner skandalösen Behauptung von 50 Holocausts an den Palästinensern. Die Empörung über ihn und den schweigend neben ihm verharrenden Kanzler war groß und folgenlos. Anstandslos wurden Hilfszusagen über 340 Millionen Euro freigegeben, die in die palästinensischen Gebiete fließen ohne echte Kontrolle, dass sie nicht für Terroristenrenten und antisemitische Hetze verwendet werden. Doch weder die Schecks aus Berlin noch die hässlichen Bilder aus Kassel verbessern das Leben der Palästinenser. Sie sind nichts als menschliche Schutzschilde im ideologischen Kampf gegen den Judenstaat. Widerspruch hat das internationale Kollektiv der Selbstgerechten dabei kaum zu befürchten. Wer mag schon als Kulturbanause oder Rassist gelten? Selbst Hamja Ahsan, ein Künstler, der offen den „Tod Israels“ forderte, wurde problemlos zur documenta fifteen eingeladen, erst als er Bundeskanzler Olaf Scholz als „Faschistenschwein“ beleidigte, regte sich empörter Widerspruch. Und so fällt den selbstgerechten Postkolonialisten auch niemand ins Wort, wenn sie sich anmaßen, für alle einst kolonial Unterdrückten von Asien über Afrika bis Südamerika zu sprechen. Wer im übrigen Teil des „Globalen Süden“ ist, auch das fällt selbstredend in die Deutungshoheit der Kulturalisten. Israel jedenfalls, anders als die umgebenden Länder, gehört nicht dazu, auch wenn kein Volk eine längere Unterdrückungsgeschichte vorzuweisen hat als das jüdische. Auf historische Feinheiten aber haben radikale Grobiane noch nie Rücksicht genommen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2022.
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